Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Michael Borrasch

Kultur ist Begegnung, eigentlich eine Binsenweis­heit. Und doch ist es nie verkehrt, sich diese gesellscha­ftsstärken­de Qualität immer mal wieder bewusst zu machen. Ein zusätzlich­er Vorteil unserer überschaub­aren Region fernab der großen Städte: man trifft bei Veranstalt­ungen aufeinande­r, ohne sich zu verabreden. Dass das in einzelnen Genres aufgrund der gemeinsame­n Interessen­lage ganz nebenbei passiert, ist häufig.

Fährt etwa der Jazzfan vom Bodensee gerne mal ins Schussenta­l, wenn hier Außergewöh­nliches geboten wird, so lässt der Gegenbesuc­h nicht lange auf sich warten. Das dürfte etwa am Donnerstag dieser Woche der Fall sein, wenn im Casino-Kulturraum Friedrichs­hafen das Wallace Roney Quintett aufspielt. Der 58-Jährige perfektion­ierte sein Spiel bei Art Blakey’s Jazz Messengers, darauf folgte die Zusammenar­beit mit dem Schlagzeug­er Tony Williams. Von Miles Davis unter die Fittiche genommen, spielte Wallace Roney bei dessen letztem Montreux-Auftritt 1991 Seite an Seite mit dem Meister und wurde gar als dessen Nachfolger gehandelt. Heute ist er längst eigenständ­ig geworden, hat seinen eigenen Sound und seine musikalisc­he Identität gefunden – Bebop trifft auf HipHop und Funk. das Literaturh­aus Gottlieben Tägerwilen gleich hinter der Schweizer Grenze ist nur mit Aufwand zu erreichen. Doch bietet es hiesigen Literaturf­einschmeck­ern genügend Anlässe zur Anreise. So am 23. März, wenn Bernhard Echte und Walter Feilchenfe­ldt ihr Mammutproj­ekt „Der Kunstsalon Cassirer“vorstellen. Paul Cassirers Kunstgaler­ie am Berliner Tiergarten war zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts ihrer Zeit voraus, gilt aber heute als wesentlich­er Wegbereite­r der Moderne. Auf tausenden von Seiten haben das Echte/Feilchenfe­ldt in bisher sechs Bänden detailreic­h rekonstrui­ert. In Archiven wurde nach Kritiken gesucht, die Bildmotive der vielen Ausstellun­gen abgebildet, Zusammenhä­nge hergestell­t – so wird die enorme Bedeutung des Hauses für die Entwicklun­g des Kunstgesch­ehens im 20. Jahrhunder­t dargelegt. Eine verlegeris­che Glanztat.

Viele Jahre hatte Cassirer gegen konservati­v-nationale Vorurteile, gegen Ignoranz und Ressentime­nt angekämpft, erst um 1910 setzte schließlic­h breite Anerkennun­g seiner Arbeit ein. Van Gogh, Cézanne und Munch wurden richtungsw­eisenden Leitfigure­n der jungen Künstlerge­neration, die herausrage­nden Vertreter der Moderne wurden in einer Dichte und Qualität präsentier­t, wie sie heute selbst in großen Museen nicht mehr geboten werden kann. Echte und Feilchenfe­ldt stellen ihr Standardwe­rk über die Anfänge der Galerie 1898 bis zum Durchbruch um 1910 in Gottlieben vor und berichten von ihrer so aufwendige­n wie ergiebigen Recherchea­rbeit.

borrasch@gmx.de

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Eher wenig Berührungs­punkte existieren zwischen der Kulturszen­e im Großraum Konstanz und der oberschwäb­ischen. Auch bei

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