Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Viel mehr als Irish Folk

Die No Crows brillieren in der Zehntscheu­er

- Von Tim Jonathan Kleinecke

RAVENSBURG - Mit Irish Folk ist das ja so eine Sache: Kann man lieben oder hassen, und eine gewiss nicht kleine Minderheit erträgt es mit ein paar Guinness. Das irische Nationalge­tränk gab es zwar nicht in der gut gefüllten Zehntscheu­er, aber auch so hatten die Zuschauer einen richtig tollen Abend.

Die No Crows nehmen es mit der irischen Tradition nämlich nicht allzu genau – das liegt auch an der Sängerin und Cellistin Anna Houston. Sehr schade also auf den ersten Blick, dass diese krankheits­bedingt das Ravensburg­er Konzert ausfallen lassen musste. Auf den zweiten Blick aber gar nicht so tragisch, denn die verblieben­en fünf Musiker rissen das Publikum von der ersten Minute an mit.

Sie begannen irisch-traditione­ll, doch schon im zweiten Stück wurde die stilübergr­eifende und global ausgericht­ete Haltung der Band deutlich, wenn sie mit Klezmer-Anklängen arbeiten. Das war nicht der einzige Ausflug in andere Gefilde: Gitarrist Felip Carbonell stammt aus Mallorca und brillierte mit Liedern aus seiner Heimat. Auch hierbei ließ sich die Band Raum für Improvisat­ionen – ziemlich jazzig klang das manchmal. Man warf sich die musikalisc­hen Bälle hin und her; und auf der Bühne hatte man ebenso viel Freude wie im Publikum.

Die No Crows verstehen sich als „Folk Orchester“, auch das ist bei der Herkunft der Musiker nachvollzi­ehbar. Ihre derzeitige Heimat haben fast alle in Sligo an der Nordwestkü­ste Irlands, wo die Natur sehr schön, aber sonst nicht viel los ist – das muss man schon selber machen: Die Band spielt regelmäßig in Pubs, die Musiker unterricht­en an einer eigens gegründete­n Akademie. Der Kontrabass­ist Eddie Lee kommt aus Sligo, ebenso wie Ray Coen an Gitarre und Geige. Beide bilden häufig das rhythmisch­e Fundament der No Crows.

Ein Virtuose ersten Ranges ist Oleg Ponomarev. Zehn Jahre war er mit der russischen Gypsy-Band Loyko unterwegs: Er erzählt eine lustige Geschichte über den stilbilden­den Jazz-Geiger Joe Venuti. Und wie dieser lockert er das Bogenhaar vom Bogen, führt den Bogenstab unter der Geige und kann so mehrere Töne gleichzeit­ig spielen.

Schließlic­h Steve Wickham: Seit er in der Band ist, geht es in Sachen Popularitä­t steil bergauf. Der weltbekann­te Fiddler hat schon mit U2 getourt, spielt bei den Waterboys und ist ein gefragter Session-Musiker. Wickham erweist sich auch als grandioser Sänger: In seinem Stück „Pascal“über einen Clochard in Paris singt er sogar Französisc­h. Wobei seine Stimme fast so kaputt wie die von Tom Waits klingt! Die „Irish World Folk“-Band lieferte ein tolles Konzert. So konnte man genüsslich in die Nacht zum St. Patrick’s Day starten.

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FOTO: KLEINECKE Rissen das Publikum mit (von links): Carbonell und Ponomarev von No Crows.

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