Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
Das Landestheater Vorarlberg mutet mit der Neuinszenierung von Ewald Palmetshofers „Die Unverheiratete“seinem Publikum zu, sich auf eine „heikle“Thematik und auf eine innovative moderne Dramatik einzulassen. Ein lohnendes Unterfangen, schauspielerisch, sprachästhetisch und dramaturgisch.
Der 1978 geborene, 2015 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnete Palmetshofer recherchierte in seiner oberösterreichischen Heimat einen zwar verbrieften, aber nie aufgearbeiteten Denunziationsfall aus dem Jahre 1945. Was er findet sind Fragmente von Akten wie Erinnerungen, eine Wahrheit gibt es, wie immer in mündlicher Geschichte, nicht, weil Filter und Verdrängungen sich mischen. So wie sich Werte und Bewertungen zwischen den Generationen nicht stringent trennen lassen. Wie können die Heutigen das Gestrige in ihrer „Erinnerungskultur“verstehen? Was ist subjektiv, was objektiv?
So gibt es keine Chronologie in diesem Stück und keine geschlossenen Charaktere, sondern Abstraktionen – die Alte, die Mittlere, die Junge. Und den Chor von vier Schwestern, den „Hundsmäuligen“, übergangslos zwischen „Volk“und „Anklage“. Keine Männer. Raffiniert vermischte Frauenwelten, vor 45, nach 45, Täterinnen, Klagende, Leidende, Schweigende. Ein brillantes Ensemble, das in verfremdenden Jamben geschriebene Stück in verblüffend moderner Weise rezitierend. Erinnerungskultur ohne das häufig ritualisierte Betroffenheitspathos. Weitere Vorstellungen unter www.landestheater.org
Das Gegenteil: Simon Fujimara in seiner Ausstellung Hope House im Bregenzer Kunstmuseum KUB Dramatikers Werner Kofler: „Tanzcafé Treblinka“, eine furchterregende Verdrängungsgeschichte über das feine, bürgerliche Klagenfurter Café, das nach 1945 ein Karl Lerch übernahm, davor Massenmörder in Treblinka. Und niemand wusste irgendwas, „Schnee von gestern. Sobibor, Majdanek…. Verfallsdatum abgelaufen“, schreibt Kofler im Jahr 2000, als in Kärnten der smarte Jörg Haider seine rechtsradikalen Fantasien säte, die heute in Wien üppige Früchte tragen und in anderen Ländern der EU. Beängstigend aktuell in dem Zwei-Personen-Stück ist auch der Lagerkommandant von Treblinka, Kurt Franz, 1965 in Düsseldorf für Mord an „mindestens“300 000 Häftlingen verurteilt und 1993 in seine Altersruhe entlassen. In seiner Wohnung fand man sein Fotoalbum aus Treblinka. „Schöne Zeiten“hatte er drauf geschrieben. Darum geht es auch in den Konsumstrategien heute – nichts wissen sollen, nichts wissen wollen über die globalen Vertreibungen und Zerstörungen für die „be-happy“-Ideologie. Das Stück wäre ein Gastspiel wert! Simon Fujimara schreibt über das Anne-Frank-Haus im Bastelsatz, die Vorlage für die entlarvende Ästhetik seiner KUB-Ausstellung: „Das Projekt ist keine Parodie des Kapitalismus, es zeigt den Kapitalismus.“
wolfram.frommlet@t-online.de