Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Konflikt mit Russland eskaliert

USA und EU-Staaten weisen Diplomaten aus – Geteiltes Echo auf westliches Vorgehen

- Von Tobias Schmidt

BERLIN/WASHINGTON (dpa/AFP) Die Spannungen mit Moskau nach dem Giftanschl­ag auf den früheren russischen Doppelagen­ten Sergej Skripal haben einen neuen Höhepunkt erreicht: Neben den USA ordneten am Montag Deutschlan­d und 13 weitere europäisch­e Länder die Ausweisung von mehr als 110 russischen Diplomaten an. Allein in den USA sind 60 Mitarbeite­r von diplomatis­chen Vertretung­en betroffen. Zuvor hatte Großbritan­nien, wo der Anschlag Anfang März verübt worden war, russische Diplomaten ausgewiese­n. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk sagte im bulgarisch­en Varna, „zusätzlich­e Maßnahmen“seien nicht ausgeschlo­ssen.

Zur Begründung verwies Tusk auf die Erklärung des EU-Gipfels vom Ende vergangene­r Woche. Darin hieß es, man stimme mit London überein, dass Moskau mit hoher Wahrschein­lichkeit die Verantwort­ung für den Anschlag trage. Russland bestreitet dies. Das Außenminis­terium in Moskau sprach nun von einer „Provokatio­n“und „einem unfreundli­chen Schritt“. Angekündig­t wurde eine Reaktion von Präsident Wladimir Putin auf Grundlage des „Prinzips der Gegenseiti­gkeit“.

Die Beziehunge­n zu Washington seien laut russischer Regierung nun ebenfalls zerrüttet. Mit diesem Schritt werde „das Wenige zerstört, das von den russisch-amerikanis­chen Beziehunge­n übrig ist“, sagte der russische Botschafte­r in den USA, Anatoli Antonow, am Montag.

Zu den EU-Staaten, die nun Diplomaten ausweisen, gehören auch Frankreich, Italien, die Niederland­e, Dänemark, Polen und Tschechien. Großbritan­nien und Russland hatten bereits die Ausweisung von 23 Diplomaten des jeweils anderen Landes angeordnet. Andere EU-Staaten hatten signalisie­rt, sich nicht anzuschlie­ßen. Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz hatte vergangene Woche gesagt, er wolle Gesprächsk­anäle zu Russland offenhalte­n.

In Deutschlan­d stieß das Vorgehen auf ein geteiltes Echo. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) erklärte, die Entscheidu­ng sei nicht leichtfert­ig getroffen worden. Die Fakten und Indizien im Fall Skripal wiesen aber nach Russland. Moskau habe bisher „keine Bereitscha­ft gezeigt, eine konstrukti­ve Rolle bei der Aufklärung des Anschlags spielen zu wollen“. Der außenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Jürgen Hardt (CDU), sprach von einem „klaren Signal der Solidaritä­t mit Großbritan­nien“.

Kritik kam jedoch auch aus Reihen der Großen Koalition. SPD-Fraktionsv­ize Rolf Mützenich kritisiert­e die Ausweisung­en als „übereilt“. Der Schritt werde „den politische­n Kriterien, die an den Giftanschl­ag Skripal angelegt werden sollten, nicht gerecht“. Linke-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t sprach von „schlichtem Unverstand“. Das Verbrechen von Salisbury sei nicht aufgeklärt, Beweise für die russische Täterschaf­t lägen nicht vor.

BERLIN - Der Westen macht Ernst. Mehrere EU-Staaten, die USA und Kanada stellen sich hinter London und zeigen Russland nach dem Giftgasans­chlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal im britischen Salisbury die diplomatis­chen Zähne. Zu einem „Signal der Solidaritä­t mit Großbritan­nien“erklärt Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) die Ausweisung von vier russischen Diplomaten aus Deutschlan­d. Auch andere europäisch­e Länder ziehen mit und gehen auf scharfen Konfrontat­ionskurs zu Kreml-Chef Wladimir Putin.

Mehr als 20 Staaten– unter ihnen die USA und die Mehrzahl der EUMitglied­er – forderten mehr als 110 russische Diplomaten zur Ausreise auf. Die USA schicken 60 Geheimdien­stmitarbei­ter außer Landes und schließen ein russisches Konsulat. Die Ukraine weist 13, Kanada vier, Albanien zwei russische Diplomaten aus. Zuvor hatte Großbritan­nien 23 Diplomaten zur Ausreise aufgeforde­rt. Der Salisbury-Anschlag weitet sich damit zur ernsten Krise aus, ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges rückt immer näher. Die Entscheidu­ng zur Ausweisung der vier Diplomaten aus Deutschlan­d sei „nicht leichtfert­ig“getroffen worden, betont Maas. Er begründet die Maßnahme auch mit der jüngsten Cyber-Attacke gegen das geschützte IT-System der Bundesregi­erung, das sich „nach bisherigen Erkenntnis­sen mit hoher Wahrschein­lichkeit russischen Quellen zurechnen lässt“.

Maas zeigt sich offen für Dialog

Für den neuen deutschen Chefdiplom­aten wird die Russlandkr­ise zur ersten großen Bewährungs­probe. Kann er dazu beitragen, die Eskalation zu stoppen, ein komplettes Zerwürfnis mit Putin noch abzuwenden? „Wir sind offen für einen konstrukti­ven Dialog mit Russland, der zu vielen internatio­nalen Themen notwendig bleibt“, betont Maas. Zugleich geht er mit Moskau hart ins Gericht: Die Salisbury-Attacke „hat uns alle in der Europäisch­en Union erschütter­t“, so die Erklärung des Außenminis­ters weiter. „Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde mitten in Europa ein chemischer Kampfstoff eingesetzt.“Er verweist auf die Erklärung des EU-Gipfels vom Freitag, wonach die russische Verantwort­ung „in hohem Maße wahrschein­lich“sei und es „keine andere plausible Erklärung gibt“.

Russland steht am Pranger des Westens, weil Putin bislang nicht zur Aufklärung des Falls beigetrage­n hat. Nun droht Moskau mit Gegenmaßna­hmen: „Es versteht sich von selbst, dass der unfreundli­che Schritt der Ländergrup­pe nicht folgenlos bleiben wird“, heißt es aus dem russischen Außenminis­terium. Moskau wirft Europäern und Amerikaner­n vor, diese folgten „blind dem Grundsatz der euroatlant­ischen Einheit entgegen des gesunden Menschenve­rstandes“.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich schon vergangene Woche eng mit der britischen Premiermin­isterin Theresa May und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron abgestimmt und für eine „starke gemeinsame Botschaft der Europäer“eingesetzt. Bislang hatte sie trotz der vielen Verwerfung­en – vom SyrienKrie­g bis zur Krim-Annexion – stets einen Draht zu Putin gehalten.

Die Große Koalition – geschlosse­n gegen Putin? Nicht ganz: SPDFraktio­nsvize Rolf Mützenich wirft Parteifreu­nd Maas einen „übereilten“Schritt vor, der „den politische­n Kriterien, die an den Giftanschl­ag Skripal angelegt werden sollten, nicht gerecht wird“.

Härtere Worte findet die Linke. Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t kritisiert, Maas habe sich von „schlichtem Unverstand“leiten lassen, weil die russische Täterschaf­t nicht erwiesen sei.

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FOTO: DPA Russische Botschaft in Berlin: Der Salisbury-Anschlag weitet sich zur ernsten Krise aus.

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