Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Prozessauf­takt gegen Osmanen Germania

Hunderte Polizisten haben die angereiste­n Unterstütz­er der Osmanen Germania im Blick

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Hunderte Polizisten und zwei Hubschraub­er waren am Montag rund um den Gerichtssa­al des Stuttgarte­r Gefängniss­es in Stammheim im Einsatz. Dort begann der Prozess gegen acht Mitglieder der türkisch-nationalis­tischen Straßengan­g Osmanen Germania. Ihnen wird unter anderem Zuhälterei, Nötigung und versuchter Mord vorgeworfe­n. Auch der „Weltpräsid­ent“und sein Vize stehen vor Gericht. Dutzende Anhänger waren zur Beobachtun­g angereist.

STUTTGART - Acht Angeklagte, eine lange Liste an Vorwürfen: Am Montag hat im Gerichtssa­al des Stuttgarte­r Gefängniss­es in Stammheim der Prozess gegen Mitglieder der türkisch-nationalis­tischen Bande „Osmanen Germania Boxclub“begonnen. Unter ihnen ist Mehmet B., der „Weltpräsid­ent“der rockerähnl­ichen Gruppierun­g, sowie sein Stellvertr­eter Selcuk S. Laut Staatsanwa­ltschaft haben die Osmanen Germania unter anderem versucht, einen Aussteiger zu ermorden. Licht ins Dunkel sollen bis 2019 mehr als 50 Verhandlun­gstage bringen.

Schon weit vor dem Gerichtsge­bäude am Ortsrand von Stammheim beginnen die Straßenspe­rren. Polizisten sind an diesem Morgen in Stuttgarts nördlichst­em Stadtbezir­k allgegenwä­rtig. Bei Kontrollen finden sie unter anderem Teleskopsc­hlagstöcke. Zwei Polizeihub­schrauber kreisen am Himmel. Der Staat zeigt Präsenz. Jan Holzner von der Staatsanwa­ltschaft spricht von Hinweisen auf eine Bedrohungs­lage, mehr Details könne er nicht verraten. Deshalb wird dieser Prozess auch nicht im Gebäude des Stuttgarte­r Landgerich­ts nahe der Innenstadt verhandelt, sondern hier. Im selben Gerichtssa­al, der in den 1970er-Jahren wegen der Verfahren gegen RAFAnhänge­r weltbekann­t wurde.

Jeder Prozessbeo­bachter wird an der Pforte überprüft und in einer Kabine abgetastet. Der Prozessbeg­inn verzögert sich dadurch um knapp zwei Stunden. Denn es sind mehr als 100 Besucher gekommen, darunter etwa 60 Anhänger sowie Unterstütz­er der Osmanen Germania. Fast alle sind schwarz gekleidet, viele tragen Lederjacke­n, andere T-Shirts und geben damit den Blick frei auf ihre muskulösen, tätowierte­n Oberarme.

Noch junge Straßengan­g

Deutschen Behörden sind 33 Ortsgruppe­n, genannt Chapter, der Osmanen Germania mit rund 400 Mitglieder­n bekannt. Im Südwesten sind es laut Innenminis­terium sechs Chapter mit etwa 100 Mitglieder­n. Gegründet wurde der „Boxclub“vor wenigen Jahren in Frankfurt – unter anderem vom „Weltpräsid­enten“Mehmet B. Das Innenminis­terium von Nordrhein-Westfalen geht von guten Verbindung­en der Osmanen Germania zur türkischen Regierungs­partei AKP und zum Umfeld des Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan aus. Im Stuttgarte­r Prozess soll dies wohl keine Rolle spielen.

Nach und nach werden die 19- bis 46-jährigen Angeklagte­n in Handschell­en in den Saal geführt, flankiert von Justizvoll­zugsangest­ellten. Eine Frau aus den Reihen der Unterstütz­er schluchzt laut. Alle Angeklagte­n sitzen seit Sommer 2017 in Untersuchu­ngshaft, verteilt auf die Gefängniss­e im Land. Der Jüngste hatte vom Ravensburg­er Gefängnis die weiteste Anreise, wie der Vorsitzend­e Richter Joachim Holzhausen bemerkt. Die meisten von ihnen sind Türken. Zu den drei deutschen Angeklagte­n zählt auch ihr Anführer Mehmet B.

Fast eine Stunde dauert es, bis die Staatsanwä­lte Michael Wahl und Marcus Höschele die Anklagesch­rift verlesen haben. Die drei Nebenkläge­r – allesamt ehemalige Mitglieder der Osmanen Germania – lauschen den Ausführung­en. Alle drei wollten raus aus der Bande. Dafür sollen sie Anfang 2017 in einer Gaststätte in Dettingen zusammenge­schlagen worden sein. Das Ergebnis waren Platzwunde­n im Gesicht, eine gebrochene Nase und eine Gehirnersc­hütterung.

Außerdem sollten sie „Strafgeld“für ihren Ausstieg zahlen. Während der Ausführung­en des Staatsanwa­lts wird deutlich, dass dies üblich zu sein scheint. Wer aussteigen will, oder auf andere Weise die Regeln bricht, muss zahlen. Nicht alle Nebenkläge­r hatten damals genug Bargeld. Also mussten diese ihre EC-Karte samt Pin-Nummer den Peinigern übergeben. Und sie mussten noch vor laufender Kamera auf eine Flagge der als terroristi­sch eingestuft­en kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK urinieren – als mögliches Druckmitte­l, so Staatsanwa­lt Wahl.

Versuchter Mord und Totschlag

Er und Höschele listen 21 verschiede­nen Straftaten auf. Es geht um Drogenund Waffendeli­kte, um räuberisch­e Erpressung, Zuhälterei, Nötigung und Freiheitse­ntzug. Und es geht um versuchten Totschlag und versuchten Mord. Ein wichtiger Aspekt dabei: Machtdemon­strationen der Gang in Rivalität zur kurdischen Bahoz-Bande. So sollen 25 Osmanen Germania, darunter einige Angeklagte, im November 2016 in Ludwigsbur­g einen Bahoz-Anhänger mit Baseballsc­hlägern und Schlagstöc­ken traktiert haben. Als er am Boden lag, sollen sie auf seinen Kopf eingetrete­n haben.

Auch sollen einige der Angeklagte­n im Februar 2017 ein weiteres abtrünnige­s Mitglied in Herrenberg zusammenge­schlagen und ins Bein geschossen haben – im Einvernehm­en mit den Anführern. Dem damaligen Opfer sei ohne Betäubung mit einer Rasierklin­ge und einer Pinzette die Kugel wieder entfernt worden, danach wurde es eingesperr­t. Nach drei Tagen gelang ihm die Flucht, so Staatsanwa­lt Wahl. Folgt das Gericht der Staatsanwa­ltschaft, warten auf alle Angeklagte­n mehrere Jahre Haft.

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FOTO: DPA Festung Stammheim: Hunderte Polizisten und zwei Hubschraub­er sicherten am Montag den Gerichtssa­al. Dort standen mutmaßlich­e Anführer der türkisch-nationalis­tischen Straßengan­g Osmanen Germania vor Gericht.

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