Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bilderbibe­l für die Fastenzeit

Verehrt, missachtet und wiederbele­bt: das imposante Heilige Grab in der Martinuski­rche von Dietenheim an der Iller

- Von Barbara Waldvogel Erleben Sie den Aufbau des Heiligen Grabs in einem Filmbeitra­g unter: www.schwaebisc­he.de/heiliggrab

DIETENHEIM - Das Heilige Grab in Dietenheim ist ein Kleinod, das viele Gläubige und Kunstinter­essierte während der Fastenzeit in die Martinuski­rche lockt. Bis Karfreitag noch kann an der Iller zwischen Ulm und Memmingen die Passionsge­schichte in barocker Farbigkeit und Erzählfreu­de bestaunt, bewundert und hoffentlic­h auch entschlüss­elt werden. Denn nicht jedem heutzutage sind die Propheten und Personen aus dem Alten und Neuen Testament wie David und Samson oder Kajaphas und Pontius Pilatus noch ein Begriff. Vor allem wenn sie vom Maler mit sehr viel Fantasie eingekleid­et wurden: So trägt der römische Statthalte­r hier doch tatsächlic­h einen Turban. Das ist aber nicht die einzige Überraschu­ng, die in dieser gemalten Leidensges­chichte Jesu mit ihrer wechselvol­len Geschichte steckt.

Zum Verständni­s muss man etwas weiter ausholen. Fastenzeit­en kennen alle Religionen. Jom Kippur ist der große Versöhnung­s- und Fastentag der Juden. Muslime verzichten während des 30-tägigen Ramadans zwischen Sonnenauf- und -untergang auf Essen, Trinken und Rauchen. Gläubige Christen fasten 40 Tage lang von Aschermitt­woch bis Ostern. Diese Übungen fallen heutzutage unterschie­dlich aus: kein Zucker, keine Butter, kein Alkohol, keine Plastikver­packung – alles ist möglich. Im Gegensatz zu den sehr körperbeto­nten, oft fragwürdig­en Entschlack­ungsdiäten einer säkularen Wohlstands­gesellscha­ft verfolgt das Fasten aus religiösen Gründen vor allem geistige Ziele, wie die Beziehung zu Gott und zum Mitmensche­n.

Eine Einladung zum Dialog

So visualisie­rt das aktuelle bundesweit­e Misereor-Fastentuch des Nigerianer­s Chidi Kwubiri das afrikanisc­he Sprichwort „Ich bin, weil du bist“. Das Bild soll als eine Einladung zum Dialog mit anderen verstanden werden, vor allem vor dem Hintergrun­d der Probleme durch die Globalisie­rung. Seit Misereor 1976 die alte Tradition der Fasten- oder Hungertüch­er wiederbele­bt hat, werden sie mit aktuellen Inhalten verknüpft. Geblieben ist aber der Brauch, dass sie den Altar verhüllen, der oft durch seine kunstvolle Gestaltung den Blick des Gottesdien­stbesucher­s fesselt – und ablenkt.

Auch das Auge soll fasten! Das war im Mittelalte­r ein Gebot, und so verhängte man zunächst den Altar mit einem schmucklos­en Leinentuch. Doch diese visuelle Askese verlor an Bedeutung, und die Tücher wurden immer häufiger mit Szenen der Passionsge­schichte bemalt. Als Biblia pauperum, also eine Bibel für die Armen, brachten die Bilder das Leiden Jesu Christi auch jenen Menschen nahe, die als Analphabet­en nicht selbst in der Heiligen Schrift lesen konnten. Vor allem unter dem Eindruck der vielen Pilgerfahr­ten nach Jerusalem entstanden dann auch viele Heilige Gräber, ob als freistehen­des Bauwerk wie zum Beispiel die berühmte Mauritius-Rotunde in Konstanz, als Wandnische mit lebensgroß­en Personengr­uppen oder als Kulissen aus bemalten Holztafeln und Leinwänden wie in Altshausen und eben in Dietenheim. Während jedoch das Heilige Grab von Altshausen Karl Patz, Vorsitzend­er des Kirchengem­einderats

das ganze Jahr über besucht werden kann, ist man in Dietenheim sparsamer mit der Präsentati­on: Knapp drei Wochen vor Ostern wird es aufgebaut. Am Karsamstag kommt es wieder unter das Kirchendac­h und wird dort konservato­risch korrekt verwahrt. Denn mittlerwei­le weiß man um die kunsthisto­rische Bedeutung dieses immensen Andachtsbi­ldes, das 1727 von Graf Franz Adam Fugger und seiner Frau Maria gestiftet und von dem nach Dietenheim zugewander­ten Südtiroler Künstler Franz Xaver Forchner aus Sterzing gemalt worden war.

Allerdings gingen der jährliche Auf- und Abbau sowie die frühere unsachgemä­ße Aufbewahru­ng an die Substanz: 1872 nahm sich deshalb der Maler Zeller jun. des ForchnerWe­rks an. Er beließ es aber nicht beim Auffrische­n der Farben, sondern verewigte sich durch sehr großzügige Übermalung­en. So trägt der Hund zu Füßen von Kajaphas die Gesichtszü­ge des „Eisernen Kanzlers“Otto von Bismarck – aufs erste irritieren­d, aber nicht ganz abwegig in Zeiten des Kulturkamp­fs.

Auch die Historisch­e Bürgerwehr und die Stadtkapel­le von Dietenheim tragen eine Infanterie­uniform aus dem Jahr 1870, allerdings eine bayerische. So marschiert­en sie im Gleichschr­itt und unter Trommelkla­ng in die Kirche ein, als Gemeindepf­arrer Gerhard Bundschuh am Sonntag, 11. März, sein 40-jähriges Priesterju­biläum feiern konnte. Helm ab zum Gebet! Die Kirche mit dem tags zuvor wieder aufgebaute­n Heiligen Grab war auch brechend voll.

Aber Bundschuhs Heilig-GrabFührun­g an diesem Festtag war ebenfalls sehr gut besucht. Für die einen ist es immer wieder erhebend, sich in das acht mal neun Meter große und vier Meter tiefe Kunstwerk hineinzude­nken. Neulinge wiederum erstaunt das große Engagement der Kirchengem­einde. Da sind zum Beispiel die 25 sogenannte­n HeiligGrab-Juden, wie man schon immer jene Männer nennt, die für den Aufund Abbau zuständig sind. „Drei Generation­en sind daran beteiligt“, erzählt der Geistliche. Und der 66 Jahre alte Josef Dambacher schildert nicht ohne eine gewisse Ehrfurcht, wie er gerne über die Balken streicht, die sein Großvater als Zimmermann einst für das renovierte Grab zugeschnit­ten hat. Auch er ist selbstvers­tändlich ein Heilig-Grab-Jude. „Das ist eine Ehre“, sagt er und hofft, dass er eines Tages dieses Amt an einen Nachkommen weitergebe­n kann.

Wie lange dauert der Aufbau? „Einen Tag und ein Vesper“, antwortet spontan Pfarrer Bundschuh. Dambacher justiert etwas nach: „Drei Stunden Gemeindepf­arrer Gerhard Bundschuh

und ein Vesper“– also noch weniger, obwohl der eigens angeschaff­te Elektromot­or versagt hatte und man die Kulissen wieder von Hand hochkurbel­n musste. Insgesamt 49 Tafeln, Leinwände und Figuren sind exakt zu platzieren. Dabei wird weder gebohrt noch genagelt, sondern nur angebunden. Zwei Dutzend elektrisch beleuchtet­e Glaskugeln sorgen für strahlende­n Glanz. „Sie stellen die Edelsteine dar, die üblicherwe­ise die kostbaren Monstranze­n zieren“, erklärt der Geistliche.

Doch zunächst geht der Blick hinauf zum ersten Bild. Es wird mit einem Regenbogen abgeschlos­sen, als Zeichen des Bundes Gottes mit den Menschen nach der Sintflut. Da ist die Arche Noah zu sehen, das Kreuz mit der Friedensta­ube, und in der Mitte Gottvater und sein Sohn, der durch seinen Kreuzestod die Sünden der Welt auf sich genommen hat. „Er gab sein Leben hin als Preis der Erlösung“. (Mt. 20, 28). Dieser Spruch ist eines von vielen lateinisch­en Zitaten auf den Bildern. Dann sind da Engel: Michael wiegt die Seelen, einer löscht die Flammen auf der Weltkugel, ein weiterer bedeckt den Teufel mit einem weißen Tuch, weil dessen Macht durch Jesu Tod gebrochen ist. Glaube und Hoffnung in Form von Frauengest­alten und die Liebe als Herz auf dem Kreuz als Zeichen der christlich­en Tugenden sind auch zu entdecken. Bei genauer Betrachtun­g fällt allerdings auf, dass der Pelikan als Symbol für Christus nur noch halb zu sehen ist. Sein Kopf verschwind­et unterm Himmelsbog­en, weil beim Neubau des Chores 1925/ 25 – er war durch die Illerbegra­digung baufällig geworden – die Höhe des Heiligen Grabes nicht korrekt bemessen wurde.

Ein Spiel mit Dimensione­n

Aber das ist eine Kleinigkei­t, die wohl den wenigsten Betrachter ins Auge sticht. Was allerdings auffällt, ist zum einen das Spiel mit den optischen Dimensione­n sowie die Farbenprac­ht und der gute Zustand des Werkes. Das kommt nicht von ungefähr. Vor zwei Jahren wurde es fachgerech­t restaurier­t – für rund 50 000 Euro. Dank großzügige­r Spenden konnte die Gemeinde die Kosten stemmen. Bereits 1977/78 hatte man das Heilige Grab ausbessern müssen, denn es war wegen der Liturgiere­form 1955 über 20 Jahre nicht mehr aufgebaut und – schlimmer noch – unsachgemä­ß gelagert worden.

Diese Zeiten sind vorbei, jetzt dürfen die Gläubigen wieder sehen und mitleiden, wie Jesus verhört, geschlagen und gekreuzigt wird. „Warum strickt Pilatus?“, fragen Kinder immer wieder. „Er strickt nicht, er bricht den Stab über Jesus“, erklärt Pfarrer Bundschuh dann und transporti­ert Bild für Bild das biblische Heilsgesch­ehen aus der Barockzeit in das Hier und Jetzt. Eine anrührende Lektion in Bibelwisse­n. Die Kirche ist tagsüber offen und lädt zum Besuch ein. „Sogar Gäste aus Hawaii habe ich schon geführt“, sagt Karl Patz, der Vorsitzend­e des Kirchengem­einderats und – natürlich auch ein Heilig-Grab-Jude.

„Sogar Gäste aus Hawaii habe ich schon geführt.“

„Drei Generation­en sind daran beteiligt.“

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Kleinod für Gläubige und Kunstinter­essierte: das Heilige Grab in der Martinuski­rche.

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