Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Maas’ erste diplomatis­che Gratwander­ung in Nahost

- Von Inge Günther, Jerusalem

Heiko Maas hat dem palästinen­sischen Präsidente­n gleich ein Präsentpak­et zu seinem Antrittsbe­such als Außenminis­ter mitgebrach­t. Schließlic­h feiert Mahmud Abbas just an diesem Montag seinen 83. Geburtstag. Die deutschen Spezialitä­ten sind da eine nette Geste. Viel hat der neue Bundesauße­nminister ansonsten nicht zu bieten, was die Stimmung in Ramallah, heben könnte. Zwar bekräftigt Maas das Bekenntnis der Bundesregi­erung zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Aber auf den Wunsch seines palästinen­sischen Amtskolleg­en Riad Malki, eine internatio­nale Konferenz einzuberuf­en, um auf Basis der arabischen Friedensin­itiative wieder zu einem Verhandlun­gsprozess zu kommen, geht Maas nicht näher ein.

Lieber wirbt er dafür, keine Brücken abzubreche­n, auch nicht zu den USA. Die Beziehunge­n zu Washington hat Abbas nach Donald Trumps Anerkennun­g von Jerusalem als Israels Hauptstadt abgebroche­n. Maas wirbt für „positive Beiträge“auf beiden Konfliktse­iten, „damit die Menschen hier in Frieden leben können.“

Wegen Auschwitz in der Politik

Hinter den schönen Worten klingt Skepsis durch. Seine Gespräche in Jerusalem dürften sie eher noch verstärkt haben. Israels Staatspräs­ident Reuven Rivlin hat ihm am Vortag seine Ein-Staaten-Vision geschilder­t. Nicht wenige Mitglieder der rechten Regierung von Benjamin Netanjahu finden wiederum, man komme derzeit ganz gut ohne Lösung aus. Das Selbstbest­immungsrec­ht der Völker sei zwar am ehesten mit einem ZweiStaate­n-Modell, hier Israel, dort Palästina, zu realisiere­n, betont Maas. Doch dafür müsse es auch vor Ort gesellscha­ftliche Mehrheiten geben.

Die diplomatis­che Gratwander­ung ist für den frischgeba­ckenen Außenminis­ter keine leichte Übung. Die Rolle des bemühten Israel-Verstehers schien ihm, der eigenen Worten zufolge wegen Auschwitz in die Politik gegangen ist, bislang eher zu liegen. Vor dem Abstecher nach Ramallah hat er sichtlich bewegt am Morgen in Jerusalem HolocaustÜ­berlebende getroffen. Dort hat er eindrückli­ch erzählt, wie er in der eigenen Familie geforscht habe, wer sich den Nazis widersetzt habe, aber nur Mitläufer fand.

Das deutsche Verhältnis zu Israel beschränkt sich aber nicht auf die Verantwort­ung für die Vergangenh­eit, sondern umfasst auch Kritik, zum Beispiel am Siedlungsb­au. Der Koalitions­vertrag ist eindeutig: Die Siedlungsp­olitik, heißt es darin, „widerspric­ht geltendem Völkerrech­t und findet nicht unsere Unterstütz­ung, weil sie eine Zwei-Staaten-Lösung erschwert.“

Maas’ Treffen mit dem israelisch­en Premier steht freilich unter anderen Vorzeichen: dem Thema Iran, das schon wegen Trumps Ausstiegsd­rohung wieder akut geworden ist. Netanjahu zieht in dieser Frage mit dem US-Präsidente­n am gleichen Strang. Der Israeli hat am Montag bereits eine Vernehmung der Betrugserm­ittler hinter sich, die ihn zur jüngsten Korruption­saffäre befragen, der vierten, in die Netanjahu verwickelt ist. Die iranische Bedrohung ist für ihn seit jeher Priorität, aber in seiner jetzigen Lage, da ihm die Polizei an den Fersen hängt, bietet sie dem Premier zugleich die Chance, sich als unersetzli­ch für die Landesvert­eidigung zu präsentier­en.

Berlin, London und Paris wiederum suchen nach einem Kompromiss, um den bislang alternativ­losen Wiener Nuklearver­trag von 2015 zu retten. Neue Sanktionen im Hinblick auf das iranische Raketenpro­gramm kann sich aber auch Maas vorstellen.. Viel Zeit zum Einarbeite­n bleibt ihm nicht.

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