Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine Klage kann für viele Gewinner sorgen
Verbraucherministerin Barley will Sammelklagen bis zum 1. November ermöglichen
BERLIN - Mit der Musterfeststellungsklage bringt die Bundesregierung ein kundenfreundliches Instrument gegen Abzocker und Betrüger auf den Weg. Die Wirtschaft sieht diese Art der Sammelklage gar nicht gerne. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Haben Verbraucher künftig bessere Chancen, ihr Recht gegenüber Unternehmen durchzusetzen?
Das ist zumindest das Ziel der Musterfeststellungsklage (MFK), die von der großen Koalition eingeführt wird. Das betrifft unter anderem sogenannte Massengeschäfte, bei denen es im Einzelfall um wenige Euro gehen kann. Hat eine Bank oder ein Stromversorger zum Beispiel unwirksame Preisklauseln in seinen Geschäftsbedingungen, haben Kunden womöglich einen Rückzahlungsanspruch. Doch wegen geringer Beträge zieht kaum jemand wegen des Aufwands des Risikos einer Niederlage vor Gericht. Das wird sich ändern.
Worin besteht der Vorteil gegenüber der bisherigen Rechtslage?
Verbraucher setzen ihr Recht ohne großes eigenes Zutun durch. Auch erhofft sich die Bundesregierung eine Entlastung der Justiz durch das gebündelte Verfahren. Bei der MFK besteht kein finanzielles Risiko für die Verbraucher bei der Rechtsdurchsetzung. Modelle mit privaten Rechtsdienstleistern, die Betroffenen das Klagerisiko abnehmen und dafür im Erfolgsfall einen Teil der Entschädigung erhalten, werden unnötig.
Wie soll das Verfahren ablaufen?
Wenn sich zehn geschädigte Verbraucher finden, kann eine MFG durch eine sogenannte „qualifizierte Einrichtung“, also etwa die Verbraucherzentralen, eröffnet werden. Im Internet wird dann ein Klageregister eingerichtet. Innerhalb von zwei Monaten müssen sich dann mindestens 50 Betroffene dort registrieren. Daraus entstehen keine Kosten. Das Register wird beim Bundesamt für Justiz geführt. Mit der Anmeldung der MFK wird die Verjährung ausgesetzt. Das Urteil in diesem Verfahren ist schließlich verbindlich für alle Gerichtsverfahren in dieser Sache.
Bekommen die Betroffenen bei einer erfolgreichen Klage automatisch Schadenersatz?
Das ist nicht zwangsläufig der Fall. Eine Möglichkeit ist der Vergleich beider Parteien während des Verfahrens. Dann wird das betreffende Unternehmen Ausgleichszahlungen vermutlich von sich aus anbieten. Kommt es zu einem Feststellungsurteil, müssen die einzelnen Geschädigten ihre Ansprüche durchsetzen. Sie können dafür zum Beispiel die jeweilige Schlichtungsstelle anrufen oder auf die Leistung klagen.
Drohen mit der Musterfeststellungsklage amerikanische Verhältnisse?
In den USA gibt es Sammelklagen, in denen mitunter viele Tausend Kunden gemeinsam gegen eine Firma vor Gericht ziehen und Entschädigungen erstreiten. Dies wird in der Regel von spezialisierten Anwaltskanzleien als regelrechtes Geschäft betrieben. Daraus hat sich eine Klageindustrie zu Lasten der Wirtschaft entwickelt. Bei der MFK ist dieser Anreiz nicht gegeben, weil das Gericht lediglich feststellt, ob sich ein Unternehmen falsch verhalten hat oder nicht. Geldleistungen resultieren aus diesem Urteil nicht.
Wann könnten die ersten Verfahren auf den Weg gebracht werden?
Die neue Verbraucherministerin Katarina Barley hat einen ehrgeizigen Zeitplan aufgestellt. Nur zwei Tage nach Amtsantritt hat sie den Gesetzentwurf an die anderen Ministerien verteilt. Noch im April soll das Bundeskabinett das Gesetz beschließen. Es kann somit noch vor der Sommerpause im Bundestag behandelt werden. Ziel ist es, dass die MFK spätestens ab dem 1. November 2018 eingereicht werden kann.
Gibt es damit auch für betrogene Dieselbesitzer noch Chancen auf Schadenersatz?
Zumindest die Dieselfahrer, die durch illegale Manipulation ihrer Abgasanlage betrogen wurden, können auf ein erstes Verfahren nach der neuen Regelung hoffen. Barley legt genau deshalb so ein Tempo vor. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat schon angekündigt, dann eine MFK für die VWKunden anzustrengen. Es muss jedoch alles sehr schnell gehen, weil etwaige Entschädigungsansprüche am Jahresende verjähren.
Kann das Vorhaben der Verbraucherministerin noch scheitern?
Es kommt selten ein Gesetz wieder so aus dem Bundestag heraus, wie es hineingekommen ist. So kann sich auch am MFK-Gesetz noch einiges ändern. Die Wirtschaft ist zum Beispiel gegen diese Art der Gemeinschaftsklage, weil sie einen Missbrauch des Instruments befürchtet.