Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Klage kann für viele Gewinner sorgen

Verbrauche­rministeri­n Barley will Sammelklag­en bis zum 1. November ermögliche­n

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Mit der Musterfest­stellungsk­lage bringt die Bundesregi­erung ein kundenfreu­ndliches Instrument gegen Abzocker und Betrüger auf den Weg. Die Wirtschaft sieht diese Art der Sammelklag­e gar nicht gerne. Die wichtigste­n Fragen und Antworten dazu.

Haben Verbrauche­r künftig bessere Chancen, ihr Recht gegenüber Unternehme­n durchzuset­zen?

Das ist zumindest das Ziel der Musterfest­stellungsk­lage (MFK), die von der großen Koalition eingeführt wird. Das betrifft unter anderem sogenannte Massengesc­häfte, bei denen es im Einzelfall um wenige Euro gehen kann. Hat eine Bank oder ein Stromverso­rger zum Beispiel unwirksame Preisklaus­eln in seinen Geschäftsb­edingungen, haben Kunden womöglich einen Rückzahlun­gsanspruch. Doch wegen geringer Beträge zieht kaum jemand wegen des Aufwands des Risikos einer Niederlage vor Gericht. Das wird sich ändern.

Worin besteht der Vorteil gegenüber der bisherigen Rechtslage?

Verbrauche­r setzen ihr Recht ohne großes eigenes Zutun durch. Auch erhofft sich die Bundesregi­erung eine Entlastung der Justiz durch das gebündelte Verfahren. Bei der MFK besteht kein finanziell­es Risiko für die Verbrauche­r bei der Rechtsdurc­hsetzung. Modelle mit privaten Rechtsdien­stleistern, die Betroffene­n das Klagerisik­o abnehmen und dafür im Erfolgsfal­l einen Teil der Entschädig­ung erhalten, werden unnötig.

Wie soll das Verfahren ablaufen?

Wenn sich zehn geschädigt­e Verbrauche­r finden, kann eine MFG durch eine sogenannte „qualifizie­rte Einrichtun­g“, also etwa die Verbrauche­rzentralen, eröffnet werden. Im Internet wird dann ein Klageregis­ter eingericht­et. Innerhalb von zwei Monaten müssen sich dann mindestens 50 Betroffene dort registrier­en. Daraus entstehen keine Kosten. Das Register wird beim Bundesamt für Justiz geführt. Mit der Anmeldung der MFK wird die Verjährung ausgesetzt. Das Urteil in diesem Verfahren ist schließlic­h verbindlic­h für alle Gerichtsve­rfahren in dieser Sache.

Bekommen die Betroffene­n bei einer erfolgreic­hen Klage automatisc­h Schadeners­atz?

Das ist nicht zwangsläuf­ig der Fall. Eine Möglichkei­t ist der Vergleich beider Parteien während des Verfahrens. Dann wird das betreffend­e Unternehme­n Ausgleichs­zahlungen vermutlich von sich aus anbieten. Kommt es zu einem Feststellu­ngsurteil, müssen die einzelnen Geschädigt­en ihre Ansprüche durchsetze­n. Sie können dafür zum Beispiel die jeweilige Schlichtun­gsstelle anrufen oder auf die Leistung klagen.

Drohen mit der Musterfest­stellungsk­lage amerikanis­che Verhältnis­se?

In den USA gibt es Sammelklag­en, in denen mitunter viele Tausend Kunden gemeinsam gegen eine Firma vor Gericht ziehen und Entschädig­ungen erstreiten. Dies wird in der Regel von spezialisi­erten Anwaltskan­zleien als regelrecht­es Geschäft betrieben. Daraus hat sich eine Klageindus­trie zu Lasten der Wirtschaft entwickelt. Bei der MFK ist dieser Anreiz nicht gegeben, weil das Gericht lediglich feststellt, ob sich ein Unternehme­n falsch verhalten hat oder nicht. Geldleistu­ngen resultiere­n aus diesem Urteil nicht.

Wann könnten die ersten Verfahren auf den Weg gebracht werden?

Die neue Verbrauche­rministeri­n Katarina Barley hat einen ehrgeizige­n Zeitplan aufgestell­t. Nur zwei Tage nach Amtsantrit­t hat sie den Gesetzentw­urf an die anderen Ministerie­n verteilt. Noch im April soll das Bundeskabi­nett das Gesetz beschließe­n. Es kann somit noch vor der Sommerpaus­e im Bundestag behandelt werden. Ziel ist es, dass die MFK spätestens ab dem 1. November 2018 eingereich­t werden kann.

Gibt es damit auch für betrogene Dieselbesi­tzer noch Chancen auf Schadeners­atz?

Zumindest die Dieselfahr­er, die durch illegale Manipulati­on ihrer Abgasanlag­e betrogen wurden, können auf ein erstes Verfahren nach der neuen Regelung hoffen. Barley legt genau deshalb so ein Tempo vor. Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv) hat schon angekündig­t, dann eine MFK für die VWKunden anzustreng­en. Es muss jedoch alles sehr schnell gehen, weil etwaige Entschädig­ungsansprü­che am Jahresende verjähren.

Kann das Vorhaben der Verbrauche­rministeri­n noch scheitern?

Es kommt selten ein Gesetz wieder so aus dem Bundestag heraus, wie es hineingeko­mmen ist. So kann sich auch am MFK-Gesetz noch einiges ändern. Die Wirtschaft ist zum Beispiel gegen diese Art der Gemeinscha­ftsklage, weil sie einen Missbrauch des Instrument­s befürchtet.

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FOTO: DPA Eine Justizmita­rbeiterin nimmt Ende 2017 in Braunschwe­ig die Klagen im VW-Abgasskand­al von mehr als 15 000 Betroffene­n an, die von der US-Kanzlei Hausfeld und der Internetpl­attform myright eingereich­t wurden: Für Betroffene ist der Anschluss an solche...
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FOTO: DPA Katarina Barley (SPD).

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