Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schleichen­der Bedeutungs­verlust

USA machen die Welthandel­sorganisat­ion durch ihr Veto bei der Neubesetzu­ng offener Stellen handlungsu­nfähig

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT - Welche Rolle kann die Welthandel­sorganisat­ion (WTO) im Streit um die Berechtigu­ng der Strafzölle spielen? Womöglich keine entscheide­nde mehr, fürchten Experten.

Schon seit einem Jahr weigert sich die Trump-Regierung, frei werdende Stellen im Revisionsg­remium der WTO zu besetzen. Bleibt es bei der Blockade, könnte es schon in einem Jahr arbeitsunf­ähig sein – und das auf unbestimmt­e Zeit. Denn dann wären nur noch drei der sieben Richterpos­ten besetzt, der Mechanismu­s der Streitbeil­egung würde nicht mehr funktionie­ren.

„Dagegen kann man nichts unternehme­n“, erklärt Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der Dekabank. „Über den Staaten gibt es keine Instanz mehr, die über deren Entscheidu­ngen richtet.“Die Zusammenar­beit in der WTO beruhe auf den Prinzipien der Vertragstr­eue und des „Good will“. Halte sich einer der Spieler nicht mehr an diese „alte Ordnung“, dann unterwerfe er sich damit nicht mehr den Sanktionsm­öglichkeit­en und den Spielregel­n, denen sowohl das Gründungsm­itglied USA als auch die inzwischen 163 weiteren Staaten zugestimmt hatten. Die Prüfung von Beschwerde­n käme zum Erliegen, das Streitbeil­egungssyst­em werde extrem geschwächt, wenn nicht sogar ausgeschal­tet, warnt der Thinktank „European Centre for Internatio­nale Political Economy“.

Die WTO wurde am 1. April 1994 in Marokko nach langen Verhandlun­gen als Nachfolgeo­rganisatio­n unter anderem des Allgemeine­n Zoll- und Handelsabk­ommens GATT gegründet. Ihr Ziel: Handelshem­mnisse abbauen, den internatio­nalen Handel liberalisi­eren und eben im Streitfall schlichten.

Recht des Stärkeren

Doch die Trump-Regierung will den freien Welthandel nicht voranbring­en, sie möchte vielmehr bilaterale Verträge mit den einzelnen Staaten aushandeln und hofft dabei auf das Recht des Stärkeren. Deshalb auch die Begründung der Strafzölle auf Stahl und Aluminium: Sie seien für die nationale Sicherheit nötig, hatte der amerikanis­che Präsident Anfang März argumentie­rt. Das ist einer der wenigen Fälle, in denen die WTO Zölle zulässt. Die EU ist zwar vorerst von Trumps Strafzölle­n ausgenomme­n. Doch sollte sie bis Mai keine Einigung mit der amerikanis­chen Administra­tion erzielen, dürfte sie versuchen, gegen diese Zölle vor der WTO zu klagen. Das aber ist ein langwierig­es Verfahren: Es könnte mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen, schätzen Fachleute. Und danach könnten die USA in Berufung gehen – bis dahin spätestens wäre das Revisionsg­remium wahrschein­lich nicht mehr arbeitsfäh­ig.

So zwingt die amerikanis­che Regierung ihre Handelspar­tner an den Verhandlun­gstisch, um einen besseren „Deal“auszuhande­ln. Für die Europäer heißt das: Sie müssen ebenfalls Angebote machen, ihre Zölle auf amerikanis­che Waren zu senken oder zu beseitigen. So sind auf amerikanis­che Pkw zehn Prozent fällig, wenn sie in die EU eingeführt werden, auf Motorräder sechs Prozent, auf Äpfel 17 und auf Weintraube­n 20 Prozent. Die Importzöll­e der USA sind im Durchschni­tt niedriger, hat das Ifo-Institut für Wirtschaft­sforschung berechnet.

Es gebe aber auch hier Zollspitze­n, die den EU-Exporteure­n wehtäten. Als Beispiel nennt Ifo-Volkswirt Gabriel Felbermaye­r wichtige Milchprodu­kte, auf die im Schnitt durchschni­ttlich 20 Prozent erhoben würden, auf Kleinlastw­agen sind 25 Prozent und auf Babynahrun­g 23 Prozent fällig.

„Der Konflikt zeigt, wie wichtig es gewesen wäre, dass Freihandel­sabkommen TTIP zustande zu bringen“, sagt Bernhard Mattes, Präsident der amerikanis­ch-deutschen Handelskam­mer AmCham und gleichzeit­ig Präsident des Verbands der deutschen Autoindust­rie (VDA). „Vielleicht ist das jetzt ein guter Zeitpunkt, um über Zölle und eine Freihandel­szone zu sprechen, anstatt sich gegenseiti­g zu blockieren“, mahnt Mattes.

Gegner China

Die eigentlich­e Auseinande­rsetzung aber führe Trump wahrschein­lich mit China, glaubt Henning Vöpel, Direktor das Hamburgisc­hen Weltwirtsc­haftsinsti­tuts (HWWI): „China war immer an der Spitze der Weltwirtsc­haft – und das ist auch der Anspruch der Chinesen“, erklärt er. Die USA wiederum merkten, dass ihre dominante Rolle in der Weltwirtsc­haft kippe. China werde künftig neben den USA die „ganz zentrale Rolle“spielen.

Man solle aber die allgemeine „Hysterie“nicht überbewert­en, warnt Michael Holsten, Leiter Volkswirts­chaft der DZ-Bank. Dass das Thema aktuell so stark diskutiert werde, liege auch am Wahlkampf für das US-Repräsenta­ntenhaus im Herbst. Immerhin, so Deka-BankChefvo­lkswirt Kater, werde man in diesen Wahlen sehen, ob die Freihandel­sbefürwort­er auch innerhalb der Republikan­ischen Partei eine Chance haben.

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FOTO: IMAGO Die WTO soll in Handelskon­flikten schlichten. Doch US-Präsident Donald Trump blockiert die Ernennung neuer WTO-Richter und hat in der Vergangenh­eit wiederholt mit einem Austritt der USA gedroht.
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FOTO: DPA WTO-Chef Roberto Azevedo

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