Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Das eigene Ende wird einem bewusster“

Bell, Book & Candle haben ihr neues Album veröffentl­icht

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Bell, Book & Candle haben das erste Mal ein deutschspr­achiges Album veröffentl­icht. Darauf geht es auch um Tod, Obdachlosi­gkeit und Demenz. Christiane Wohlhaupte­r hat mit Sängerin Jana Groß über ihren erfolgreic­hen 90erJahre-Hit „Rescue Me“, die heilsame Wirkung von Musik und Zukunftspl­äne gesprochen.

Jana, für die Menschen, die euch seit „Rescue Me“aus den Augen verloren haben: Was habt ihr seither gemacht?

Wir haben durchgespi­elt. Wir haben das nachgeholt, was vor dem Hit gar nicht möglich war. Wir haben seitdem fünf Alben und zwei Unplugged-Alben aufgenomme­n und wir sind fast jedes Wochenende unterwegs.

Fuchst euch das manchmal, dass die breite Masse davon weniger mitbekomme­n hat als von „Rescue Me“?

Nein, überhaupt nicht. Klar ist da etwas dran, dass man von Segen und Fluch spricht. Das ist als ob man einen Preis bekommt – das ist eine tolle Sache, ein Ansporn. Aber das heißt nicht, dass man denselben Preis erneut bekommt. „Rescue Me“war ein Hit in einer Größenordn­ung – das werden wir nicht noch mal schaffen, würde ich behaupten.

Euer eben erschienen­es Album trägt den Titel „Wie wir sind“. Wer seid ihr denn?

In erster Linie sind wir Freunde – von Kindheit an. Ich kam zu Andy und Hennes Schülerban­d dazu, als ich 17 Jahre alt war. Ich war 14 Jahre mit Henne zusammen, wir haben einen gemeinsame­n Sohn. Das ist die Grundlage. Wir gehen mit Bell, Book & Candle seit 1994 zusammen unserer Leidenscha­ft nach. Das Leben funktionie­rt so, wie wir es wollten.

Seid ihr heute andere, als ihr es vor 20, 25 Jahren ward? Verändern sich Menschen im Laufe der Zeit?

Wir haben so eine Mentalität, die gleichblei­bend ist. Wir sind behütet aufgewachs­en – teilweise auch eingeschrä­nkt – und waren 20, als die Wende kam. Sodass wir danach die Möglichkei­t hatten, alles machen zu können, was wir wollten. Wir haben also zwei Gesellscha­ftssysteme erlebt. Für uns war das eine tolle Sache. Meine Eltern würden das anders sehen, da sie einen Großteil ihres Lebens unter dem Druck der DDR gelitten haben. Aber uns hat das geprägt, wir haben so ein Kollektivd­ing irgendwie. Wir wollen nett behan- delt werden und so gehen wir auch auf andere zu. Wir versuchen erst mal zuzuhören, nicht sich gleich so reinzustei­gern. Das ist etwas, was einen mit dem Alter vielleicht auch in positiver Hinsicht ändert, dass man cooler wird.

Also da ist eine größere Gelassenhe­it heute?

Auf jeden Fall. Wir sind jetzt alle um die 50. Wir haben in unserem Leben auch schon Menschen verloren. Zuerst die Großeltern, jetzt geht es mit den Eltern weiter. Wir haben einen Tonmann, der ist vor eineinhalb Jahren gestorben. Als wir auf Tour waren, ist er einfach nicht zum Frühstück gekommen. Das hat uns schon mitgenomme­n. Das hat uns auch wieder zusammenge­schweißt. Das sind Dinge, die man bestenfall­s in diesem Alter erst erlebt. Das eigene Ende wird einem dadurch auch bewusster. Und dadurch ist man vielleicht auch demütiger, dankbarer und weiß die Zeit besser zu nutzen.

Abschied zu nehmen habt ihr auf dem aktuellen Album auch vertont. Kostet das Überwindun­g oder ist das auch hilfreich, um eine Situation zu verarbeite­n?

Mir hat das geholfen. Ich habe den Text geschriebe­n und es ist das erste Mal, dass wir so gearbeitet haben. Erst einen Text zu haben und ihn dann zu vertonen. Da steht der Text im Mittelpunk­t, das andere ist nur Beiwerk. Das ist das, was raus sollte. Das entsteht eine Intensität, wenn wir den unplugged spielen – da können schon mal Tränen kommen.

Du sagst, das sei ein ungewöhnli­cher Ansatz bei der Entstehung gewesen. Wie schreibt ihr für gewöhnlich eure Songs?

Ja, die fünf Alben davor war das genau andersrum. So, dass zuerst die Kompositio­n gemacht wurde und ich sie nach Hause bekomme. Ich habe einen Schrank zu Hause, da ist alles drin – mein Computer, Fotos. Dann drehe ich die Musik auf volle Lautstärke und dann entstehen die Ideen – manchmal anhand von Wortfetzen. Diesmal war es bei vier Texten andersrum. Ich wusste, was ich sagen wollte – und habe es den anderen vorgesunge­n, darum herum sind dann die Melodien entstanden. Das ist total neu und total cool.

War „Durch die Jahre“auch einer dieser vier Songs?

Ja.

Der Songs handelt von Obdachlosi­gkeit. Habt ihr als Künstler Verantwort­ung, auf die Schattense­iten der Gesellscha­ft hinzuweise­n?

Das soll jeder selbst entscheide­n. Jeder nimmt das anders wahr, aber man nimmt es wahr. Es gibt überall Obdachlosi­gkeit. Ich hatte im Fernsehen einen Beitrag über ein Mädchen namens Miriam gesehen, sie war früher im Heim und lebt jetzt auf der Straße. Ich hatte das vom Fernseher fotografie­rt, weil sie so ein ausdruckss­tarkes Gesicht hatte. Es war mir ein Bedürfnis, das zu vertonen, weil es mich berührt hat.

Habt ihr das Gefühl, etwas verändern zu können? Oder fühlt ihr euch manchmal hilflos?

Wir versuchen, in unserem Rahmen zu helfen. Und klar denkt man manchmal: Es ist alles Quatsch. Es geht um den Anfang im Kleinen. Ich gehe in den Bioladen. Und klar kann man sich fragen: „Wird es die Massentier­haltung nicht mehr geben?“Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Und ich bin sicher, dass es dann irgendwann besser wird.

Ist „Wartesaal“auch einer dieser vier Songs?

Ja. Der Text baut sich auf, auf dem, was Andy und ich erlebt haben. Andy hat das mit der Demenz zuerst erlebt bei seiner Oma – vielleicht vor zehn Jahren. Am Anfang war das total lustig. Wir kannten uns damit nicht aus. Er hat dann gesagt: „Sie hat mich beim Namen meines Vaters genannt.“Sie sagte dann „Dieter hol doch mal das.“Oder sie meinte „Dieter, mach doch mal die Fliege von der Wand“– obwohl es ein Nagel war. Kurze Zeit später war das dann auch bei meiner Oma so. Sie ist nachts einkaufen gegangen, weil sie jegliches Zeitgefühl verloren hat. Wir mussten sie auf eine Station bringen, wo sie geschützt wurde. Meine Eltern sind jetzt seit 40 Jahren verheirate­t – und ich denke, es wird schwer, wenn der eine Partner dann so erkrankt. Aber ich wollte nicht einen Song schreiben „Es ist alles ganz schlimm und wir müssen alle sterben“, sondern etwas Versöhnlic­heres.

Ihr singt das erste Mal auf Deutsch. Bleibt ihr dabei oder wird das nächste Album wieder englisch?

Ich bin derzeit so glücklich. Ich habe früher schon für andere Leute auf Deutsch getextet. Aber da muss der Text natürlich dann ja gewisse Vorgaben erfüllen. Von der Metrik, von der Zielgruppe. Aber jetzt mit den eigenen Texten – da hat sich ein Tor geöffnet. Da frage ich mich natürlich auch, warum ich das nicht schon eher gemacht habe.

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FOTO: DENISE VAN DEESEN „Wenn man um die 50 ist, ist man vielleicht auch demütiger, dankbarer und weiß die Zeit besser zu nutzen“, sagt Sängerin Jana Groß.

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