Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Russland verschärft den Ton
Außenminister Lawrow gibt den USA die Schuld
TASCHKENT/BRÜSSEL (dpa/AFP) Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat Washington für die Ausweisung zahlreicher Diplomaten seines Landes aus westlichen Staaten verantwortlich gemacht. Die Ausweisungen seien das „Ergebnis kolossalen Drucks, kolossaler Erpressung“seitens der USA, sagte Lawrow am Dienstag in Usbekistan. Russland werde reagieren, daran bestehe kein Zweifel. Das „launische Verhalten“könne nicht unbeantwortet bleiben.
In der Affäre um den Giftgasanschlag auf den Ex-Spion Sergej Skripal haben außer Großbritannien nun 17 von 28 EU-Staaten insgesamt 57 russische Diplomaten ausgewiesen. 83 russische Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter müssen sieben weitere Länder – die USA, Kanada, Australien, Albanien, Mazedonien, Norwegen und die Ukraine – verlassen. Am Dienstag hatte sich die Nato angeschlossen und sieben Ausweisungen beantragt.
BERLIN/BRÜSSEL - Der Streit zwischen London und Moskau nimmt weiter an Schärfe zu. Nachdem zahlreiche EU-Länder russische Diplomaten ausgewiesen haben, wird ein russischer Gegenschlag erwartet. In Deutschland regt sich Kritik an dem Akt der Solidarität mit Großbritannien.
Es sei „leichtfertig, ohne belastbare Beweise nur aufgrund von Indizien so gegen Russland vorzugehen und in einen neuen Kalten Krieg zu stolpern“, warf Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin der Bundesregierung vor. Durch den Konfrontationskurs sei nichts zu gewinnen. Ex-EUKommissar Günther Verheugen von der SPD mahnte: „Die Haltung, dass Putin und die Russen im Zweifel für alles verantwortlich sind, ist eine Vergiftung des Denkens, die aufhören muss.“
Groß ist die Beunruhigung auch bei den Unternehmen: Eine „Eskalationsspirale“sei nun zu befürchten, sagte Wolfgang Büchele, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. Dabei „weisen nicht alle plausiblen Tatmotive eindeutig nach Moskau“.
Österreich sieht sich als neutral
Zwar legt auch die Nato am Dienstag nach, entzieht sieben Mitarbeitern der russischen Vertretung im Hauptquartier in Brüssel die Akkreditierung. Aber nicht alle EU-Staaten sind an Bord. Ein harter Kern von aus wirtschaftlichen oder historischen Gründen Russland eng verbundenen Ländern beteiligt sich nicht.
Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz sagte klipp und klar: „Wir werden keine nationalen Maßnahmen ergreifen.“Österreich sei ein neutrales Land und sehe sich als „Brückenbauer zwischen Ost und West. Wir wollen die Kommunikationskanäle zu Russland offen halten“, erklärte Kurz in einer schriftlichen Stellungnahme, die auch die von der rechten FPÖ gestellte Außenministerin Karin Kneissl unterschrieben hatte. Die FPÖ hat mit Putins Partei „Vereinigtes Russland“ein Kooperationsabkommen.
Auch Griechenlands Premier Alexis Tsipras lässt mitteilen, sein Land verhänge prinzipiell keine Sanktionen gegen ein Mitglied des UN-Sicherheitsrats. Zypern, in dessen Bank Milliarden an russischem Vermögen lagern, schloss sich dieser Erklärung an. Eine bizarre Begründung dachte sich Bulgarien aus: Die derzeitige Rolle der Ratspräsidentschaft der EU verpflichte zu absoluter Neutralität, hieß es aus diplomatischen Kreisen in Sofia.
Ungarn hingegen schert dieses Mal erstaunlicherweise nicht aus. Viktor Orban, der wiederholt Sympathien für Wladimir Putins autokratischen Führungsstil geäußert hatte und auf russische Beteiligung am Neubau eines Atomkraftwerks hofft, stellte sich an die Seite des Westens und schickte einen russischen Diplomaten nach Hause.
In einer besonders vertrackten Lage befindet sich Malta. Das Land hat enge historische Bindungen an Großbritannien, verdient aber viel Geld damit, reichen Russen EU-Pässe zu verkaufen. Die offizielle Begründung dafür, sich nicht an der Solidaritätsaktion zu beteiligen, lautet: Die eigene Botschaft in Moskau sei so klein, dass eine Ausweisung maltesischer Diplomaten die Arbeit dort komplett lahmlegen würde.