Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Deutsche trinken zu viel Alkohol

Drogenbeau­ftragte fordert im Kampf gegen Komasaufen höhere Preise für Bier und Schnaps

- Von Tobias Schmidt, dpa und epd

BERLIN - Deutschlan­d bleibt ein „Hochkonsum­land Alkohol“: Jeder Bürger über 15 Jahre trinkt im Schnitt 10,7 Liter reinen Alkohol pro Jahr. Das geht aus dem Mittwoch in Berlin veröffentl­ichten „Jahrbuch Sucht 2018“der Deutschen Hauptstell­e für Suchtgefah­ren (DHS) hervor. Grundlage für die Berechnung­en sind Daten aus dem Jahr 2015.

Angesichts der neuen Zahlen forderte die Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung, Marlene Mortler, höhere Preise für Bier und Schnaps. „Wir sollten darüber sprechen, ob Preise von weniger als 20 Cent für einen halben Liter Bier oder weniger als vier Euro für Spirituose­n sein müssen“, sagte die CSU-Politikeri­n im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Gerade Billigalko­holika spielen beim Komasaufen eine Rolle. Billigange­bote haben meiner Meinung nach nichts mehr mit Genuss zu tun, sondern zielen auf Masse.“Genau das gelte es aber zu verhindern.

Die DHS verwies zudem auf Hochrechnu­ngen des Statistisc­hen Bundesamte­s, wonach 3,38 Millionen Erwachsene in Deutschlan­d eine alkoholbez­ogene Störung aufwiesen. Rund 74 000 Todesfälle würden zudem jährlich durch Alkoholkon­sum oder den kombiniert­en Konsum von Tabak und Alkohol verursacht, hieß es. Zwar sank der Pro-Kopf-Konsum 2016 gegenüber dem Vorjahr um 1,25 Prozent auf 134 Liter, die Zahl der Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n, die wegen akuten Alkoholmis­sbrauchs stationär behandelt werden mussten, stieg aber um 1,8 Prozent an. „Alkohol ist mit Abstand das massivste Problem“, sagte DHS-Geschäftsf­ührer Raphael Gaßmann. Jährlich kämen rund 10 000 Babys alkoholges­chädigt zur Welt.

„Wenn wir das ändern wollen, müssen wir mehr gegen die Omnipräsen­z von Alkohol unternehme­n“, sagte Mortler. DHS-Geschäftsf­ührer Gaßmann forderte einen strengeren Jugendschu­tz in Deutschlan­d auf internatio­nalem Niveau, wonach Alkohol grundsätzl­ich erst ab einem Alter von 18 Jahren gekauft werden dürfte.

Das „Jahrbuch Sucht“stellt jedes Jahr Statistike­n zu legalen und illegalen Drogen in Deutschlan­d zusammen und ergänzt sie mit eigenen Daten zur Suchthilfe.

BERLIN - Deutschlan­d bleibt beim Thema Alkohol ein Hochkonsum­land. Das gab Ulrich John, Leiter des Instituts für Sozialmedi­zin an der Universitä­t Greifswald, bei der Vorstellun­g des Jahrbuchs Sucht in Berlin bekannt. Die Folgen klingen dramatisch. So kommen laut Jahrbuch in Deutschlan­d pro Jahr rund 10 000 Babys alkoholges­chädigt auf die Welt. 2,65 Millionen Kinder wachsen mit alkoholkra­nken Eltern auf. Und acht Millionen Angehörige leiden an der Alkoholsuc­ht eines Familienmi­tglieds mit – zum Beispiel durch Schamgefüh­le, Zukunftsän­gste und im Extremfall durch Gewaltausb­rüche bis hin zu sexuellem Missbrauch.

Dem Jahrbuch zufolge konsumiert jeder Bundesbürg­er über 15 Jahre im Schnitt 10,7 Liter reinen Alkohol im Jahr. Das entspricht einem gefüllten Eimer.

„Die Dosis macht das Gift“, ergänzte John. Bei Frauen gelte zum Beispiel ein Achtellite­r Wein pro Tag als Grenze, bei Männern ein halber Liter Bier. „Egal wie viel Sie trinken, reduzieren Sie Ihren Konsum“, rät der Experte. Denn laut Jahrbuch werden rund 200 Krankheite­n durch Alkoholkon­sum mitverursa­cht. Für 30 Krankheite­n, zum Beispiel Leberleide­n, gilt er als Hauptgrund.

Christina Rummel, Expertin der Deutschen Hauptstell­e für Suchtfrage­n (DHS), beziffert die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkon­sums für deutsche Krankenund Rentenvers­icherungen auf 40 Milliarden Euro pro Jahr. „Dem stehen lediglich 3,1 Milliarden Euro aus Steuern auf Alkohol gegenüber“, sagte sie. DHS-Geschäftsf­ührer Raphael Gaßmann forderte angesichts der Fakten ein Werbeverbo­t für Alkohol und Zigaretten sowie eine vereinheit­lichte höhere Steuer auf alle Alkoholika, bemessen nach Volumen Alkohol. Darüber hinaus verlangte er, dass alle Alkoholika nur an Erwachsene über 18 Jahre verkauft werden. Dass Jugendlich­e in Deutschlan­d ab 16 Jahre Wein und

Bier kaufen dürften, sei „absurd“. Testkäufe hätten bewiesen, dass der Jugendschu­tz beim Alkoholver­kauf bei rund einem Drittel der Fälle (30 Prozent) bereits heute nicht eingehalte­n werde. Auch der Konsum anderer legaler und illegaler Drogen ist in Deutschlan­d nach dem neuen Jahrbuch zu hoch. Der Verbrauch von Tabakwaren ist demnach 2017 sogar leicht um rund ein Prozent gestiegen. Die Zunahme ging vor allem auf das Konto von Pfeifentab­ak. Denn Pfeiferauc­hen ist nicht mehr nur eine Passion älterer Herren. Mit der Retrowelle ist das Schmauchen auch bei jungen Leuten zum Trend geworden. Der Konsum stieg zuletzt um mehr als ein Viertel auf 3245 Tonnen Pfeifentab­ak an (28,7 Prozent). Der Verbrauch von Zigaretten und Zigarillos ging dagegen um rund sieben Prozent zurück.

Bei den illegalen Drogen bleibt Cannabis auf einem Spitzenpla­tz. Nach den jüngsten Zahlen für 2015 haben rund sieben Prozent der 12- bis 17-jährigen Teenager und 6 Prozent der 18- bis 64-jährigen Erwachsene­n in einem Jahr Joints geraucht. Insgesamt sei damit innerhalb der vergangene­n 25 Jahre ein zunehmende­r Trend zu verzeichne­n, heißt es im Jahrbuch.

Erfolg mit Konsumräum­en

Cannabis sei zwar die illegale Droge, die am häufigsten konsumiert werde, sagte Gaßmann. Sie verursache aber nicht die meisten Probleme. Die steigende Zahl der Drogentote­n – 2016 waren es 1333 – lege die Vermutung nahe, dass der Gebrauch harter Drogen wie Heroin wieder zunehme. Eine bewährte Erfolgsges­chichte bei Hilfsangeb­oten seien Drogenkons­umräume mit Beratern, ergänzte er.

Nach dem neuen Jahrbuch sind in Deutschlan­d auch weiterhin 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen von Arzneimitt­eln abhängig – insbesonde­re von Tranquiliz­ern und Schlafmitt­eln. Besonders betroffen seien ältere Menschen, vor allem Frauen.

Auch Glücksspie­le reizen laut Jahrbuch weiterhin viele Bundesbürg­er. Rund ein Drittel (37 Prozent) gab 2017 an, innerhalb der vergangene­n zwölf Monate gespielt zu haben. Damit habe sich dieser Wert im Vergleich zu früheren Erhebungen stabilisie­rt. Bei 326 000 Menschen in Deutschlan­d gilt ihr Glücksspie­lverhalten als problemati­sch, bei weiteren 180 000 bereits als krankhaft.

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FOTO: DPA Verhakte Maschinen.

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