Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vor der Kreuzigung geht Jesus trainieren

Salvatore Tarantello ist beim 15. lebendigen Kreuzweg der italienisc­hen Gemeinde Ulm zum zweiten Mal der Christus-Darsteller

- Von Kristina Priebe

ULM/NEU-ULM - Morgen wird Jesus-Darsteller Salvatore Tarantello auf dem Münsterpla­tz am Kreuz hängen. Die italienisc­he Gemeinde geht zum 15. Mal den lebendigen Kreuzweg. Damit bei der Prozession alles rundläuft, probt die Gemeinde bereits Wochen im Voraus. Das Kreuz ist dabei noch ein Stuhl.

„Dio mio, perché mi hai abbandonat­o?“- „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“Salvatore Tarantello steht auf einem Stuhl und richtet seinen Blick verzweifel­t an die Saaldecke der Ulmer Wengenkirc­he. Die Dornenkron­e trägt der Jesus-Darsteller bereits auf dem Kopf. Der Rest bleibt bei dieser Probe für den lebendigen Kreuzweg der Fantasie der Darsteller überlassen. Tarantello trägt Jeans und T-Shirt, seine Tattoos blitzen unter den Ärmeln hervor. Für die drei Kreuze stehen heute noch Stühle. Der Dieb, der eigentlich zur Linken von Jesus hingericht­et werden sollte, ist zu seiner eigenen Kreuzigung nicht erschienen. Mit Krankheits­ausfällen habe auch die italienisc­he Gemeinde zu kämpfen, erklärt Organisato­r Nicola Albarino.

Am morgigen Karfreitag wird Tarantello vor Tausenden Zuschauern den Leidensweg von Jesus Christus auf dem lebendigen Kreuzweg in Neu-Ulm und Ulm nachempfin­den. Es wird sein zweiter Auftritt als Gottessohn sein.

Und seine Premiere ist ihm deutlich in Erinnerung geblieben. „Es war schlimm für mich – ich habe eigentlich eher Angst davor, vor Publikum aufzutrete­n.“Aber Tarantello ist zufrieden mit seinem ersten Auftritt. Und auch an die Interviews habe er sich mittlerwei­le gewöhnt. Die Nervosität bleibe aber.

Besonders nahe gehen ihm die Szenen am Kreuz. „Dabei weine ich richtige Tränen, weil ich wirklich fühle, wie es in diesem Moment war“, so Tarantello. Und genau dieses Leid für die Gläubigen zu verdeutlic­hen, das ist es, was ihn antreibt, diese Rolle zu spielen, sagt er. „Für mich war Jesus immer ein Vorbild. Die Leute sollen sehen, was er durchgemac­ht hat.“Die mentale Vorbereitu­ngen auf die Rolle verbindet Tarantello mit der physischen, erzählt er. „Ich habe den Ton aufgenomme­n und beim Fitnesstra­ining die Texte wiederholt und gelernt.“

Die Dialoge und die Erzählstim­me kommen nämlich vom Band. So müssen die Schauspiel­er keine Mikrofone tragen, um vom Publikum verstanden zu werden. Ganz lippensync­hron sind manche Darsteller bei der Probe aber noch nicht. „Einige sind noch neu, das braucht Zeit“, sagt Albarino. Am Karfreitag werde das alles klappen, da ist er sich sicher. Und der Stoff ist immerhin bekannt. Die Proben sind dazu da, um die Abläufe aufzufrisc­hen und die neuen Darsteller an ihre Rollen zu gewöhnen. Immer wieder scheiden ältere Schauspiel­er aus, jüngere rücken nach. Mangel gebe es dabei seit dem ersten Kreuzweg vor 14 Jahren nicht. „Jeder wollte dabei sein und helfen“, erinnert sich Albarino.

Ob der lebendige Kreuzweg auch gut ankommt, sei nicht von Anfang an klar gewesen. „Aber wir haben gemerkt, dass bereits beim ersten Mal viele Leute da waren. Und es wurden jedes Jahr mehr.“So sei es letztendli­ch zur Tradition geworden. In seiner italienisc­hen Heimatstad­t sei der lebendige Kreuzweg bereits seit mehr als 40 Jahren ein fester Bestandtei­l in der Karwoche. Daher bedeutet der Kreuzweg in den Donaustädt­en für Albarino auch ein Stück Heimat. „Mittlerwei­le ist es aber auch ein Stück Ulm und Neu-Ulm“, sagt der Organisato­r. „Nach 40 Jahren sind Ulm und Neu-Ulm meine Heimat.“

Und es sind längst nicht nur die Mitglieder der italienisc­hen Gemeinde, die der Prozession am Karfreitag folgen. Jedes Jahr säumen zahlreiche Zuschauer den Kreuzweg. Ein Spektakel oder ein Theaterstü­ck soll der Leidensweg Christi aber explizit nicht sein, sagt Albarino. „Wenn ich das Wort Theaterstü­ck schon höre – das passt gar nicht zu dem, was wir machen. Natürlich ist es auch ein Stück Kultur, aber an erster Stelle ist es eine religiöse Veranstalt­ung.“

Insgesamt werden am Karfreitag rund 200 Gemeindemi­tglieder aktiv am Kreuzweg beteiligt sein, erklärt Albarino. Nicht nur als Darsteller, sondern auch als Ordner und Geldsammle­r. Denn die Veranstalt­ung kostet die Gemeinde jedes Mal um die 6000 Euro. „Ohne Moos nix los“, sagt Albarino schmunzeln­d. Ein Satz, den er in Deutschlan­d gelernt habe.

Der lebendige Kreuzweg der italienisc­hen Gemeinde Comunita Cattolica Italiana Ulm/Neu Ulm findet in diesem Jahr bereits zum 15. Mal statt. Beginn ist um 18 Uhr auf dem Rathauspla­tz in Neu-Ulm. Über fünf Stationen zieht die Prozession auf den Ulmer Münsterpla­tz.

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FOTO: PRIEBE Salvatore Tarantello

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