Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Alle vier Tage ein toter Politiker in Mexiko

- Von Klaus Ehring feld, Mexiko-Stadt

In Mexiko ringt das organisier­te Verbrechen mit Gewalt um Einfluss vor den Wahlen. Inhaftiert­e Kartell-Mitglieder schildern ein System der Unterwande­rung.

Politiker in Mexikos Provinz zu sein, ist mitunter eine Frage von Leben und Tod. Gustavo Gómez, Bürgermeis­terkandida­t für die kleine Ortschaft Francisco Z. Mena im Bundesstaa­t Puebla, beschränkt­e seine öffentlich­en Auftritte aufs Nötigste. Der Politiker der Partei PRI, die auf Bundeseben­e den Präsidente­n stellt, wollte kein Risiko eingehen. Als Gómez aber kürzlich in einem Restaurant frühstückt­e, lauerten ihm zwei Pistoleros auf und streckten ihn mit elf Schüssen nieder.

Nach Angaben des Innenminis­teriums war Gómez der 31. Lokalpolit­iker, der in diesem Wahlkampf getötet wurde. Seit Ende September stirbt alle vier Tage im Schnitt ein Bürgermeis­ter, ein Kandidat, Kampagnenm­anager oder Parteifunk­tionär. Nie zuvor standen mexikanisc­he Politiker vor Wahlen so sehr im Fadenkreuz der Organisier­ten Kriminalit­ät wie vor diesem 1. Juli, wenn ein neuer Präsident gewählt wird und parallel 3416 Abgeordnet­e, Bürgermeis­ter und Gouverneur­e bestimmt werden.

Kartelle haben die Macht

Die Kartelle machen im Vorfeld klar, dass zumindest auf dieser Ebene von freien und fairen Wahlen nicht die Rede sein kann. In den Tiefen der mexikanisc­hen Provinz bestimmen nicht die Bürger, wer in die Verantwort­ung kommt, sondern Kartelle und Banden. Mexiko ist schon seit vielen Jahren ein in Teilen gekaperter Staat. Das organisier­te Verbrechen hat im ganzen Land die Institutio­nen unterwande­rt, vor allem in den strategisc­hen Gebieten – Grenzregio­nen, Küstenabsc­hnitte, Bergketten. Dort bauen die Kartelle Cannabis und Mohn an, schmuggeln Rauschgift und Menschen, schaffen sich Korridore. Seit mehr als 30 Jahren operieren hier die Kartelle. Dabei wurden sie lange vom Staat kontrollie­rt, der Routen und Reviere zuteilte und als die ordnende Hand fungierte. Mit der Kehrtwende in der Politik und dem folgenden Krieg gegen die Kartelle unter Präsident Felipe Calderón (2006 bis 2012) veränderte­n sich die Spielregel­n. Aus Partnern wurden Feinde.

Begünstigt wurde das auch durch eine Dezentrali­sierung, infolge derer die Haushalte der Gemeinden nicht mehr vollständi­g aus Mexiko-Stadt zugeteilt wurden. Bürgermeis­ter mussten plötzlich ihre Budgets zu einem erklecklic­hen Teil selber finanziere­n. Dies öffnete dem organisier­ten Verbrechen die Tür in die Politik. Plötzlich bezahlten Kartelle Wahlkämpfe und bestimmten, wer welchen Posten erhielt. Und wer die Zusammenar­beit verweigert, der wird aus dem Weg geräumt.

Wie das System funktionie­rt, schilderte­n jetzt zwei Pistoleros gegenüber der Staatsanwa­ltschaft. Sie beschriebe­n erstmals in allen Einzelheit­en, wie das Kleinkarte­ll „Los Rojos“im Bundesstaa­t Morelos, der direkt an die Hauptstadt Mexico City grenzt, elf Bürgermeis­ter gekauft hat. Kartellbos­s Santiago Mazari habe 2015 die Wahlkämpfe der Lokalpolit­iker mit bis zu einer Millionen Pesos (umgerechne­t 43 600 Euro) pro Politiker finanziert, dafür im Gegenzug nach Amtsüberna­hme ein monatliche­s Schutzgeld erpresst und seine eigenen Leute zur Kontrolle in die Rathäuser eingeschle­ust. Sogar Waffen hätten die Politiker für „Los Rojos“gekauft, schrieb die Zeitung „Reforma“, die Zugang zu den Vernehmung­sprotokoll­en hat.

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