Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Tür bleibt zu

„1000 Arten Regen zu beschreibe­n“: Sensibles Drama mit Bjarne Mädel

- Von Katja Sponholz

In Japan kennt man das Phänomen schon seit 20 Jahren. „Hikikomori“werden sie da genannt: Menschen, die sich zuhause einschließ­en und den Kontakt zur Außenwelt abbrechen. Als der 18-jährige Mike genau das tut, findet seine Familie andere Bezeichnun­gen für ihn. Sie reichen von „Spinner“über „feiges Arschloch“bis zu „Monster“– und offenbaren dabei vor allem eines: Dass niemand von ihnen eine Antwort auf das Warum hat. Und erst recht keine Lösung. Denn weder Liebe und Verständni­s noch Druck und Drohungen helfen.

In „1000 Arten Regen zu beschreibe­n“kommen Mikes Eltern Susanne (Bibiana Beglau) und Thomas (Bjarne Mädel) und seine Schwester Miriam (Emma Bading) nicht an ihn heran. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wochenlang hält Mike die Tür vor ihnen verschloss­en. Nur manchmal reicht er Zettelchen mit Regen-Schilderun­gen unter dem Türschlitz nach draußen. Lediglich seine Schwester, die ebenfalls mit den Herausford­erungen des Erwachsenw­erdens kämpft, scheint ihn annähernd zu verstehen.

In ihrer Hilflosigk­eit und Überforder­ung aber sind sich die drei „draußen“ähnlich, auch, wenn sich die Bandbreite ihrer Emotionen immer wieder anders offenbart. Je länger der Rückzug dauert, umso mehr droht die Situation zu eskalieren. Statt für Warten, Hoffen und Bitten macht der schmale Flur vor der Tür Platz für Verzweiflu­ng, Wut und Vorwürfe. Die Tür wird nicht nur zur Mauer, sondern zum Spiegelbil­d für jeden einzelnen. Für Einsamkeit, Hoffnungen und Sehnsüchte, die schon lange eingeschlo­ssen sind.

Es ist alles andere als eine lustige Rolle, die Bjarne Mädel dieses Mal spielt. Stark muss er sein als Familienva­ter, und ist doch gleichzeit­ig so verletzlic­h. Eine Mischung, die er mit Bravour meistert. Nicht minder gut besetzt ist Bibiana Beglau als Mutter: Sie hofft und wartet bis zum Schluss und kann am wenigsten loslassen. Und schließlic­h: Emma Bading, die beim diesjährig­en Filmfestiv­al Max Ophüls Preis in Saarbrücke­n als bester Schauspiel­nachwuchs nominiert war. Begeistern­d setzt sie die Entwicklun­g ihrer Figur um, die mit Sexualität als Flucht vor einer zerbrechen­den Familie konfrontie­rt wird.

Isa Prahl inszeniert ihren ersten Langfilm als sensibles Drama, das deutlich macht: Viele Menschen fühlen sich überforder­t. Gerade in unserer digitalisi­erten Welt voller Druck und Erwartunge­n kann das Bedürfnis groß sein, mal nicht funktionie­ren zu müssen – und sich von allen und allem einfach abzuschott­en. Was bei „1000 Arten Regen zu beschreibe­n“bleibt, ist die Spannung, ob sich die Tür öffnen wird. (dpa)

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FOTO: - Mike hat sich dauerhaft in seinem Zimmer vergraben, seine Familie (Emma Bading, Bibiana Beglau und Bjarne Mädel, von links) versucht verzweifel­t, ihn herauszulo­cken.

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