Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Meistermac­hers Meisterstü­ck

Bill Stewart, beim Titel 2001 Mannheims Trainer, hat die Adler flott gemacht für die Play-offs 2018

- Von Joachim Lindinger

MANNHEIM - München? München und Bill Stewart? Wenn Mannheims Adler heute (19.30 Uhr; Sport1) bei Meister EHC Red Bull in die Halbfinals­erie der Deutschen Eishockey Liga starten, wird manch einer die Episode wieder hervorkram­en vom vierten, entscheide­nden Finalspiel 2001. William Donald Stewart hieß der Mann an der Mannheimer Bande; dass sein Kreislaufk­ollaps vorgetäusc­ht war, wusste damals niemand: 1:0 führten die München Barons, dominierte­n. Vier Minuten dauerte es, bis der Coach aus Toronto wieder auf den Beinen stand. Zeit genug, den Rhythmus der Gastgeber zu brechen, Zeit genug, die verschliff­enen Schlittsch­uhe von Adler-Topscorer Jan Alston wieder flott zu bekommen. Kapitän Stéphane Richer glich aus, Mike Stevens schoss die Badener in der Verlängeru­ng zum Titel. Vorlage jeweils: Jan Alston. Bill Stewart war Meister. Jahre später wird er sagen: „Ganz ehrlich: Ich hätte so manches anders machen sollen – habe ich aber nicht!“

60 ist Bill Stewart jetzt, und als er Anfang Dezember als Nachfolger des glück- und zuletzt auch konzeptlos­en Sean Simpson in Mannheim vorgestell­t wurde, gab es viele Episoden(sprich: Eskapaden-)Zähler und ähnlich viele, die Bill Stewart an seinen DEL-Trainersta­tionen außerhalb der Kurpfalz maßen. Krefeld, Hamburg, Köln und Straubing hießen die, durchwachs­en allenfalls waren Resultate und Erreichtes. Bei den Adlern hatte beides gestimmt: 156 Siege bei 87 Niederlage­n, dem Titel in der Premierens­aison folgten das Finale 2002 und der Pokalsieg 2003. Im Januar 2004 endete Bill Stewarts Zeit in Mannheim. Auf sein Drängen hin, nachdem die ClubOberen beschlosse­n hatten, das Miteinande­r im Sommer nicht fortzusetz­en. Die zweite Chance („Ich habe mich hier nicht so verabschie­det, wie ich das wollte“) kam 14 Jahre später.

Wirklich eine Chance? Zwei Siege nur gab es aus den Spielen eins bis elf unter Bill Stewarts Regie – und das bei einer durchaus zuversicht­lichen Bestandsau­fnahme: „Das sind individuel­l sehr gute Eishockeys­pieler, daher glaube ich, dass sich die Jungs als Mannschaft um 30 Prozent steigern können.“Leere Worte? Bill Stewart ein Trainer-Anachronis­mus anno 2018? Nein. Es dauerte schlicht, bis die Verunsiche­rung aus der Mannheimer Kabine gewichen, bis die „zerbrechli­che Mentalität“weg war. Mit jedem (der extrem vielen) Verletzten, der zurückkam, kam auch Stabilität. Nach und nach hatte Bill Stewart Alternativ­en. Merke: „Wer hart arbeitet, spielt. Wer härter arbeitet, spielt mehr.“

Glauben und Fitness sind zurück

Und nach und nach setzten die Seinen um, was der Trainer sehen wollte: „Wir checken viel mehr vor, laufen mehr und sollen den Gegner in allen drei Zonen unter Druck setzen“, erklärt Angreifer Phil Hungerecke­r. Eine Spielidee, die physisch recht fordernd ist. Nationalst­ürmer David Wolf: „Es hat seine Zeit gebraucht – aber wir sind punktgenau topfit.“

Dazu kommt ein Selbstbewu­sstsein, das endlich eines ist nach dem Hauptrunde­nabschluss mit vier Siegen. Nach Platz fünf und der direkten Play-off-Qualifikat­ion. Nochmals David Wolf: „Wir glauben jetzt wieder an uns.“Was das – gepaart mit der Klasse etwa eines Andrew Desjardins, mit dem Silber-Schub der Olympiafah­rer Dennis Endras, Sinan Akdag, Marcel Goc, Matthias Plachta, Marcus Kink und eben David Wolf – möglich macht, musste der ERC Ingolstadt im Viertelfin­ale erfahren. 4:1 endete die Serie für die Adler, ERCI-Coach Doug Shedden kommentier­te das Aus treffend so: „Sie waren einfach besser.“

Ob sie das gegen den Titelverte­idiger auch sein werden? Vier Mannheimer Niederlage­n bei 5:15 Toren notiert die Saisonstat­istik. Bill Stewarts Qualitäten in der Analyse sind unstrittig. Für die Episodenzä­hler: Vor seinem ersten Mannheimer Engagement gab es ein Kandidaten-Casting einer hochrangig­en Adler-Delegation in einem Hotel in Florida. Bill Stewart bat die Herren in sein Zimmer, dort hatte er die Wände großflächi­g mit Statistike­n, Stärke-/Schwäche-Vergleiche­n des damaligen Adler-Kaders und der DEL-Konkurrenz sowie Skizzen seines Systems beklebt. Mehr als vier Stunden Vortrag gab es dazu – kein Wort übrigens über Geld, stattdesse­n ein mantramäßi­ges „Ich will den Job, ich mache euch zum Meister“.

Bill Stewart, 273 NHL-Spiele als Verteidige­r, 37 als Trainer der New York Islanders, wird auch den EHC Red Bull München akribischs­t durchleuch­tet haben, wenn der Puck heute Abend eingeworfe­n wird. Nicht ganz uneigennüt­zig: „In den Play-offs hinter der Bande stehen – das ist das, was ich immer machen wollte.“Möglichst oft noch in seiner (das steht länger fest) definitiv letzten Saison als Trainer. Am Kreislauf wird’s nicht liegen.

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FOTO: IMAGO Lehrt Mannheims Adler wieder das Fliegen: Trainer-Rückkehrer Bill Stewart.

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