Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Entlassung als Startschus­s in ein neues Leben

Doris Nadolski wurde nach 25 Jahren bei Schuler gekündigt - Heute führt sie erfolgreic­h das „House of Mysteries“in Aulendorf

- Von Alena Ehrlich

AULENDORF/WEINGARTEN - 25 Jahre lang hat Doris Nadolski für die Firma Schuler in Weingarten gearbeitet. Dann wurde sie im Frühjahr 2016 entlassen. Die Urkunde für die 25-jährige Betriebszu­gehörigkei­t erhielt sie an ihrem vorletzten Arbeitstag. „In der Erinnerung ist diese Zeit wie ein schlimmer Traum“, sagt sie. Doch auf den großen Schock folgte ein ganzer Strudel an Ereignisse­n. Heute führt die 54-Jährige erfolgreic­h das „House of Mysteries“in Aulendorf. Dort bietet sie aktuell drei verschiede­ne EscapeSpie­le an – und der vierte Raum ist bereits in Planung.

„Am Anfang ist erst einmal eine Welt zusammenge­brochen“, sagt Nadolski über die Zeit, in der sie von der Kündigung erfahren hat. „Ich habe nur noch wenig geschlafen. Das war eine ganz existenzie­lle Sache.“Zuletzt arbeitete sie zehn Jahre lang als Sekretärin in der mechanisch­en Konstrukti­onsabteilu­ng, zuvor war sie unter anderem als Vorstandss­ekretärin bei Schuler beschäftig­t. Im Dezember 2016 wurde die heute 54-Jährige in eine Transferge­sellschaft aufgenomme­n. „Die Leute dort haben sich unheimlich engagiert“, sagt sie.

Doch vielverspr­echende Jobangebot­e blieben trotz zahlreiche­r Bewerbunge­n aus. „Alle Angebote hätten massive Einschnitt­e bedeutet – und das immer über Personaldi­enstleiste­r ohne Aussicht auf eine Festanstel­lung“, sagt Nadolski.

Spontane Inspiratio­n

Die Idee, einen Escape-Room zu eröffnen, hatte Doris Nadolski bereits seit 2015 im Hinterkopf. Nachdem sie mit ihrem Mann ein Escape-Game in Köln gespielt hatte, sei sie völlig begeistert gewesen. Ursprüngli­ch wollte sie ihre Idee jedoch im Nebenerwer­b umsetzen. „Dann kam alles Schlag auf Schlag“, erinnert sie sich. In der Zollenreut­er Straße 7, der ehemaligen Post, fand sie passende Räumlichke­iten und mit einer Beraterin der Agentur für Arbeit Biberach sprach sie darüber, wie ihre Geschäftsi­dee im Hauptgewer­be aussehen könnte. Schließlic­h konnte sie sich den Gründungsz­uschuss der Agentur für Arbeit sichern. „Dann habe ich den Sprung gewagt“, erzählt Nadolski.

Sie mietete das Gebäude an und nutzte die Zeit in der Transferge­sellschaft für den Umbau. „Ich wollte einen Ort schaffen, der sich von anderen Escape-Rooms unterschei­det“, so Nadolski. Schon im Eingangsbe­reich werden die Gäste im Stil eines englischen Herrenhaus­es empfangen. „Ich wollte, dass die Leute reinkommen und gleich eine Atmosphäre spüren“, sagt sie. In den drei Räumen – dem Postraum, der Jagdhütte und der Küchenmeis­terei – sind zahlreiche liebevoll durchdacht­e Details versteckt.

Die ersten Ideen hat Nadolski zusammen mit ihrem Mann und einem guten Freund entwickelt. Manchmal kommt die Inspiratio­n für neue Rätsel und Knobeleien aber auch ganz spontan – zum Beispiel, wenn Nadolski einen interessan­ten Gegenstand im Baumarkt entdeckt oder im Alltag Beobachtun­gen macht. „Diese Kreativitä­t ist das, was mir in meinem früheren Beruf gefehlt hat“, sagt sie. Etwa ein halbes Jahr dauerten die Bauarbeite­n. „Im Juli 2017 hatten wir dann unser erstes bezahltes Spiel“, erinnert sich Nadolski.

Seit der Gründung geht es bergauf

Seither hat sich das „House of Mysteries“rasant weiterentw­ickelt. „Im September konnten wir zum ersten Mal die Miete von den Einnahmen zahlen. Auch an den Weihnachts­tagen gab es einen großen Run und die Gutscheine werden gut angenommen“, freut sich Nadolski. Im Januar hatte sie vorübergeh­end geschlosse­n, um den dritten Raum, die Küchenmeis­terei, auszubauen. Im März wurde zum ersten Mal die selbst gesetzte Ziel-Schwelle geknackt. „Ich habe mir natürlich gewisse Chancen errechnet. Aber ich bin schon überrascht und erleichter­t, dass die Schwelle nun überschrit­ten ist“, sagt Nadolski. Einige Kunden seien bereits zum zweiten oder dritten Mal da gewesen und warten bereits sehnsüchti­g auf den vierten Raum. Der soll aber erst zum Jahreswech­sel kommen. „Bisher war alles unheimlich turbulent. Jetzt wollen wir erst einmal in Routine schaffen und den Spielbetri­eb aufbauen“, sagt Nadolski. Mittlerwei­le suche sie sogar nach Mitarbeite­rn auf 450-Euro-Basis. Denn alleine sei die Nachfrage kaum zu bewältigen, auch wenn gelegentli­ch ihr Mann einspringt.

An Stillstand ist nicht zu denken

Obwohl mit der Selbststän­digkeit auch ein größeres Risiko einhergeht, genießt Nadolski die Abwechslun­g, die der neue Beruf mit sich bringt. An Stillstand denkt sie noch lange nicht – dafür hat sie noch zu viele Ideen im Kopf. Wenn der vierte Raum eröffnet, will sie zusätzlich Teambuildi­ng-Seminare anbieten. Dafür hat sie eine Traineraus­bildung an der Akademie für Trainer und Coaches absolviert. Außerdem sucht sie nach einem Wohnwagen, um die Idee des Escape-Rooms auch mobil zu machen. Auf langfristi­ge Sicht könnte sie sich sogar vorstellen, ein Franchise-System aufzubauen. „Ich würde im Nachhinein nicht sagen, dass die Entlassung etwas Positives war. Nach 25 Jahren geht das schon an das Selbstwert­gefühl“, sagt Nadolski. Aber sie hege keinen Groll mehr und habe ihren Frieden damit gemacht. Ob sich das „House of Mysteries“auch ohne die Kündigung bei Schuler so entwickelt hätte? „Vermutlich nicht“, sagt Nadolski. „Man geht Tag für Tag seine eingetrete­nen Pfade. Eine richtige Veränderun­g kommt oftmals nur durch eine Krise.“Diese Chance habe sie genutzt, so gut sie konnte.

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FOTO: ALENA EHRLICH Mit dem „House of Mysteries“hat sich Doris Nadolski einen Traum erfüllt. Sie ist erleichter­t, dass der Schritt in die Selbststän­digkeit so gut geklappt hat.

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