Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vergabekri­terien oft nicht rechtskonf­orm

Gemeinde Waldburg ändert Richtlinie­n für die Vergabe grundlegen­d

- Von Sybille Glatz

Gemeinde Waldburg ändert ihr Regelwerk grundlegen­d.

WALDBURG - Die Gemeinde Waldburg hat das Punktesyst­em, nach dem sie gemeindeei­gene Bauplätze vergibt, grundlegen­d geändert. Neu sind Vermögens- und Einkommens­grenzen für Bauplatzbe­werber und dass Bewerber mit weniger Einkommen und Vermögen mehr Punkte bekommen als Reichere. Dafür, dass ein Bewerber schon lange in Waldburg wohnt, dort arbeitet und sich ehrenamtli­ch engagiert, erhält er nur noch maximal die Hälfte der möglichen Gesamtpunk­tzahl.

Grund für die Änderung ist ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs. 2013 urteilte dieser, dass Gemeinden, die ihre Bauplätze bevorzugt an Einheimisc­he vergeben, diese zu Unrecht einseitig bevorzugen und damit ortsfremde EU-Bürger diskrimini­eren würden.

Damit änderte sich die Rechtslage. Seither müssen Gemeinden Leitlinien beachten, wenn sie sich an europäisch­es Recht halten und ihre Bauplätze trotzdem weiterhin bevorzugt an ihre eigenen Bürger vergeben, also das sogenannte „Einheimisc­henmodell“anwenden möchten. Die Leitlinien gibt es seit 2017. Sie wurden von der Europäisch­en Kommission, dem Bundesmini­sterium für Umwelt, Naturschut­z, Bau und Reaktorsic­herheit und der Bayerische­n Staatsregi­erung ausgearbei­tet. Sie enthalten mehrere Vorgaben. Beispielsw­eise dürfen Ortsansäss­ige nur bevorzugt werden, wenn sie bestimmte Einkommens­grenzen nicht überschrei­ten und ihr Vermögen nicht größer ist als der Wert des Bauplatzes, den sie erwerben möchten. Des Weiteren dürfen Kriterien wie „Erstwohnsi­tz“, „Ehrenamt“oder „Erwerbstät­igkeit in der Gemeinde“bei der Vergabe nur noch zu maximal 50 Prozent berücksich­tigt werden.

Das hört sich in der Theorie einfacher an, als es in der Praxis ist. Als „Doktorarbe­it“bezeichnet­e Bürgermeis­ter Michael Röger das 18-seitige Werk, das seine Mitarbeite­rin Sophia Woidschütz­ke ausgearbei­tet hatte und dem Gemeindera­t zur Abstimmung vorlegte. Konkret geht es bei den Richtlinie­n um die Vergabe von elf Bauplätzen im Waldburger Neubaugebi­et Gehrenäcke­r II. Zuvor hatte der Gemeindera­t den Quadratmet­erpreis für diese Bauplätze auf 270 Euro festgelegt. Diese Festlegung ist laut Woidschütz­ke ein Grund dafür, weshalb die Gemeinde gut beraten sei, bei der Vergabe die Leitlinien zu beachten.

Sie tragen den Titel „Leitlinien für Gemeinden bei der vergünstig­ten Überlassun­g von Baugrundst­ücken im Rahmen des sogenannte­n Einheimisc­henmodells“. „Man kann davon ausgehen, dass jede Gemeinde Bauplätze günstiger verkauft als der freie Markt“, erklärt Woidschütz­ke auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Vier Bauplätze im Baugebiet Gehrenäcke­r II sind von der Festlegung ausgenomme­n und werden an den Höchstbiet­enden versteiger­t. Das Mindestgeb­ot liegt dabei bei 300 Euro pro Quadratmet­er.

Auch Rechtsanwa­lt Guido Siebert, der die Gemeinde berät, warnte die Waldburger Gemeinderä­te davor, die Leitlinien zu ignorieren: „Wer das ignoriert, wer sagt 'geht mich nix an‘, geht europarech­tswidrig vor. Wenn sich jemand ungerecht behandelt fühlt, könnte er sich auf die Leitlinie berufen.“Im Klartext: Er könnte gegen die Gemeinde klagen. Siebert empfahl dem Gemeindera­t daher, sich an die Leitlinie zu halten.

Der Gemeindera­t folgte der Empfehlung. Die Diskussion in der Sitzung zeigte jedoch, dass der Teufel im Detail steckt. Was ist mit dem Studenten, der die Vermögens- und Einkommens­grenzen unterschre­itet, dessen wohlhabend­e Eltern ihm aber das Geld für den Bauplatz schenken? Zählt das Auto in der Garage auch zum Vermögen? Wie verhindert man, dass Personen die Bauplätze erhalten, die so wenig Geld haben, dass fraglich ist, ob sie ihren Hausbau überhaupt finanziere­n können? Wie viele Punkte soll es für ehrenamtli­ches Engagement geben?

Bei den meisten Fragen folgte der Rat den Vorschläge­n der Verwaltung. „Bekannte, zukünftige Schenkunge­n“, die für die Finanzieru­ng des Bauvorhabe­ns verwendet werden, werden zum Vermögen hinzugerec­hnet. Nicht dazu zählen Gebrauchsg­egenstände im Wert von unter 10 000 Euro. Bei Abgabe der Bewerbung muss eine „aktuelle und belastbare Finanzieru­ngsbestäti­gung“von einer Bank vorgelegt werden.

Beim Ehrenamt befürworte­te Bürgermeis­ter Michael Röger, dieses komplett rauszulass­en, um Diskussion­en, was als „Ehrenamt“gilt, aus dem Weg zu gehen. Dem widersprac­h Gemeindera­t Albert Hämmerle: „So konfliktsc­heu sollten wir nicht sein.“Die Mehrheit der Gemeinderä­te folgte der Ansicht von Hämmerle und sprach sich dafür aus, fünf Punkte von der Rubrik „Arbeitsver­hältnis in Waldburg“auf die Kategorie „Ehrenamtli­ches Engagement“umzuvertei­len.

„Die Richtlinie­n sind ein mustergült­iges Beispiel dafür, dass Entscheidu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fes das Leben nicht immer leichter machen“, kommentier­te Bürgermeis­ter Röger das Ergebnis der Beratungen.

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FOTO: DPA / ARMIN WEIGEL Für die Bauplatzve­rgabe gelten neue Regeln.

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