Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bei Angst vor Behördengängen hilft Kafka
Abend zur Romantherapie hat das Ravensburger Lesefestival eröffnet
RAVENSBURG - Das fünfte Ravensburger Lesefestival für Kinder und Jugendliche hat mit einem Abend für Eltern, Großeltern und Paten begonnen: Traudl Bünger hat am Donnerstag im Ravensbuch die Romantherapie vorgestellt. Zwischen den Regalen der Buchhandlung fühle sie sich wie in einer wohlausgestatteten Apotheke. Denn für jedes Leiden und jede Lebenslage gebe es hilfreiche Romane.
Ihre eigene Behandlung hat die erkältete Autorin zurückgestellt: Eigentlich müsse sie jetzt mit einem spannenden Buch im Bett liegen. Was die Spannung angeht, könnte Yann Martels Roman „Schiffbruch mit Tiger“durchaus auch bei Erkältung eingesetzt werden. Bünger empfiehlt ihn zum Stichwort „Klemme, in einer stecken“. Menschen, die Angst vor Behördengängen haben, sollten Franz Kafkas „Der Prozeß“lesen, sagt die Autorin. Danach könne sie nichts mehr schrecken. Und wen „Gerechtigkeitsempfinden, enttäuschtes“quält, dem rät sie zu Kleists „Michael Kohlhaas“.
Bei den Tipps für Kinder darf das Publikum wählen: „Minderwertigkeitskomplex“ist nicht gefragt, stattdessen interessieren sich die Zuhörer für „Alter, kein Respekt vor dem“. Kindern, die keine Lust auf Oma- oder Tantenbesuche haben, würde Bünger die „Gangsta-Oma“von David Walliams auf den Nachttisch legen. Dann bestehe die Chance, dass sie beim nächsten Besuchstermin mehr Interesse aufbringen. Und wenn es um anständiges Benehmen in allen Lebenslagen geht, rät die Autorin zu Martin Auers „Lieschen Radieschen und der Lämmergeier“. Von A wie „Abschied“oder „Abenteuerlust“bis Z wie „Zurückweisung“oder „Zwilling, einer sein“reichen die Stichworte der beiden Handbücher zur Romantherapie, die Bünger vorstellt – eins für Erwachsene und eins für Kinder. Nicht alle Stichworte sind ganz ernst gemeint, etwa wenn es um Probleme geht wie „Bett, Unfähigkeit es zu verlassen“, „Leseleiden: Buchkäufe, zwanghafte“oder „Superheld, einer sein wollen“.
Bücherauswahl sei radikal
Die Idee für die Romantherapie-Bücher kommt Ella Berthoud und Susan Elderkin, berichtet Bünger. Die Kölner Literaturwissenschaftlerin ist jeweils Mitautorin der deutschen Ausgaben. Die Bücherauswahl sei natürlich radikal subjektiv und auch nicht vollständig. Aber die Autorin hofft, dass das Werk die Leser anregt, mehr über Bücher zu sprechen und selber zu Romantherapeuten zu werden. Interessant sind die Bücher auch für Erwachsene und Kinder ohne therapiebedürftige Leiden: Es macht einfach Spaß, sie zu lesen. Und die Fülle an Literaturtipps wird lange vorhalten.
Zum fünften Lesefestival in Ravensburg vom Dienstag, 24. April, bis zum Freitag, 27. April, kommen 17 Künstler in die Stadt, um Kinder und Jugendliche mit Büchern zu begeistern. Das Lesefestival ist eine Veranstaltung der Stadt Ravensburg und des Ravensburger Buchverlags in Kooperation mit der Stadtbücherei und den Buchhandlungen Ravensbuch und „Anna Rahm – mit Büchern unterwegs“.