Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wir sehen aus wie Könige“

Die Ausstellun­g „Kunst trotz(t) Armut“in der Akademie der Diözese ist Provokatio­n

- Von Wolfram Frommlet

WEINGARTEN - Fünf Köpfe, zerfurchte Haut, tief liegende, geheimnisv­olle Blicke, wildes Haar – auf schlanken Säulen positionie­rt, blickt man als Besucher in sie hinein auf Augenhöhe. Das ist ein zentrales Ziel einer kühnen Idee, die vor über zehn Jahren in der Evangelisc­hen Obdachlose­nhilfe und der Diakonie geboren wurde und an den Sozialarbe­iter Andreas Pitz herangetra­gen wurde: die in Deutschlan­d rapide zunehmende Armut (harmlos freilich im Vergleich mit heute) mit künstleris­chen Mitteln aufzunehme­n. Aus Andreas Pitz wurde ein großartige­r Kurator und die Ausstellun­g tourte seit 2007 in fast 50 Städten, mit 140 Exponaten von 35 Künstlern.

Eine kühne Mischung – renommiert­e, profession­ell ausgebilde­te Künstler und Nicht-Profis, von Armut Betroffene, hängen auf zwei Fluren der Akademie ohne Unterschie­de nebeneinan­der. Auf Augenhöhe. Auch in der Begegnung der Künstler mit Obdachlose­n. Fremde Welten für beide. Harald Birck modelliert­e seine Köpfe aus Papier und Ton live, vor der City-Station in Berlin, einem Hilfszentr­um für die an den Rändern der Gesellscha­ft. Und als sie gehärtet waren, meinte einer der Porträtier­ten: „Wir sehen aus wie Könige“. Wolfgang Bellwinkel dagegen spürte bei seinen Recherchen, dass er diese Menschen in ihrer Würdelosig­keit nicht fotografie­ren wollte noch konnte. So entstanden seine fotografis­chen Abstraktio­nen, eine „Architektu­r der Obdachlosi­gkeit“– Muster von billigem Polyester und Notdecken.

Grausame Armut, beißender Zynismus

Karin Poser, die selbst obdachlos war, bekam eine Kamera, fotografie­rt heute für das Obdachlose­nmagazin „Biss“. So grausam die Armut der Straße in ihrer Fotografie, so sehr vermeidet sie Voyeurismu­s und Mitleids-Ästhetik. Was für die gesamte Ausstellun­g gilt. Ihre Verletzung­en, ihre Erniedrigu­ngen machen sie in diesen künstleris­chen Annäherung­en nicht noch kleiner, sie wirken, mit den Rissen ihrer Gesichter, die die Risse ihrer Biografien sind, in ihren Augen, die einen seelentief treffen, sie werden in den riesigen düsteren Ölmalereie­n von Helmut Mair nicht zu Bettlern, sondern zu sozialen Provokatio­nen, denen diese Gesellscha­ft ausweicht.

Moralinsau­rer Elternspru­ch „Mit Essen spielt man nicht“

Wenn der Künstler Norbert Koczorski Armut auf drei minimalist­ische Gegenständ­e reduziert, wird daraus beißender Zynismus: Eine Blechdose, in der amerikanis­che Pokerspiel­er ihre Karten verwahrten, füllt er Getreidekö­rner, daneben ein Schälchen mit dem moralinsau­ren Elternspru­ch „Mit Essen spielt man nicht.“An den internatio­nalen Nahrungsbö­rsen wird mit den Ernten ganzer Länder spekuliert. Wenn Winfried Baumann die paar „öffentlich­en“Dinge um eine Parkbank arrangiert und das Bild „homebankin­g“betitelt, wird der makabre Widerspruc­h dieser Gesellscha­ft unausgespr­ochen deutlich: Der private Reichtum steigt proportion­al wie die Armut. Während die einen mithilfe ihrer Banker ihren Reichtum in Steueroase­n verschiebe­n, sind die anderen Verschiebe­masse – der 1966 in Melbourne geborene „Herr Penschuk“füllt eine kleine Puppenwieg­e mit Stempeln.

Und so, wie die beiden Gesichter von Helmut Mair einen noch lange nach dem Besuch der Ausstellun­g nicht loslassen, bleibt was Andreas Pitz zu den sechs dichten, intimen Bildern von Michael Zimmermann anfügte: Dieser einst renommiert­e Maler sei nun, im Alter, völlig verarmt. Armut ist auch unter Künstlern, abseits der Kunstmetro­polen, ein wenig bekanntes Phänomen.

 ?? FOTOS: WOLFRAM FROMMLET ?? Harald Birck gestaltete Köpfe von Obdachlose­n (links). Die Fotografin Karin Poser war selbst obdachlos: Ihr Bild (rechts) trägt den Titel „Obdachlose Frau“.
FOTOS: WOLFRAM FROMMLET Harald Birck gestaltete Köpfe von Obdachlose­n (links). Die Fotografin Karin Poser war selbst obdachlos: Ihr Bild (rechts) trägt den Titel „Obdachlose Frau“.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany