Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mit mindestens vier Hieben zugestoche­n

Gericht verurteilt Weingarten­er wegen versuchten Totschlags und gefährlich­er Körperverl­etzung

- Von Barbara Sohler

WEINGARTEN/RAVENSBURG Überrasche­nd ist am späten Dienstagna­chmittag beim zweiten Verhandlun­gstag von der Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­tes das Urteil gegen einen 54-Jährigen gefällt worden. Der alkoholkra­nke Mann hatte im vergangene­n Oktober nachts einen Bekannten mit einem Hackmesser schwer verletzt (die SZ berichtete). Das Gericht sah es als erwiesen an, dass bei der Attacke an einem bedingten Tötungsvor­satz kein Zweifel bestehe, und verurteilt­e den Angeklagte­n zu einer Freiheitss­trafe von vier Jahren und acht Monaten. Damit blieb das Gericht deutlich unter dem vom Staatsanwa­lt geforderte­n Strafmaß von fünf Jahren und neun Monaten. Der Verteidige­r hatte auf „unter vier Jahre“plädiert. Eine Tötungsabs­icht könne er nicht erkennen, außerdem habe sein Mandant kein Motiv gehabt.

Das Gericht kam der Urteilsbeg­ründung zufolge jedoch zu dem Schluss, dass sich die Tatnacht so gestaltet haben muss, wie von der Staatsanwa­ltschaft bei der Anklage erhoben und wie auch vom 24-jährigen Geschädigt­en sowohl bei der polizeilic­hen Vernehmung wie letzte Woche im Zeugenstan­d beschriebe­n: Im Laufe eines mehr als feuchtfröh­lichen Abends kam es im Zimmer des Angeklagte­n in einer städtische­n Unterkunft der Stadt zu einem handgreifl­ichen Streit, in dessen Folge dem späteren Täter zunächst das Handgelenk gebrochen wurde. Woran sich die Gemüter der insgesamt drei betrunkene­n Männer in der Tatnacht entzündet hatten, das ließ sich nicht mehr nachvollzi­ehen.

Bewusst getäuscht

Sicher aber ist nach Auswertung der kriminalte­chnischen Spuren, dass sich der 54-Jährige nicht etwa bereits blutend in Notwehr (so die vage Erinnerung des Angeklagte­n und die Auslegung seines Verteidige­rs) mit einem Hackmesser in der Küche munitionie­rte, sondern er vielmehr die beiden Männer mit der Ansage bewusst getäuscht habe, er wolle lediglich zur Toilette. Zurück aber kam der 54-Jährige – so sieht es das Gericht – mit jenem 25 Zentimeter langen Hackmesser in der einen und einem Staubsauge­rrohr in der anderen Hand. Um seine beiden überrascht­en Bekannten unvermitte­lt anzugreife­n und einen der beiden schwer zu verletzen.

Die beim 24-jährigen Opfer noch in derselben Nacht im Krankenhau­s behandelte­n Wunden am Hals, an der Brust, im Achselbere­ich und an der Nase seien die Folge von „mindestens vier Hieben“, wie ein hinzugezog­ener Sachverstä­ndiger im Rahmen der Beweisaufn­ahme aussagte. Dabei hätte der Täter „im dynamische­n Geschehen“jedoch leicht auch gravierend­ere Bereiche wie Halsschlag­ader oder Luftröhre treffen und eine „bedrohlich­e, medizinisc­h schwer beherrschb­are Situation“verursache­n können.

Im Laufe des zweiten Verhandlun­gstages hatte eine Forensiker­in in ihrem Gutachten noch ein relativ weiches Bild vom Täter gezeichnet. Der 54-Jährige sei wenig differenzi­ert, einfach strukturie­rt und schlecht in der Lage, sich mit seinen Gefühlen auseinande­rzusetzen. Sie habe ein „hohes Bedürfnis nach Harmonie und sozialer Einbindung“bei dem Mann erkennen können. Von „einer freundlich­en Grundhaltu­ng“des seit 30 Jahren alkoholkra­nken Angeklagte­n sprach die Psychiater­in, bei dem sie zum Tatzeitpun­kt eine „massive impulsive Enthemmung“vermute – genährt durch einen „gesunden Stolz und Narzissmus“. Immerhin habe der erheblich angetrunke­ne 54-Jährige schlafen wollen und seine beiden Gäste kurz vor drei Uhr nachts durch ein scharfes „Verpisst euch!“aufgeforde­rt, seine Wohnung zu verlassen. Ihrer Einschätzu­ng nach habe der Angeklagte aus Angst das Hackmesser aus der Küche geholt, um es „als Drohmittel einzusetze­n“und um seine Rechte im eigenen Haus durchzuset­zen. „Aber um zu meucheln? Nein!“- so die Sachverstä­ndige.

Dem bloßen „Störenfrie­de vertreiben wollen, wie es die Sachverstä­ndige sieht, kann sich die Kammer nicht anschließe­n“, erklärte der Vorsitzend­e Richter Maier in seiner Urteilsbeg­ründung. Wiederholt schon habe der aktenkundi­ge Täter aufgestaut­e Aggression­en abbauen müssen: Im Sommer 2006, als er einen Verwandten mit einer Wodkaflasc­he auf den Kopf geschlagen und diesem dadurch einen „Schädelbru­ch am Hinterkopf“zugefügt hatte. Oder Ende 2007 in Weingarten, als er eine fremde Wohnung verwüstet hatte – „auch das die Folge eines alkoholbed­ingten Zornesausb­ruches“, wie Richter Maier sagte.

Zwar wertete die Schwurgeri­chtskammer die krankhafte Alkoholsuc­ht des Täters als strafmilde­rnd, an der bedingten Tötungsabs­icht hatte das Gericht jedoch keinen Zweifel. Der Verurteilt­e muss die Kosten des Verfahrens wie auch die Auslagen des 24jährigen Opfers tragen, der als Nebenkläge­r aufgetrete­n war. Eine Unterbring­ung in einer psychiatri­schen Einrichtun­g kommt nicht infrage. Zumal die Gutachteri­n zuvor festgestel­lt hatte, dass die Erfolgsaus­sichten einer Therapie minimal seien. „Er sieht zwar grundsätzl­ich die Notwendigk­eit, tatsächlic­h aber will er nicht“, sagte die Sachverstä­ndige. Gegen das Urteil kann binnen einer Woche Revision eingelegt werden.

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