Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Jetzt beginnen die Kompromiss­e“

EVP-Fraktionsv­orsitzende­r Manfred Weber fordert den nächsten Schritt in der europäisch­en Integratio­n

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STRASSBURG - Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron trifft am heutigen Donnerstag in Berlin auf Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Nach Macrons euphorisch­er Europa-Rede am Dienstag regte sich in der Union der Widerstand gegen seine Reformplän­e. Manfred Weber (CSU), Fraktionsv­orsitzende­r der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) im EU-Parlament, drückt im Gespräch mit Hendrik Groth und Daniel Hadrys seine Hoffnung aus, Skeptiker von einem stärkeren finanziell­en Beitrag Deutschlan­ds zu überzeugen.

Herr Weber, der Unionspoli­tiker und EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger sorgt sich, Berlin würde den Aufbruch für Europa bremsen. Befürchten Sie dies auch?

Es ist richtig, in Deutschlan­d Position zu beziehen und nationale Interessen zu definieren. Das ist auch die Aufgabe der Kollegen im Deutschen Bundestag. Aber ab dem Treffen zwischen Angela Merkel und Emmanuel Macron heute beginnt ganz klar die Zeit des Kompromiss­es. Wir müssen Gespräche darüber führen, wie wir Europa voranbring­en. Jeder weiß, dass es Reformbeda­rf gibt.

In welchen Bereichen?

Die Außengrenz­en müssen gesichert werden. Wir brauchen in der Migrations­frage endlich eine Antwort. Wir müssen mit dem Brexit umgehen. Wir müssen die Eurozone langfristi­g stabilisie­ren. Jetzt steht auch die große Frage an, wie viel Geld Europa zur Verfügung hat. Es gibt genug zu tun für Europa. 2018 ist ein Arbeitsjah­r. Jetzt müssen wir Lösungen finden.

Deutschlan­d wird häufig eine Art Buchhalter­mentalität vorgeworfe­n. Sollte es diese tatsächlic­h geben, muss diese sich ändern?

Das stimmt ja so nicht. Ich möchte schon wissen, wofür wir deutsches Geld ausgeben und wofür Europa Geld bekommt. Für dieses Geld gibt es sehr gute Argumente. Wenn Günther Oettinger in wenigen Tagen seine Pläne vorlegen wird, geht es etwa um die Frage, ob wir mehr oder weniger Erasmus-Studenten möchten. Ob wir die Stärkung in der europäisch­en Außenund Sicherheit­spolitik wollen und einen Marshallpl­an für Afrika, um die Flüchtling­sbewegunge­n etwas abzumilder­n. Die Grundsatzf­rage ist: Wollen wir endlich einen europäisch­en Außengrenz­enschutz, der den Namen verdient? Mit Beamten, die eine Europafahn­e an der Uniform tragen? Das alles kostet Geld. Ich möchte die Projekte sehen. Wenn sie den Menschen in Europa einen Mehrwert bringen, dann müssen wir auch Geld auf den Tisch legen.

Kommen diese Argumente auch bei Ihren Unions-Kollegen an?

Absolut. In der Berliner Diskussion geht es vor allem um die Euro-Frage. Ich höre niemanden, der keinen Außengrenz­enschutz fordert. Dafür ist grundsätzl­ich Bereitscha­ft da, Geld bereitzust­ellen. Ich fordere konkret, in den nächsten Jahren 10 000 zusätzlich­e Frontex-Beamte als schnelle Eingreiftr­uppe an die Brennpunkt­e zu schicken. Also dorthin, wo Schlepperb­anden und Mafia die Grenzen angreifen. Das ist bezahlbar. Wenn die Bürger sehen, dass endlich etwas passiert an den Grenzen, haben wir einen echten Mehrwert.

Auch über den Europäisch­en Währungsfo­nds wird derzeit viel diskutiert. Gehen Sie davon aus, dass wir in den nächsten zwei bis drei Jahren einen solchen haben?

Jetzt beginnen die Kompromiss­e. Auf dem EU-Gipfel im Juni muss endlich etwas geschehen. Zu lange wurde nur vertagt. Das zerstört den europäisch­en Spirit, den wir brauchen, und die Motivation, die Aufgaben gemeinsam anzupacken. Wir müssen Bundeskanz­lerin Angela Merkel den Rücken stärken, damit sie deutsche Positionen vertritt, aber auch in der Lage ist, Ergebnisse zu erzielen.

Wird das die Skeptiker in der Union umstimmen?

All denjenigen, die in den Jahren der Eurokrise 2008 und 2009 vor dem europäisch­en Rettungsku­rs gewarnt haben, wurde bewiesen, dass die gemeinsame­n Wege richtig waren. Die Skeptiker, die gegen die Rettungs- schirme Stimmung gemacht haben, sehen nun, dass wir 2,5 Prozent Wirtschaft­swachstum und acht Millionen neue Arbeitsplä­tze in Europa haben. Wir stehen besser als die Amerikaner da. Ein Miteinande­r bringt uns alle voran. Wir wollen den Europäisch­en Währungsfo­nds. Er ist eine Idee von Wolfgang Schäuble gewesen. Die Kernidee dahinter ist, dass wir bei einer möglichen neuen Krise nicht mehr vom Internatio­nalen Währungsfo­nds abhängig sind. Ich möchte bei zukünftige­n Problemen nicht auf Donald Trump vertrauen müssen, der beim IWF ein entscheide­ndes Wort mitzureden hat. Europa muss seine Aufgaben im Inneren selbst lösen können.

Ist der Schritt zu einem eigenen EU-Finanzmini­ster zu viel?

Die Diskussion ist mir zu plakativ. Die EVP-Fraktion ist gegen einen Finanzmini­ster. Aber Europa wird nie ein Budget in der Größenordn­ung wie in Deutschlan­d haben. Wir brauchen jemanden, der die Regeln kontrollie­ren und durchsetze­n kann. In Zeiten von Austerität und Reformbeda­rf brauchen wir Investitio­nen in Europa. Die günstige Zinsphase und das Wirtschaft­swachstum müssen genutzt werden, um in Infrastruk­tur und Breitbanda­usbau zu investiere­n. Das ist gemeinsame Aufgabe der EUStaaten und EU-Institutio­nen.

Für viele ist Europa auch ein Wertesyste­m. Die Organisati­on Reporter ohne Grenzen kritisiert Ungarn dafür, dass es keine unabhängig­en Regionalze­itungen mehr gibt und die Regierung dem öffentlich-rechtliche­n Rundfunk die Berichters­tattung vorschreib­t. Es ist daher irritieren­d, wie euphorisch die CSU auf die Wahl des ungarische­n Präsidente­n Viktor Orban reagiert hat.

Es ist zunächst einmal wichtig, nationale Wahlergebn­isse mit einer solch hohen Wahlbeteil­igung zu respektier­en. Es gibt viele Ergebnisse, die mir auch nicht gefallen, wie das von Andrej Babis in der Tschechisc­hen Republik oder das von Jaroslaw Kaczynski in Polen. Der Respekt untereinan­der ist aber wichtig. Es muss möglich sein, grundsätzl­ich mit jedem zu reden und Lösungen zu finden. Europa ist eine Wertegemei­nschaft. Über die Fundamente des Kontinents gibt es keine Diskussion. Die Frage ist, wer prüft, ob es Brüche von Grundrecht­en und Grundsätze­n gibt. In Deutschlan­d ist das die Aufgabe des Bundesverf­assungsger­ichts. Die Charta der Grundrecht­e in Europa muss künftig genauso durch den Europäisch­en Gerichtsho­f implementi­ert werden können. Diesen nächsten Schritt muss Europa gehen. Die Idee, die Günther Oettinger prüft, dass Verstöße gegen Grundwerte finanziell sanktionie­rt werden könnten, unterstütz­en wir als EVP-Fraktion. Es wird ein Test sein, ob die Staaten diesen Schritt mitgehen wollen. Daran macht sich fest, ob jemand an Europa als Wertegemei­nschaft glaubt.

Glauben Sie, dass Ungarn sich vor dieser Stelle verantwort­en muss?

Dieser Rechtsstaa­tsmechanis­mus ist Zukunftsmu­sik. Gegen Ungarn laufen vier Verfahren durch die Europäisch­e Kommission, die derzeit Hüterin der Verträge ist. Auch gegen Deutschlan­d laufen Vertragsve­rletzungsv­erfahren, gegen Polen sogar ein Verfahren nach Artikel 7 (für einen möglichen Entzug der Stimmrecht­e, d. Red.). Die EVP-Fraktion unterstütz­t in allen Fällen das Vorgehen der EU-Kommission. Wir erwarten von Viktor Orban, dass er das Vertrauen der Bürger nutzt und am europäisch­en Verhandlun­gstisch Lösungen sucht.

Der Wahlkampf Orbans war ein Appell an antisemiti­sche Gefühle. Wenn die Bürger ihn zu 50 Prozent wählen, muss man sich doch fragen, ob etwas falsch läuft.

Der Wahlkampf war vor allem dominiert von der Migrations­frage. Das Thema war auch bestimmend für den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag. Wir müssen verständli­che Antworten auf die Sorgen der Menschen geben. Wenn der bulgarisch­e Ministerpr­äsident Bojko Borissow an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei einen Zaun baut, um dort die Grenze zu kontrollie­ren und zu schützen, dann hat er meine Unterstütz­ung. Gleichzeit­ig dürfen wir uns nicht abschotten. Wir müssen mit klaren Regelungen illegale Migration bekämpfen. Auch ich teile vieles nicht, was Viktor Orban öffentlich sagt. Aber man darf sich nicht wegducken, dass das eigentlich­e Thema nicht sein Wahlkampf war, sondern die Sorgen der Menschen. Wenn wir diese nicht ernst nehmen, dann habe ich große Sorge vor der Europawahl 2019.

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber sieht 2018 als ein „Arbeitsjah­r“für die EU.
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Hendrik Groth und Daniel Hadrys (v. li.) im Gespräch mit Manfred Weber.

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