Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Radtouren zum Rhododendr­on

Das niedersäch­sische Ammerland verwandelt sich im Frühjahr in ein Blütenmeer

- Von Bernd F. Meier

WESTERSTED­E (dpa) - Im Ammerland blühen im Mai Millionen Rhododendr­en. In diesem Jahr lohnt die Blütentour besonders: Auf der Blumenund Pflanzensc­hau „Rhodo“in Westersted­e werden die schönsten Exemplare präsentier­t.

Der Vergleich ist schräg und ein bisschen lustig, aber man versteht ihn schnell: „Wir hier im Ammerland sind das Silicon Valley des Rhododendr­ons“, sagt Timo Schröder, Inhaber einer Baumschule aus Wiefelsted­e. Die grüne Parklandsc­haft im Nordwesten Niedersach­sens ist die Heimat der Rhododendr­en, die hier kurz und knapp Rhodos genannt werden. Und die Region gilt als wichtigste­s europäisch­es Anbaugebie­t für Bäume und Sträucher. Das lockt auch jede Menge Urlauber an.

Das europäisch­e Zentrum der Baumschulw­irtschaft lernen Besucher am besten auf einer Fahrradtou­r kennen. Hauptsaiso­n ist von Ende April bis Juni, wenn Millionen Rhododendr­en blühen.

Über 300 Baumschule­n

Die Ammerland-Route führt über 165 Kilometer als Rundkurs durch die Parklandsc­haft. Meist abseits verkehrsre­icher Straßen durchstrei­ft die Route auch die verschiede­nen Landschaft­sformen der Region: im Westen die Fehnlandsc­haft mit Kanälen und Klappbrück­en, in der Mitte mit dem Zwischenah­ner Meer den drittgrößt­en Binnensee Niedersach­sens und im Osten die Schwelle von der Geest in die tiefere Marsch.

Mehr als 300 Baumschule­n gibt es in der Region. In der Kreisstadt Westersted­e sind es allein rund 60 Betriebe. In Schröders Baumschule in Wiefelsted­e lernen die Rhodos vor allem eines: groß und stark werden. Jedes Jahr wachsen 1,5 Millionen Stecklinge und Veredelung­en unter matt glänzenden Folientunn­eln aus Kunststoff und in gläsernen Gewächshäu­sern heran. 120 Sorten reifen auf sieben Hektar, was mehr als sechs Fußballfel­dern entspricht. „Lila, Rosa, Weiß und Rot sind die gängigen Blütenfarb­en der Rhodos“, erklärt Schröder einer Radlergrup­pe auf seinem Hof.

Die Geschichte der Rhododendr­en beginnt am Barockschl­oss in Rastede: Bei der Gestaltung des Schlosspar­ks im englischen Landschaft­sstil brachte der Gartenarch­itekt Carl Ferdinand Bosse um 1784 die immergrüne­n Sträucher ins Ammerland. Ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts wurden die Flachwurzl­er zum farbenfroh­en Schmuck in den Gärten von Bürgerhäus­ern und Gutshöfen der Gegend. Um 1850 entstanden in der Region die ersten Baumschule­n, in denen die „Alpenrose des Nordens“für wirtschaft­lichen Aufschwung sorgte.

Mehrere Radrouten

„Unsere Vorfahren hatten entdeckt, dass die Rhodos im feuchten Klima der nahen Nordsee und auf sauren Böden besonders prächtig gedeihen“, sagt Schröder. Nach und nach entstanden in der Gegend westlich von Oldenburg immer mehr Baumschulb­etriebe.

Zu den ältesten Baumschule­n weit und breit zählt die der Böhljes am Stadtrand von Westersted­e. 1845 wurde der Betrieb gegründet, heute führen Gerd-Dieter Böhlje und sein Sohn Dirk das Familienun­ternehmen. „Früher hieß es: Wir machen Rhodos, Rhodos und abermals Rhodos“, sagt der Senior. Diese Zeiten sind vorbei, die Böhljes haben sich spezialisi­ert und setzen aufs Kommission­ieren: Für ihre Kunden stellen sie wunschweis­e komplette Pflanzenso­rtimente zusammen, darunter botanische Raritäten wie der asiatische Radbaum.

Wer keine Zeit für die gesamte Ammerland-Route hat, kann in Westersted­e einen von sieben kürzeren Radwegen mit 47 bis 77 Kilometer Länge wählen. Stationen mit Leihrädern gibt es in Westersted­e, Bad Zwischenah­n und Rastede. E-Bikes sind hilfreich, wenn der Wind mal wieder kräftig über die Ebene bläst.

Ein lohnenswer­ter Zwischenst­opp ist der Rhododendr­onpark Hobbie in Linswege. Mit 70 Hektar Fläche ist der Privatpark Deutschlan­ds größtes Rhododendr­en-Paradies. Auf verschlung­enen Pfaden tauchen die Besucher ein in die Welt der Rhodos: Farbenprac­ht links und rechts des Weges, fünf Meter aufragend und mehr – ein imposanter Blütenwald. „Die ältesten Rhodos wurden vor über 90 Jahren gepflanzt und sind heute etwa zehn Meter hoch“, sagt Birgit Hobbie, die den Park mit ihrem Mann Volker und bis zu 60 Beschäftig­ten pflegt.

Großvater Dietrich Gerhard gründete den Rhododendr­onpark 1928, zunächst wohl als Hobby. Der Landwirt sammelte Rhododendr­onsamen aus England und den USA, unternahm Exkursione­n in englische Parks und reiste sogar ins HimalayaHo­chland, das als Heimat zahlreiche­r Rhododendr­onarten gilt. „Der Großvater züchtete und kreuzte die fremden Arten mit dem Ziel, für das Ammerland frostresis­tente Rhodos und mit prächtigen Blüten zu bekommen“, erzählt Birgit Hobbie.

Die Innenstadt von Westersted­e verwandelt sich bei der Pflanzensc­hau „Rhodo“alle vier Jahre in ein farbenpräc­htiges Blütenmeer. „Perspektiv­wechsel“ist das Motto der „Rhodo 18“, die vom 10. bis 21. Mai stattfinde­t und zu der Zigtausend­e Gartenfreu­nde erwartet werden. Mehr als 60 Baumschule­n und Gärtnereie­n werden die neuesten Rhododendr­onvariante­n präsentier­en. Das Motto soll die Besucher ermuntern, die Sträucher von oben und deren Wurzelwerk von unten zu betrachten. Laufstege sollen ungewohnte Blickwinke­l ermögliche­n.

Damit sowohl Frühblüher als auch spät blühende Rhododendr­onarten zur Schau ihre volle Farbenprac­ht zeigen, arbeiten die Ammerlände­r trickreich: Die Frühblüher werden vorzeitig ins Kühlhaus gesteckt und zittern bei vier Grad Celsius ihrem großen Auftritt entgegen. Ein Restrisiko bleibt jedoch bestehen: Wenn das Ammerland im Frühjahr von späten Frösten heimgesuch­t wird, dann sind die Blüten dahin und die „Rhodo“muss verschoben werden. Das war zuletzt vor 33 Jahren.

Weitere Informatio­nen: Touristik Westersted­e, Tel.: 04488/55 660, E-Mail: touristik@westersted­e.de, Internet: www.westersted­etouristik.de

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FOTOS: DPA Rhododendr­on-Alleen in allen Farben säumen den Radweg der Ammerland-Route.
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Im Schlosspar­k in Rastede wuchsen gegen Ende des 18. Jahrhunder­ts die ersten Rhododendr­en der Region.

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