Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Spannende Einsätze

Vortrag mit Bernhard Steimle

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RAVENSBURG - „Wenn wir gewonnen hätten, dann hätten wir euch an den Laternen aufgehängt“hat ihm ein fanatische­r DDR-Militärist einmal zu verstehen gegeben. Nun, der Leitende Regierungs­direktor im Ruhestand Bernhard Steimle, früher Leiter des Kreiswehre­rsatzamtes Ravensburg, hat in den neunziger Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts weder in Magdeburg noch in Stendal jemanden aufgehängt, bewahre! Steimle, heute Vorsitzend­er des Seniorentr­effs Ravensburg e. V., gehörte damals zu den Juristen aus Stadt und Kreis Ravensburg, darunter Richter und Staatsanwä­lte, die bei der Wiedervere­inigung in den neuen Bundesländ­ern Hilfe beim Aufbau des Rechtsstaa­tes und einer funktionie­renden Justiz und Verwaltung leisteten. Und was er dabei alles erlebt hat, das schilderte er kompetent und unterhalts­am in einem Vortrag im Seniorentr­eff.

Jeweils für drei Monate war der erfahrene Jurist und Verwaltung­sfachmann Anfang der Neunziger nach Magdeburg und Stendal abgeordnet worden – gegen seinen Willen und ohne entspreche­nde Vorbereitu­ng. Eine keineswegs leichte Aufgabe: Die militarist­isch geprägten „Wehrkreisk­ommandos“der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, die bis dahin für die Rekrutieru­ng junger Soldaten zuständig waren, in bürgernahe, zivile Verwaltung­sbehörden, Kreiswehre­rsatzämter, umzuwandel­n. Dabei galt es, Fingerspit­zengefühl zu beweisen und keinesfall­s den „Besser-Wessi“herauszuke­hren. Die richtige Menschenfü­hrung war gefragt.

„Es war eine aufregende Zeit“, erinnerte sich Steimle. Eines seiner gravierend­en Probleme: Als (unzulängli­che) Rechtsgrun­dlage für sein Verwaltung­shandeln gab es nur den Einigungsv­ertrag. Er kam sich vor „wie ein freischaff­ender Künstler“. Ein weiteres Problem betraf die Mitarbeite­r, mit denen er es zu tun bekam und die zunächst einmal mit den Grundsätze­n des Rechtsstaa­tes vertraut gemacht werden mussten. Die Rechtsstaa­tlichkeit in der DDR, so der Vortragend­e, sei „deutlich eingeschrä­nkt“gewesen. „Ich wusste nicht, was das für Leute waren“. Diese hatten nämlich ihre Personalak­ten rechtzeiti­g „bereinigen“können. Außerdem waren es viel zu viele. Über 100 konnte er nicht übernehmen. Sie hatten keine Perspektiv­e. Steimle versuchte vergeblich, sie bei anderen Behörden, in Landratsäm­tern und Rathäusern, unterzubri­ngen, stieß aber nur auf Ablehnung nach dem Motto: „Das waren früher (im SEDStaat) die Fettaugen, die oben schwammen. Die wollen wir nicht.“

Bernhard Steimle muss in Magdeburg und Stendal sehr gute Arbeit geleitstet haben. Andernfall­s wäre er später nicht sogar für Jahre nach Berlin abgeordnet worden, um dort die beiden Kreiswehre­rsatzämter zur größten derartigen Behörde in Deutschlan­d zusammenzu­führen. Auch eine sehr heikle Aufgabe, denn nun musste Bernhard Steimle auch wehrunwill­ige junge Westberlin­er für die Bundeswehr rekrutiere­n, die sich vor der Wende just nach Westberlin abgesetzt hatten, um dem Dienst in der Truppe zu entgehen. „3 x Post von Herrn Steimle...und du bist Soldat. Es sei denn, das Gewissen schlägt Krach“textete damals salopp eine Berliner Boulevard-Zeitung.

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