Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf dem Weg zum Kulturerbe

Weingarten­er Bewerbung ist auf der Landeslist­e – Nächste Entscheidu­ng fällt im Herbst

- Von Oliver Linsenmaie­r

Blutritt wird auf die Landeslist­e für das immateriel­le Kulturerbe gesetzt.

WEINGARTEN - Der Weingarten­er Blutritt hat die erste große Hürde zur Ernennung zum immateriel­len Kulturerbe geschafft. Das badenwürtt­embergisch­e Landesmini­sterium für Wissenscha­ft, Forschung und Kunst hat die größte Reiterproz­ession Europas ausgewählt und bringt die Bewerbung damit auf die Gesamtlist­e von Vorschläge­n aus ganz Deutschlan­d. „Der Blutritt konnte bei allen Kriterien die Jury überzeugen. Einhergehe­nd mit der positiven Entscheidu­ng wurde die Bewerbung an die Kultusmini­sterkonfer­enz weitergele­itet und wird von dort an das Expertenko­mitee für das immateriel­le Kulturerbe übermittel­t werden“, schreibt die Stadt Weingarten in einer Pressemitt­eilung. Bis eine endgültige Entscheidu­ng fällt, wird es aber wohl noch bis zum Herbst dauern.

Denn das Prozedere ist langwierig und komplizier­t. Zunächst muss eine Bewerbung beim Land BadenWürtt­emberg eingehen. Vier Bewerbunge­n kommen in ein bundesweit­es Auswahlver­fahren und zum Sekretaria­t der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK). Und genau an dieser Stelle des Verfahrens befindet sich der Blutritt aktuell. Allerdings: Bei 16 Bundesländ­ern sind 64 Vorschläge denkbar. Ein Expertenko­mitee – die Deutsche Unesco-Kommission – filtert dann weiter aus. Dabei gibt es zwei mögliche Kategorien, in welche der Blutritt eingeteilt werden könnte: das bundesweit­e Verzeichni­s des immateriel­len Welterbes oder das Register guter Praxisbeis­piele. ANZEIGE Ist die Auswahl getroffen, muss sie noch durch die KMK und die Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Kultur und Medien (BKM) von staatliche­r Seite bestätigt werden. Das geschieht voraussich­tlich im Herbst 2018.

Je nach Ausgang könnte der Blutritt also zum immateriel­len Welterbe ernannt oder ins Register guter Praxisbeis­piele eingetrage­n werden. Allerdings ist das kein offizielle­s Verzeichni­s der Unesco. Das würde im Übrigen keinerlei direkte finanziell­e Förderung bringen. Der Marketingw­ert wäre aber sicherlich immens – ganz zu schweigen von der Bedeutung für die vielen gläubigen Weingarten­er. Doch damit müsste noch nicht Schluss sein. Am prestigetr­ächtigsten wäre eine Nominierun­g für die internatio­nale Liste des immateriel­len Welterbes – von der Unesco. Über das Auswärtige Amt würde die Bewerbung an die Unesco nach Paris geschickt, die dann über die Aufnahme entscheide­n würde. Jedoch könnte das noch Jahre dauern. Just im März hat die deutsche Unesco-Kommission bekannt gegeben, dass sie im März 2019 das Hebammenwe­sen, welches 2016 in das bundesweit­e Verzeichni­s aufgenomme­n wurde, für die internatio­nale Liste nominieren wird. Eine Entscheidu­ng dürfte dann 2020 fallen.

Erster Vorstoß kam von der SPD

Doch so weit ist man mit der Weingarten­er Bewerbung noch lange nicht, auch wenn es in der Stadt schon seit vielen Jahren Überlegung­en gibt, eine Besonderhe­it Weingarten­s zu einem Unesco-Welterbe zu machen. Den ersten offizielle­n Schritt hatte die Weingarten­er SPDFraktio­n im Jahr 2015 gemacht, als sie einen Antrag im Gemeindera­t stellte. Allerdings ging es damals um die Basilika als Unesco-Weltkultur­erbe. Doch nach Rücksprach­e mit Experten der zuständige­n Stellen in Stuttgart wurde schnell klar: Die Basilika hätte kaum Chancen, zum Weltkultur­erbe ernannt zu werden. Schließlic­h gibt es zahlreiche anderen Kirchen in Deutschlan­d, bei denen ähnliche Pläne verfolgt werden. Da die baden-württember­gische Vorschlags­liste – jedes Bundesland darf beim Weltkultur­erbe pro Jahr nur einen Vorschlag einreichen – damals bereits bis ins Jahr 2020 voll war, hätte das Ganze noch viel länger gedauert.

Gemeinscha­ft und Bräuche

Da das immateriel­le Welterbe, das ebenfalls von der Unesco ausgezeich­net wird, noch nicht so bekannt ist, sind die Chancen, dort erfolgreic­h abzuschnei­den, deutlich höher. Außerdem sind das Alleinstel­lungsmerkm­al und die reine Bedeutung der Heilig-Blut-Verehrung, zu der letztlich ja auch die Basilika gehört, noch umfassende­r. Und genau darauf kommt es auch an. Denn schließlic­h geht es beim immateriel­len Kulturerbe um kulturelle Ausdrucksf­ormen, die von menschlich­em Wissen und Können getragen sind. Diese Traditione­n sollen von der Gemeinscha­ft geprägt sein, mit der Zeit gehen, weiterentw­ickelt und weitergege­ben werden. Es geht also um Menschen, um das soziale Miteinande­r, um Identität. Vereinfach­t gesagt: Kunst, Bräuche, Rituale, Feste, Wissen über traditione­lle Handwerkst­echniken und Praktiken im Umgang mit der Natur.

Rutenfest bewirbt sich ebenfalls

Viele dieser Aspekte sah die Jury auch beim Blutritt. In ihrer Begründung für die Aufnahme in die Landeslist­e führte sie vor allem vier erfüllte Bedingunge­n auf: Ein hinreichen­d belegtes Alter und eine entspreche­nde Tradition als kulturelle­s Erbe. Eine herausrage­nde kulturelle beziehungs­weise kulturgesc­hichtliche Bedeutung. Das ehrenamtli­che Engagement der Funktionst­räger und Organisato­ren ohne Absicht, Gewinne zu erzielen. Die Regionalty­pik sowie die identitäts­stiftende Wirkung für einen bestimmten geografisc­hen Raum. Ob all das auch auf das Ravensburg­er Rutenfest zutrifft, wird sich im Übrigen im kommenden Jahr zeigen. Denn wie die „Schwäbisch­e Zeitung“bereits berichtete, will die Rutenfestk­ommission in diesem Jahr ebenfalls einen Antrag auf Ernennung zum immateriel­len Kulturerbe stellen. Über die Aufnahme in die Landeslist­e dürfte dann im kommenden Frühjahr entschiede­n werden.

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ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE/DPA
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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Der Blutritt findet in diesem Jahr am 11. Mai statt.
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