Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Auf dem Weg zum Kulturerbe
Weingartener Bewerbung ist auf der Landesliste – Nächste Entscheidung fällt im Herbst
Blutritt wird auf die Landesliste für das immaterielle Kulturerbe gesetzt.
WEINGARTEN - Der Weingartener Blutritt hat die erste große Hürde zur Ernennung zum immateriellen Kulturerbe geschafft. Das badenwürttembergische Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst hat die größte Reiterprozession Europas ausgewählt und bringt die Bewerbung damit auf die Gesamtliste von Vorschlägen aus ganz Deutschland. „Der Blutritt konnte bei allen Kriterien die Jury überzeugen. Einhergehend mit der positiven Entscheidung wurde die Bewerbung an die Kultusministerkonferenz weitergeleitet und wird von dort an das Expertenkomitee für das immaterielle Kulturerbe übermittelt werden“, schreibt die Stadt Weingarten in einer Pressemitteilung. Bis eine endgültige Entscheidung fällt, wird es aber wohl noch bis zum Herbst dauern.
Denn das Prozedere ist langwierig und kompliziert. Zunächst muss eine Bewerbung beim Land BadenWürttemberg eingehen. Vier Bewerbungen kommen in ein bundesweites Auswahlverfahren und zum Sekretariat der Kultusministerkonferenz (KMK). Und genau an dieser Stelle des Verfahrens befindet sich der Blutritt aktuell. Allerdings: Bei 16 Bundesländern sind 64 Vorschläge denkbar. Ein Expertenkomitee – die Deutsche Unesco-Kommission – filtert dann weiter aus. Dabei gibt es zwei mögliche Kategorien, in welche der Blutritt eingeteilt werden könnte: das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Welterbes oder das Register guter Praxisbeispiele. ANZEIGE Ist die Auswahl getroffen, muss sie noch durch die KMK und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) von staatlicher Seite bestätigt werden. Das geschieht voraussichtlich im Herbst 2018.
Je nach Ausgang könnte der Blutritt also zum immateriellen Welterbe ernannt oder ins Register guter Praxisbeispiele eingetragen werden. Allerdings ist das kein offizielles Verzeichnis der Unesco. Das würde im Übrigen keinerlei direkte finanzielle Förderung bringen. Der Marketingwert wäre aber sicherlich immens – ganz zu schweigen von der Bedeutung für die vielen gläubigen Weingartener. Doch damit müsste noch nicht Schluss sein. Am prestigeträchtigsten wäre eine Nominierung für die internationale Liste des immateriellen Welterbes – von der Unesco. Über das Auswärtige Amt würde die Bewerbung an die Unesco nach Paris geschickt, die dann über die Aufnahme entscheiden würde. Jedoch könnte das noch Jahre dauern. Just im März hat die deutsche Unesco-Kommission bekannt gegeben, dass sie im März 2019 das Hebammenwesen, welches 2016 in das bundesweite Verzeichnis aufgenommen wurde, für die internationale Liste nominieren wird. Eine Entscheidung dürfte dann 2020 fallen.
Erster Vorstoß kam von der SPD
Doch so weit ist man mit der Weingartener Bewerbung noch lange nicht, auch wenn es in der Stadt schon seit vielen Jahren Überlegungen gibt, eine Besonderheit Weingartens zu einem Unesco-Welterbe zu machen. Den ersten offiziellen Schritt hatte die Weingartener SPDFraktion im Jahr 2015 gemacht, als sie einen Antrag im Gemeinderat stellte. Allerdings ging es damals um die Basilika als Unesco-Weltkulturerbe. Doch nach Rücksprache mit Experten der zuständigen Stellen in Stuttgart wurde schnell klar: Die Basilika hätte kaum Chancen, zum Weltkulturerbe ernannt zu werden. Schließlich gibt es zahlreiche anderen Kirchen in Deutschland, bei denen ähnliche Pläne verfolgt werden. Da die baden-württembergische Vorschlagsliste – jedes Bundesland darf beim Weltkulturerbe pro Jahr nur einen Vorschlag einreichen – damals bereits bis ins Jahr 2020 voll war, hätte das Ganze noch viel länger gedauert.
Gemeinschaft und Bräuche
Da das immaterielle Welterbe, das ebenfalls von der Unesco ausgezeichnet wird, noch nicht so bekannt ist, sind die Chancen, dort erfolgreich abzuschneiden, deutlich höher. Außerdem sind das Alleinstellungsmerkmal und die reine Bedeutung der Heilig-Blut-Verehrung, zu der letztlich ja auch die Basilika gehört, noch umfassender. Und genau darauf kommt es auch an. Denn schließlich geht es beim immateriellen Kulturerbe um kulturelle Ausdrucksformen, die von menschlichem Wissen und Können getragen sind. Diese Traditionen sollen von der Gemeinschaft geprägt sein, mit der Zeit gehen, weiterentwickelt und weitergegeben werden. Es geht also um Menschen, um das soziale Miteinander, um Identität. Vereinfacht gesagt: Kunst, Bräuche, Rituale, Feste, Wissen über traditionelle Handwerkstechniken und Praktiken im Umgang mit der Natur.
Rutenfest bewirbt sich ebenfalls
Viele dieser Aspekte sah die Jury auch beim Blutritt. In ihrer Begründung für die Aufnahme in die Landesliste führte sie vor allem vier erfüllte Bedingungen auf: Ein hinreichend belegtes Alter und eine entsprechende Tradition als kulturelles Erbe. Eine herausragende kulturelle beziehungsweise kulturgeschichtliche Bedeutung. Das ehrenamtliche Engagement der Funktionsträger und Organisatoren ohne Absicht, Gewinne zu erzielen. Die Regionaltypik sowie die identitätsstiftende Wirkung für einen bestimmten geografischen Raum. Ob all das auch auf das Ravensburger Rutenfest zutrifft, wird sich im Übrigen im kommenden Jahr zeigen. Denn wie die „Schwäbische Zeitung“bereits berichtete, will die Rutenfestkommission in diesem Jahr ebenfalls einen Antrag auf Ernennung zum immateriellen Kulturerbe stellen. Über die Aufnahme in die Landesliste dürfte dann im kommenden Frühjahr entschieden werden.