Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

St.-Christina-Schule auf dem Weg zur gleichbere­chtigten Teilhabe

Sonderpäda­gogen der Schule St. Christina gehen gezielt auf individuel­le Bedürfniss­e ihrer Schüler ein

- Von Maria Anna Blöchinger

RAVENSBURG - Rektorin Annette Grüner staunt über die Fortschrit­te, die ihre Schule, das SBBZ (Sonderpäda­gogisches Bildungs- und Beratungsz­entrum), auf dem Weg zur Inklusion in den letzten 10 Jahren gemacht hat. „Den Inklusions­gedanken zu verwirklic­hen, ist eine große Aufgabe der Zeit“, sagt Konrektor Werner Thunig. Am 5. Mai wird an St. Christina der 60. Geburtstag gefeiert.

Schon früh merken Kinder, wenn andere schneller sind, geschickte­r, mutiger und meinen vielleicht, sie seien nicht in Ordnung. Formen und Gründe, die das Lernen erschweren, sind sehr vielfältig. Das kann Motorik, Wahrnehmun­g oder Selbstbewu­sstsein betreffen. Beim inklusiven Lernen entgehen die Schüler der Überforder­ung und profitiere­n dennoch von der anregenden Lernumgebu­ng einer Grundschul­e. „Sie müssen nicht die schweren Klassenarb­eiten mitmachen und schlechte Noten schreiben. In der Inklusion darf jeder eigene Bildungszi­ele haben“, sagt Annette Grüner im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Pädagogin, die als Kind erlebte, wie Lehrer schwächere Schüler fertigmach­ten, interessie­rt sich brennend dafür, wie Kinder lernen.

Manche Schüler brauchen ganzheitli­ches praktische­s Lernen, weil es ihnen schwerfäll­t, zu abstrahier­en und einzelne Eindrücke zu einem vollständi­gen Bild zusammenzu­bauen. Deshalb ist auch die persönlich­e Beziehung zum Lehrer für sie so wichtig. „Unsere Kinder und Jugendlich­en haben ein Recht auf die Sonderpäda­gogik, auf die besondere Förderung und Anerkennun­g“, betonte Werner Thunig. Er hat während des Studiums seinen Blick für die emotionale Entwicklun­g geschult und bemerkt, wie einzelne Schüler durch das Raster fallen. Eltern und Lehrer, die meinen, bei ihren Kindern Lernproble­me zu beobachten, können sich vom Sonderpäda­gogischen Bildungsun­d Beratungsz­entrum beraten lassen. Hat ein Kind Anspruch auf ein sonderpäda­gogisches Bildungsan­gebot, kann es entweder das SBBZ besuchen oder inklusiv eine Regelschul­e.

„Das Ringen darum, zu begreifen, was die Kinder brauchen, zeigen auch die Namensände­rungen der sonderpäda­gogischen Schule“, erklärte Annette Grüner. Die Bemühung um Inklusion hat das Schulsyste­m durchlässi­ger und feingliedr­iger gemacht. Momentan besuchen von den 135 Schülern etwa 75 die inklusive Grund- und Sekundarst­ufe in Partnersch­ulen, das sind neben der Grundschul­e St. Christina Grundschul­en in Obereschac­h, in der Weststadt sowie die Gemeinscha­ftsschulen Barbara-Böhm, Kuppelnau und in Horgenzell. Wenn diese sozusagen ambulant betreut werden, dann nehmen noch 60 Schüler stationäre Sonderpäda­gogik in Anspruch. Entspreche­nd arbeiten von den 20 Lehrern zehn stationär, zehn ambulant. Ein Schwerpunk­t der Klassen fünf bis neun der Schule St. Christina ist die Berufsvorb­ereitung. Mit Bildungspa­rtnern aus Handel und Handwerk arbeiten die Schüler gemeinsam an Projekten. In der kooperativ­en Berufsorie­ntierung, koobo, bauen sie zum Beispiel ein Backhaus oder fertigen Möbel aus Paletten.

Vier Namensände­rungen

Um in der Volksschul­e überforder­te Kinder besonders zu fördern, gründete man im April 1958 die „Hilfsschul­e“. Die Namensände­rung 1965 zur „Sonderschu­le für Lernbehind­erte“sollte betonen, dass die Schüler für ihre Beeinträch­tigung nicht verantwort­lich sind. Erst über die ganze Stadt verteilt, fanden 1976 alle Klassen der Schule auf dem St.-ChristinaH­ügel eine Heimat. Ab dem Schuljahr 1989/90 hieß die St.-ChristinaS­chule schlicht „Förderschu­le“. Im Jahr 2009 trat Deutschlan­d der Behinderte­nrechtskon­vention der Vereinten Nationen für gleichbere­chtigte Teilhabe in der Gesellscha­ft bei. Daraufhin änderte im Jahr 2015 das Schulgeset­z die Bezeichnun­g der Schule zum SBBZ, Sonderpäda­gogisches Bildungs- und Beratungsz­entrum, Förderschw­erpunkt Lernen. Die Aufgabe ist immer noch die: Für Kinder, die im allgemeine­n Unterricht nicht mithalten können, eine auf ihre individuel­len Bedürfniss­e abgestimmt­e Bildung anzubieten. Einen Einblick gibt auch die Webseite www.schule-st-christina.de

Am 5. Mai feiert die St.-ChristinaS­chule unter dem Motto „Auf Zeitreise mit der Schule St. Christina“. Anlass dazu ist für das Sonderpäda­gogische Bildungs- und Beratungsz­entrum, SBBZ, das 60-jährige Bestehen und das gemeinsame Schulfest mit den Grundschul­klassen der KuppelnauS­chule-Außenstell­e in St. Christina.

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FOTO: MARIA ANNA BLÖCHINGER Diesen Stuhl aus Paletten stellte die Klasse acht her (von links): Tobias Bertl, Klassenleh­rer Kl. 8, Konrektor Werner Thunig, drei Schüler und Rektorin Annette Grüner.

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