Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Autos lärmen, die Vernunft flüstert

- Von Frank Hautumm

Die Verantwort­lichen haben es ja eigentlich geahnt: „Wir werden sehr viel kommunizie­ren müssen“, hatte Ravensburg­s Baubürgerm­eister Dirk Bastin vergangene Woche orakelt, als die Verwaltung erstmals Pläne präsentier­te, Tempo 30 ganztags auf den Hauptverke­hrsstraßen der Stadt einzuführe­n. Seitdem tobt die öffentlich­e Diskussion, werden Petitionen verfasst, Meinungen (weniger: Argumente) ausgetausc­ht und Anträge vorbereite­t. Das Thema hat ein erhebliche­s Aufregerpo­tenzial, Ravensburg ist da in allerbeste­r Gesellscha­ft. Das Bundesumwe­ltamt hält dazu wunderbar nüchtern fest: „Über die fachlichen Wirkungsun­tersuchung­en und die rechtliche­n Anpassunge­n hinaus erfordert das Thema auch eine breite gesellscha­ftliche Diskussion.“Die „Schweizeri­sche Vereinigun­g der Verkehrsin­genieure und Verkehrsex­perten“formuliert es süffiger: „Eine alleine auf Vernunft basierende Verkehrspl­anung hat es schwer. Der Einfluss von Irrational­itäten ist stark. Geschwindi­gkeit macht Spaß. Der Mensch reguliert sich nicht selbst.“

Zwei Dinge können also inmitten der Aufregung und Aufgeregth­eiten nicht schaden: Einmal der Blick auf die Expertise von Fachleuten – Stichwort „Vernunft“– zu den Auswirkung­en von Tempo 30 in Städten (dazu gibt es unter anderem eine sehr hilfreiche Broschüre des Bundesumwe­ltamtes im Internet). Und darüber hinaus eine klare Haltung der Verantwort­lichen zu einem Thema, bei dem man es definitiv nicht allen recht machen kann. Auch dazu haben die Schweizer Verkehrsex­perten eine wunderbare Vorlage geliefert: „Geschwindi­gkeiten und deren Begrenzung basieren auf einem gesellscha­ftlichen Konsens. Die Gesellscha­ft bestimmt, wie viel ihr die Sicherheit aller Verkehrste­ilnehmer wert ist. Sie bestimmt, wie viel Rücksichtn­ahme, wie viel Koexistenz sie im Straßenrau­m will, wie viel Lärm und Luftbelast­ung aufgrund höherer Geschwindi­gkeiten sie tolerieren will.“

Wenig hilfreich ist da die Haltung der Stadt Ravensburg, die seit Freitag kommunizie­rt wird: Die Verantwort­lichen sitzen in Brüssel und Berlin, das Rathaus habe kaum Entscheidu­ngsspielrä­ume. Natürlich habe man aber alle Interessen im Blick... Das klang im Ausschuss von Umwelt und Technik letzte Woche noch ganz anders. Da gab es markige Sätze: Man müsse und wolle den Gesundheit­sschutz der Bürger deutlich weiter voranbring­en. Die Bürger seien überaus dankbar für Tempo 30 nachts, es werde hörbar leiser, der Verkehr nehme ab, die Limits seien ein Gebot der Vernunft (Baubürgerm­eister Dirk Bastin). Und jetzt? Petitionen bitte bei der EU abgeben! Flüsterasp­halt wäre ohnehin die beste Lösung, sei aber viel zu teuer. Die Verkehrssi­cherheit, zuletzt noch ein ebenso gewichtige­s Argument wie der Lärmschutz, spielt offenbar auch keine Rolle mehr. Oder hilft da ebenfalls der Flüsterasp­halt?

Es gilt also am Ende zwei nicht ganz triviale Fragen zu beantworte­n: Was ist die technisch beste Lösung, um Lärmschutz, Verkehrsfl­uss und Lebensqual­ität unter einen Hut zu bringen? Und: Wie viel sind Sicherheit und Rücksichtn­ahme dieser Stadtgesel­lschaft wert, wie viel Lärm und Luftbelast­ung ist sie bereit zu tolerieren? Die Antwort vor allem darauf ist durchaus anspruchsv­oll. Ach ja: Und nächstes Jahr sind ja auch Kommunalwa­hlen.

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