Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Autos lärmen, die Vernunft flüstert
Die Verantwortlichen haben es ja eigentlich geahnt: „Wir werden sehr viel kommunizieren müssen“, hatte Ravensburgs Baubürgermeister Dirk Bastin vergangene Woche orakelt, als die Verwaltung erstmals Pläne präsentierte, Tempo 30 ganztags auf den Hauptverkehrsstraßen der Stadt einzuführen. Seitdem tobt die öffentliche Diskussion, werden Petitionen verfasst, Meinungen (weniger: Argumente) ausgetauscht und Anträge vorbereitet. Das Thema hat ein erhebliches Aufregerpotenzial, Ravensburg ist da in allerbester Gesellschaft. Das Bundesumweltamt hält dazu wunderbar nüchtern fest: „Über die fachlichen Wirkungsuntersuchungen und die rechtlichen Anpassungen hinaus erfordert das Thema auch eine breite gesellschaftliche Diskussion.“Die „Schweizerische Vereinigung der Verkehrsingenieure und Verkehrsexperten“formuliert es süffiger: „Eine alleine auf Vernunft basierende Verkehrsplanung hat es schwer. Der Einfluss von Irrationalitäten ist stark. Geschwindigkeit macht Spaß. Der Mensch reguliert sich nicht selbst.“
Zwei Dinge können also inmitten der Aufregung und Aufgeregtheiten nicht schaden: Einmal der Blick auf die Expertise von Fachleuten – Stichwort „Vernunft“– zu den Auswirkungen von Tempo 30 in Städten (dazu gibt es unter anderem eine sehr hilfreiche Broschüre des Bundesumweltamtes im Internet). Und darüber hinaus eine klare Haltung der Verantwortlichen zu einem Thema, bei dem man es definitiv nicht allen recht machen kann. Auch dazu haben die Schweizer Verkehrsexperten eine wunderbare Vorlage geliefert: „Geschwindigkeiten und deren Begrenzung basieren auf einem gesellschaftlichen Konsens. Die Gesellschaft bestimmt, wie viel ihr die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer wert ist. Sie bestimmt, wie viel Rücksichtnahme, wie viel Koexistenz sie im Straßenraum will, wie viel Lärm und Luftbelastung aufgrund höherer Geschwindigkeiten sie tolerieren will.“
Wenig hilfreich ist da die Haltung der Stadt Ravensburg, die seit Freitag kommuniziert wird: Die Verantwortlichen sitzen in Brüssel und Berlin, das Rathaus habe kaum Entscheidungsspielräume. Natürlich habe man aber alle Interessen im Blick... Das klang im Ausschuss von Umwelt und Technik letzte Woche noch ganz anders. Da gab es markige Sätze: Man müsse und wolle den Gesundheitsschutz der Bürger deutlich weiter voranbringen. Die Bürger seien überaus dankbar für Tempo 30 nachts, es werde hörbar leiser, der Verkehr nehme ab, die Limits seien ein Gebot der Vernunft (Baubürgermeister Dirk Bastin). Und jetzt? Petitionen bitte bei der EU abgeben! Flüsterasphalt wäre ohnehin die beste Lösung, sei aber viel zu teuer. Die Verkehrssicherheit, zuletzt noch ein ebenso gewichtiges Argument wie der Lärmschutz, spielt offenbar auch keine Rolle mehr. Oder hilft da ebenfalls der Flüsterasphalt?
Es gilt also am Ende zwei nicht ganz triviale Fragen zu beantworten: Was ist die technisch beste Lösung, um Lärmschutz, Verkehrsfluss und Lebensqualität unter einen Hut zu bringen? Und: Wie viel sind Sicherheit und Rücksichtnahme dieser Stadtgesellschaft wert, wie viel Lärm und Luftbelastung ist sie bereit zu tolerieren? Die Antwort vor allem darauf ist durchaus anspruchsvoll. Ach ja: Und nächstes Jahr sind ja auch Kommunalwahlen.