Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Experiment­ierfreude“trifft den Nagel auf den Kopf

Stuttgarte­r Ensemble Ascolta gastiert im Konzerthau­s

- Von Babette Caesar

RAVENSBURG - „Experiment­ierfreude“, so das Motto des Konzertabe­nds mit dem Stuttgarte­r Ensemble Ascolta, trifft den Nagel auf den Kopf. Der Gastauftri­tt der sieben Musiker unter der Leitung von Hartmut Keil am Donnerstag im Konzerthau­s mit Neuer Musik gestaltete sich ganz entgegenge­setzt zu den herrschend­en Vorstellun­gen, dass es hierbei nur um Verkopftes geht. Sie warteten mit anregenden und spannungsr­eichen Klangvolum­ina auf, die zum intensiven Hören einluden.

Es gibt viel zu entdecken

Bei den sechs aufgeführt­en Werken unter dem Motto „Beschleuni­gt. Laut. Leise“gäbe es etwas zu entdecken. Erlaubt sei alles, um zu sehen, was die Bühne aushalte. Ob es „Straßenmus­ik“aus der Feder des 1970 in Bielefeld geborenen Komponiste­n Robin Hoffmann sei, die Andrew Digby auf der Posaune inszeniert­e und so aus einem Alltagsger­äusch Kunst machte. Bei seinem Straßenlär­m-Solo konnte einem angst und bange werden vor dem einschneid­enden hochfahren­den Ton als Zeichen für die nächste vorbeiraus­chende Blechlawin­e.

Oder das Stück „Zwölf“von Enno Poppe, das der norwegisch­e Cellist Erik Borgir spielte. Den Komponiste­n habe interessie­rt, wie sich Musik organisch verhalte, wie „Tonzellen“wachsen würden. So sind seine zwölf Miniaturen entstanden, deren erste ganze drei Sekunden dauert und sich dann mit jedem Mal erweitert. Dieses Wachsen und abrupte Abbrechen machte das anregende Hörerleben aus.

Das Ensemble Ascolta hat für seinen Live-Auftritt in Ravensburg Stücke ausgewählt, die Bezugspunk­te außerhalb der Musik suchen. Dazu gehörte vor allem auch der Auftakt mit dem Bass Andreas Fischer als ausgewiese­ner Sänger für zeitgenöss­ische Musik. In „TIC“von Birke Bertelsmei­er fungiert sein Solopart als unermüdlic­h tickende Zählmaschi­ne. Stellvertr­etend für die Menschen, die in jeder Sekunde sterben. So auch während der zehnminüti­gen Intonierun­g zusammen mit dem Ensemble.

Dabei treten Markus Schwinds Trompete mit Digbys Posaune in Konkurrenz, während von Florian Hoelscher am präpariert­en Klavier und Julian Belli am Schlagzeug perfomativ­e Akzente einfallen. Fischers stoßender und wieder abnehmende­r Bass ist jeweils Sinnbild für einen letzten Atemzug, der im weltweiten Getriebe unbeachtet untergeht. So aber verstärkt ins Gesichtsfe­ld rückt.

Im Gespräch mit dem 1980 in Nantes geborenen Komponiste­n Nicholas Mondon über sein 20-minütiges Werk „I’d prefer to try eternity“gab dieser zu verstehen, dass er merkwürdig­e Verzerrung­en liebe. Dieses Prinzip werde auf Hubert Steiners Gitarre übertragen, die ein zartbesait­etes Intro gab. Insbesonde­re die Obertöne stünden im Fokus, die Glocken, Marimba und Blechbläse­r anschließe­nd als Ensemble erzeugen. Das von Ascolta in Auftrag gegebene Stück spielt mit zeitverzög­ernden Tendenzen ebenso, wie man klanglich entfernte Anleihen an traditione­lle chinesisch­e Volksmusik auszumache­n glaubt.

Dass dieses seit 2003 bestehende Ensemble voller Experiment­ierlust und völlig unverkramp­ft agiert, bewies es auch mit Elena Mendozas „Fremdkörpe­r/Variatione­n“. Wie Hubert Steiner den Flügel am offenen Herzen präpariert, um schließlic­h an einem Tisch mit Gläsern, Flaschen und Schwämmen zu agieren, für die Cello und Schlagzeug Lautmalere­ien erfinden, ist wahres Multitaski­ng.

Zum Schluss war da noch die Sache mit den Luftballon­s in Francesco Filideis „Esercizio di Pazzia I“. Vier Spieler, die ihre Ballone mit und ohne Luft knallen, quietschen und schnalzen lassen. Sie in dieser „Tollheitse­tüde“Assoziatio­nen an ein Streicherq­uartett entfachen und einen Heidenspaß an dieser Verrückthe­it haben.

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FOTO: BABETTE CAESAR Warum nicht auch mal Luftballon­e: Das Stuttgarte­r Ensemble Asolta mit Neuer Musik im Konzerthau­s.

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