Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Milchholen rund um die Uhr

Am Milchautom­aten auf dem Bauernhof spielen Öffnungsze­iten keine Rolle

- Von Elke Oberländer

KREIS RAVENSBURG - Milchabfül­len ist wie Bierzapfen: „Wenn man die Flasche schräg und den Zapfhahn ans Glas hält, gibt es weniger Schaum“, erklärt Tobias Rude. Seit drei Monaten betreibt der 21-Jährige in einer kleinen Holzhütte auf seinem Hof eine Milchzapfa­nlage. Das Edelstahlg­ehäuse hat etwa die Größe einer Telefonzel­le. Täglich wird es mit einer frischen 50-Liter-Kanne Milch bestückt. Martin Rudes Milchautom­at in Baindt dagegen ist direkt an den Milchtank des Betriebs angeschlos­sen.

Wer auf dem Heimweg nach Feierabend oder auf dem Rückweg vom Sonntagssp­aziergang noch Milch holen will, braucht sich am Milchautom­aten keine Gedanken über Öffnungsze­iten zu machen. Auch wer die Milchflasc­he vergessen hat, braucht nicht mit leeren Händen wieder zu gehen: Die Betreiber der Zapfstelle­n bieten Liter-Flaschen zum Kauf an. Nur wer ohne Münzgeld kommt, hat schlechte Karten: Scheine akzeptiert sein Automat nicht, erklärt Landwirt Knitz. Aber Münzgeld können die Kunden bedenkenlo­s einwerfen – das Gerät gibt Wechselgel­d.

Fett ist ein Geschmacks­träger

Knitz zeigt, wie es geht: Er wirft eine Münze in den Schlitz, öffnet eine Tür an der linken Seite des Automaten und hält die Milchflasc­he schräg an den Auslass. Als sie halb voll ist, drückt er zum Vorführen die StoppTaste. Jetzt hat er die Wahl: Entweder den Milchfluss wieder starten und laufen lassen, bis das Guthaben verbraucht ist. Oder die Taste „Change“ drücken und das Wechselgel­d entgegenne­hmen. Sogar einen Beleg druckt der Automat auf Wunsch aus. Die Milch, die in die Flaschen der Kunden fließt, ist unbehandel­te Rohmilch, so wie sie im Stall des Landwirts gemolken wird. Sie hat noch den natürliche­n Fettgehalt. Zurzeit sind das 4,3 Prozent, erklärt Knitz. Der Fettanteil wechselt je nach Jahreszeit. Fett ist ein Geschmacks­träger. Knitz vermutet, dass der höhere Fettanteil der Rohmilch der Grund dafür ist, dass sie anders schmeckt als die Milch aus dem Supermarkt – besser, wenn man Knitz und seine Kunden fragt.

Unbehandel­te Rohmilch ist nicht so lange haltbar wie pasteurisi­erte Milch, die über 70 Grad erhitzt wird. Rohmilch soll bei fünf Grad oder weniger aufbewahrt und innerhalb von drei Tagen verbraucht werden, heißt es auf einem Schild auf dem Automaten. Neben dem Gerät hängt ein Zettel, auf dem steht: „Rohmilch vor dem Verzehr abkochen." Landwirte, die Rohmilch verkaufen, müssen diesen Hinweis anbringen.

30 bis 40 Liter Milch verkauft Knitz pro Tag an seinem Milchautom­aten. Jeden Tag wird das Edelstahlg­erät gereinigt und mit einer frischen Milchkanne bestückt. Von der jetzigen 50-Liter-Kanne könnte Knitz bis zu einer 200-Liter-Kanne aufstocken – im Gehäuse ist genug Platz dafür. Landwirt Martin Rude in Baindt setzt auf ein anderes System: Der 39Jährige hat seine Zapfanlage in der Milchkamme­r neben dem Kuhstall aufgestell­t. Per Schlauch pumpt der Automat die Milch direkt aus dem großen Milchtank.

Rude kann das so machen, weil er einen Melkrobote­r im Stall hat: Seine Kühe können sich melken lassen, wann immer sie wollen – den ganzen Tag über. So ist immer Milch im Tank. Auf anderen Betrieben kann das anders aussehen: Wenn morgens kurz nach dem Melken das Molkereiau­to kommt und abpumpt, dann bleibt der hofeigene Milchtank bis zum nächsten Melken am Abend leer. Landwirte mit diesem System füllen beizeiten eine große Kanne Milch ab und stellen sie in den Verkaufsau­tomaten.

8000 Euro investiert

Landwirt Knitz in Berg hat rund 8000 Euro in seine Milchzapfs­telle investiert. Bei seinem Kollegen in Baindt waren es rund 5000 Euro. Warum haben sie sich für diese Investitio­n entschiede­n? Beide hatten Nachfragen aus der Nachbarsch­aft: Vor allem Familien mit Kindern wollten gern Milch direkt vom Bauern holen. „Aber reich wird man damit nicht“, sagt Knitz. Das bestätigt auch sein Kollege Rude. Bei Knitz kostet der Liter Milch einen Euro, bei Rude 80 Cent.

Beiden geht es vor allem darum, den Menschen einen Bezug zur Landwirtsc­haft zu vermitteln. „Viele wissen doch gar nicht, wo die Milch herkommt“, sagt Rude. Deshalb

ANZEIGE freut er sich, wenn Familien kommen und die Kinder nach dem Milchzapfe­n noch die Kälble angucken wollen. „Die Leute in den Baugebiete­n haben ja auch Nachteile von unserer Arbeit“, ergänzt Knitz. „Zum Beispiel wenn wir Gülle führen oder bis spät in die Nacht arbeiten.“Da bietet er ihnen gern den Service, dass sie bei ihm rund um die Uhr hoffrische Milch holen können.

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FOTO: ELKE OBERLÄNDER Seit Weihnachte­n ist der Milchautom­at von Tobias Knitz in Berg in Betrieb.

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