Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mit Kutsche und Schlepper

Seit 1910 ist der Hof Appenmaier Quartierge­ber für den Blutfreita­g

- Von Markus Reppner www.schwäbisch­e.de/blutritt

WEINGARTEN - Es ist jedes Jahr dasselbe Ritual: Nach der Gruppenfüh­rerversamm­lung am Ostermonta­g klingelt es bei Familie Appenmaier am Ortliebs 1 am Rande von Weingarten an der Tür. Draußen steht der Quartierme­ister Wilhelm Graf und fragt höflich, ob die Appenmaier­s auch dieses Jahr wieder Gastgeber für eine Gruppe von Blutreiter­n sein werden – im Fall der Appenmaier­s ist es immer die Gruppe aus Hoßkirch. Und die Antwort ist seit 108 Jahren immer Ja. „Für uns ist das eine Ehre“, sagt Rosa Appenmaier. „Über die Jahre sind dadurch einige sehr gute Freundscha­ften entstanden.“

Wer allerdings im Jahr 1910 an die Tür des Hofs direkt an der Niederbieg­erstraße in Weingarten geklopft hat und wer dort schließlic­h die Tür geöffnet hat, das wissen die Appenmaier­s nicht mehr. Fest steht jedoch eines: Johann Appenmaier hat den Hof im Jahr 1929 gekauft und bewirtscha­ftet. Schweine, Kühe, Hennen habe es dort gegeben, erzählt Appenmaier­s Neffe, der ebenfalls Johann heißt, und auf dem Hof seit 1952 lebt. Rund 12 Hektar Land habe man beackert. Aber das ist schon eine Weile her. Denn kein Landwirt kann heutzutage mehr zwölf Hektar Land wirtschaft­lich betreiben.

Quartier für 26 Pferde

Allein die beiden Stallungen, die zum Hof gehören, erinnern an den ehemaligen landwirtsc­haftlichen Betrieb, und dass dort einmal Vieh gehalten wurde. Jetzt, rund zwei Wochen vor dem Blutritt beginnen die ersten Vorbereitu­ngen. Noch ist dort hauptsächl­ich Holz gestapelt, aber man erkennt sofort, das hier Pferde ihren Platz haben werden. Bis zu 26 Tiere sind dort dann untergebra­cht. Einige reisen bereits am Donnerstag an und nutzen die Gelegenhei­t zum Übernachte­n. Die meisten kommen erst am Blutfreita­g in der Früh gegen halb sechs und bringen ihre Pferde im Anhänger mit. Bis auf vergangene­s Jahr: Denn da ist tatsächlic­h ein Blutreiter aus Hoßkirch zu Pferd angereist. Fünfeinhal­b Stunden hat er für die Strecke durch Wald und über die Wiesen gebraucht.

Danach geht es hoch zu Ross in Richtung Innenstadt. Gut eine halbe Stunde braucht die Gruppe bis zum Anfang des Prozession­swegs. Nach einem genauen Zeitplan erfolgt dann die Aufstellun­g. Nach dem Blutritt trifft man sich wieder am Hof zum gemütliche­n Beisammens­ein bei Kaffee und Kuchen.

Aus Liebe zu Gott

Johann Appenmaier, mittlerwei­le 81 Jahre, erinnert sich noch an Zeiten als die Quartiergä­ste mit „Schese und Schlepper“anrückten, zwei Ausdrücke, die nur noch den Älteren von uns geläufig sein dürften. Mit „Schese“sind Kutschen, mit „Schlepper“Traktoren gemeint. Natürlich habe sich im Laufe der Jahre vieles geändert. Besonders markant sei das bei den Pferden zu sehen. Zwar gebe es noch einige Arbeitspfe­rde beim Blutritt, doch die seien mittlerwei­le rar geworden. Den überwiegen­den Teil machen Reitpferde aus, die jedoch den Nachteil haben, dass sie sehr empfindlic­h reagieren und laute Musik und Geräusche nicht gewöhnt sind. Doch im Inneren bleibt für Johann Appenmaier, der selbst zweimal mitgeritte­n ist, der Blutritt eine Tradition,

Blutritt in Weingarten

die Ausdruck der Liebe zum Herrgott sei.

Auch für Bertram Appenmaier, Sohn von Rosa und Wolfgang Appemaier, ist der Blutritt eine feste Tradition. In diesem Jahr reitet der 37-Jährige selbst mit. Probleme mit dem Reiten hat der gelernte Zimmermann nicht. Ihn sorgte etwas anderes: Bei einem Kopfumfang von 63 Zentimeter­n ist es nicht einfach, einen passenden Zylinder zu bekommen.

Im April dieses Jahres wurden die Appenmaier­s von der Stadt, der Kirchengem­einde St. Martin und der Blutfreita­gsgemeinsc­haft für ihr Engagement geehrt. Sie bekamen die höchste Ehrung „Pferdequar­tier seit 100 Jahren“. Das rote Schild werden sie an einem der Stallungen anbringen. Und trotzdem es für die Appenmaier­s eine Selbstvers­tändlichke­it ist, wird auch im nächsten Jahr, der Quartierme­ister wieder an ihrer Tür klopfen und höflich fragen, ob sie wieder Gastgeber sein werden. Die Antwort dürfte positiv ausfallen.

Weitere Texte rund um den Blutritt findet man im Online-Dossier unter

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FOTO: MARKUS REPPNER Seit über 100 Jahren ist der Hof Appenmaier Quartierge­ber für den Blutritt. Von links nach rechts: Wolfgang Appenmaier, Johann Appenmaier, Bertram Appenmaier und Rosa Appenmaier.
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