Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Musik gehört dazu wie der Rosenkranz
Beim Weingartener Blutritt sind die Bläser und Trommler zahlreicher vertreten als die Reiter
WEINGARTEN - Wer am Blutfreitag frühmorgens auf dem Weingartener Basilikavorplatz auf die Übergabe der Heilig-Blut-Reliqie wartet, vernimmt aus allen Straßen und Gassen nicht nur Hufescharren und Pferdegetrappel, sondern auch eine einzigartige Mischung aus Marschmusik religiösen und weltlichen Charakters. Es sind die Musikkapellen, welche die annähernd hundert Blutreitergruppen auf ihrem Prozessionsweg durch die Stadt mit klingendem Spiel begleiten, aber auch schon auf ihrem Weg zum jeweiligen Aufstellungsplatz. Mittlerweile gehören rund 4000 Musikanten zu diesem unverzichtbaren Geleit. Seit 1905 ist beim Musikverein Baienfurt der Weingartener Blutritt ein Pflichttermin für (fast) alle Aktiven. Allenfalls berufliche Verpflichtungen lässt Dirigent Hans Dieter Schneider als Entschuldigung gelten. Bei den anderen Vereinen gilt das ebenfalls.
Doch die Baienfurter können noch eine Besonderheit für sich reklamieren, wie Vereinsvorstand Richard Birnbaum im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“hervorhebt: „Wir sind die einzige Kapelle, die die Blutreiter morgens um 6 Uhr auf dem Kirchplatz abholt, bis zu ihrem Aufstellungsplatz begleitet und mit ihnen auch nach der Prozession wieder zurück nach Baienfurt zieht. Dazwischen absolvieren wir den Prozessionsweg durch die Stadt. Da kommen einige Kilometer Fußmarsch zusammen.“Wenn die Reiter beim Krankenhaus 14 Nothelfer in Richtung Öschweg abbiegen, bleibt für die Musikanten keine allzu lange Verschnaufpause; denn knapp zwei Stunden später wollen sie an der nördlichen Stadtgrenze wieder abgeholt werden. Anschließend geht es nochmals mit klingendem Spiel zurück zur Baienfurter Pfarrkirche. „Wir sitzen dann im oder vor dem Vereinsheim zum gemeinsamen Mittagessen zusammen. Da ist jeder froh, wenn er sich ein wenig ausruhen kann. Manche fahren aber gleich wieder zur Arbeit“, sagt Dirigent Schneider.
Er wurde vergangenes Jahr für 50 Jahre Teilnahme am Blutritt geehrt. Diesmal wird es das letzte Mal in dieser Funktion sein; denn Schneider will als Dirigent aufhören. Kaum einer hat so viel Erfahrung mit dem Blutritt wie er. Sie möchte er gern an seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin weitergeben – wenn er oder sie denn bald gefunden ist. Seine Truppe weiß mittlerweile exakt, wann die Baienfurter Blutreiter von ihrem Ritt durch das Ösch zurückkehren, egal, welche Position sie im Prozessionszug einnehmen. „Das hat sich im Gedächtnis abgespeichert“, sagt Schneider. Dabei kalkuliert er ein, dass die Blutreitergruppen von Jahr zu Jahr kleiner werden. Langjährige Besucher nehmen das ebenfalls wahr.
Andere Veränderungen registriert Richard Birnbaum in seiner Funktion als Quartiergeber. Auf seinem Anwesen, das längst keine Landwirtschaft mehr beherbergt, treffen sich immer dieselben Gruppen seit nunmehr 75 Jahren: „Bei gutem Wetter stellen die Reiter bereits am Vorabend ihre Pferde unter. Wenn es regnet, kommen sie erst am Freitagmorgen mit ihren Pferdeanhängern.“Was nahezu unverändert bleibt, ist die Musik, ohne die der Weingartener Blutritt nicht vorstellbar wäre. „Wir spielen fast ohne Unterbrechung“, merkt Hans Dieter Schneider stolz an und wundert sich nach wie vor, dass die wenigsten Pferde scheu werden, wenn eine Kapelle zu einem Marsch ansetzt: „Es ist schon erstaunlich, dass es beim Blutritt kaum ernsthafte Unfälle gibt, sitzt doch so mancher Reiter das ganze Jahr über kaum auf einem Pferd.“Daher freut sich der altgediente Musikant auf den Blutritt 2018, der für ihn ein besonderes Erlebnis zu werden verspricht.