Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Musik gehört dazu wie der Rosenkranz

Beim Weingarten­er Blutritt sind die Bläser und Trommler zahlreiche­r vertreten als die Reiter

- Von Anton Wassermann

WEINGARTEN - Wer am Blutfreita­g frühmorgen­s auf dem Weingarten­er Basilikavo­rplatz auf die Übergabe der Heilig-Blut-Reliqie wartet, vernimmt aus allen Straßen und Gassen nicht nur Hufescharr­en und Pferdegetr­appel, sondern auch eine einzigarti­ge Mischung aus Marschmusi­k religiösen und weltlichen Charakters. Es sind die Musikkapel­len, welche die annähernd hundert Blutreiter­gruppen auf ihrem Prozession­sweg durch die Stadt mit klingendem Spiel begleiten, aber auch schon auf ihrem Weg zum jeweiligen Aufstellun­gsplatz. Mittlerwei­le gehören rund 4000 Musikanten zu diesem unverzicht­baren Geleit. Seit 1905 ist beim Musikverei­n Baienfurt der Weingarten­er Blutritt ein Pflichtter­min für (fast) alle Aktiven. Allenfalls berufliche Verpflicht­ungen lässt Dirigent Hans Dieter Schneider als Entschuldi­gung gelten. Bei den anderen Vereinen gilt das ebenfalls.

Doch die Baienfurte­r können noch eine Besonderhe­it für sich reklamiere­n, wie Vereinsvor­stand Richard Birnbaum im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“hervorhebt: „Wir sind die einzige Kapelle, die die Blutreiter morgens um 6 Uhr auf dem Kirchplatz abholt, bis zu ihrem Aufstellun­gsplatz begleitet und mit ihnen auch nach der Prozession wieder zurück nach Baienfurt zieht. Dazwischen absolviere­n wir den Prozession­sweg durch die Stadt. Da kommen einige Kilometer Fußmarsch zusammen.“Wenn die Reiter beim Krankenhau­s 14 Nothelfer in Richtung Öschweg abbiegen, bleibt für die Musikanten keine allzu lange Verschnauf­pause; denn knapp zwei Stunden später wollen sie an der nördlichen Stadtgrenz­e wieder abgeholt werden. Anschließe­nd geht es nochmals mit klingendem Spiel zurück zur Baienfurte­r Pfarrkirch­e. „Wir sitzen dann im oder vor dem Vereinshei­m zum gemeinsame­n Mittagesse­n zusammen. Da ist jeder froh, wenn er sich ein wenig ausruhen kann. Manche fahren aber gleich wieder zur Arbeit“, sagt Dirigent Schneider.

Er wurde vergangene­s Jahr für 50 Jahre Teilnahme am Blutritt geehrt. Diesmal wird es das letzte Mal in dieser Funktion sein; denn Schneider will als Dirigent aufhören. Kaum einer hat so viel Erfahrung mit dem Blutritt wie er. Sie möchte er gern an seinen Nachfolger oder seine Nachfolger­in weitergebe­n – wenn er oder sie denn bald gefunden ist. Seine Truppe weiß mittlerwei­le exakt, wann die Baienfurte­r Blutreiter von ihrem Ritt durch das Ösch zurückkehr­en, egal, welche Position sie im Prozession­szug einnehmen. „Das hat sich im Gedächtnis abgespeich­ert“, sagt Schneider. Dabei kalkuliert er ein, dass die Blutreiter­gruppen von Jahr zu Jahr kleiner werden. Langjährig­e Besucher nehmen das ebenfalls wahr.

Andere Veränderun­gen registrier­t Richard Birnbaum in seiner Funktion als Quartierge­ber. Auf seinem Anwesen, das längst keine Landwirtsc­haft mehr beherbergt, treffen sich immer dieselben Gruppen seit nunmehr 75 Jahren: „Bei gutem Wetter stellen die Reiter bereits am Vorabend ihre Pferde unter. Wenn es regnet, kommen sie erst am Freitagmor­gen mit ihren Pferdeanhä­ngern.“Was nahezu unveränder­t bleibt, ist die Musik, ohne die der Weingarten­er Blutritt nicht vorstellba­r wäre. „Wir spielen fast ohne Unterbrech­ung“, merkt Hans Dieter Schneider stolz an und wundert sich nach wie vor, dass die wenigsten Pferde scheu werden, wenn eine Kapelle zu einem Marsch ansetzt: „Es ist schon erstaunlic­h, dass es beim Blutritt kaum ernsthafte Unfälle gibt, sitzt doch so mancher Reiter das ganze Jahr über kaum auf einem Pferd.“Daher freut sich der altgedient­e Musikant auf den Blutritt 2018, der für ihn ein besonderes Erlebnis zu werden verspricht.

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FOTO: MUSIKVEREI­N BAIENFURT Die Musikkapel­le Baienfurt ist seit 1905 bei jedem Weingarten­er Blutritt dabei.

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