Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ganz im Dienste der Komposition
Kuss-Quartett gastierte in der Weißenau – Geigenjuchzer amüsieren das Publikum
RAVENSBURG - Unter den Titel „Russisch!“mit Ausrufungszeichen hatte das Kuss-Quartett seinen kammermusikalischen Abend innerhalb des Bodenseefestivals im Festsaal der Ravensburger Weißenau gestellt. Und er wurde mit Haydn, Schostakowitsch und Beethoven noch einmal ein Höhepunkt dieser gut drei Wochen dauernden Festspielzeit. Ein fast vollbesetzter Saal sorgte zudem für eine perfekte Akustik.
Warum Haydn und Beethoven unter dem russischen Thema? Haydns sechs Quartette op. 33, von denen das Kuss-Quartett das zweite ausgewählt hatte, waren nachträglich „Russische Quartette“wegen ihrer Widmung für den 1781 in Wien weilenden Großherzog Paul von Russland genannt worden. Mit ihnen hatte Haydn Musikgeschichte geschrieben, da er den bisher üblichen Menuettsatz in ein „Scherzo“umwandelte. Dass dieses Werk den Titel „Der Scherz“erhielt, merkt man spätestens beim zweiten Satz, der – nach einem von der brillanten ersten Geige geführten Eingangsmoderato – mit lauter Juchzern der ersten Geige das Publikum nachhaltig amüsierte. Denn die jauchzenden Geigentöne vermittelten nicht nur die Spielfreude des Quartetts, sondern auch Haydn als den für die Kammermusik erfindungsreichsten Komponisten der Epoche.
Das Zusammenspiel passt
Bereits die Geschichte dieses Quartetts ist einzigartig: Als Sechzehnjährige gründete Jana Kuss 1991 mit dem zwei Jahre jüngeren Geiger Oliver Wille das Quartett. Professionell als Quartett begannen sie 2002 zusammen mit dem britischen Bratschisten William Coleman noch in anderer Besetzung, 2008 kam der armenische Cellist Mikayel Hakhnazaryan dazu. Drei der Instrumente – die erste Geige, die Viola und das Cello – sind historisch und stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Doch nicht allein deren wundervoller Klang macht den Zauber des Ensembles aus, sondern vor allem das Zusammenspiel der vier Streicher und wie genau sie einen persönlichen Musikstil innerhalb einer Epoche herauszuarbeiten vermögen.
Zuerst war also Haydn geboten, mit einem perfekten Ausloten der verschiedenen Stimmen, den verschiedenen Tempi im Scherzo und im darauf folgenden Largo sostenuto, in dem die großartige Bratsche eng mit der zweiten Geige zusammen wirkte. Es folgte das heiter verspielte Finale, das noch einmal den Scherz variierte, indem es langsamer und leiser wurde, aufhörte, noch mal kurz anfing und schließlich abbrach. Man stelle sich die Wirkung bei einem Publikum des späten 18. Jahrhunderts vor!
Danach Dmitri Schostakowitschs Streichquartett Nr. 11 f-moll op. 122, das er 1966 im Gedenken an den verstorbenen Geiger und Freund Wassili Schirinski komponierte. In sieben ineinander übergehenden Sätzen, zum Teil sehr kurz und alle leise verklingend, baut sich diese Musik langsam auf, aus fantastisch dunklem Cello und Viola fluten dräuende Töne, die von grellen, schnarrenden abgelöst werden, spitzem Pizzicato und einer Geige, die wie ein Irrlicht über allem flackert und schließlich verlischt. So intensiv in den emotionalen Gehalt von Schostakowitschs Musik eindringend hört man das selten.
Und so war es auch bei Beethovens Streichquartett e-moll op. 59, 1806 für seinen Mäzen, den Fürsten Rasumowsky, mit russischen Melodiemotiven versehen. Energiegeladen und dennoch schmelzend, leidenschaftlich und doch gebändigt, in einem fröhlichen Stimmenkanon verschränkt und dialogisch aufgebaut, auch hier ein Meisterwerk der Interpretation und Ausführung.
Als Dank für den jubelnden Beifall spielte das Quartett noch zwei Quartettsätze von Alexander Borodin.