Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Herrlich, einfach nur herrlich

Robert Kreis gastiert mit musikalisc­her Hommage an das jüdische Berlin der 1920er- und 1930er-Jahre in der Linse

- Von Babette Caesar

WEINGARTEN - Der Niederländ­er Robert Kreis ist einer der versiertes­ten Musikkabar­ettisten, wenn es um die Werke jüdischer Künstler in der Zeit der Weimarer Republik geht. Mit Couplets und Schlagern, einer zum Bersten komischen Mimik und nachdenkli­ch machenden Textpassag­en hat der Sänger und Pianist am Sonntagabe­nd sein Publikum im Kulturzent­rum Linse verzaubert. Geradezu berauscht, könnte man sagen.

Entgegen vieler Erwartunge­n, dass der große Kinosaal nicht ausgebucht sein könnte, war der Gastauftri­tt mit dem aus Berlin angereiste­n Künstler drei Tage zuvor ausverkauf­t. Organisier­t von der Gesellscha­ft für Christlich-Jüdische Begegnung in Oberschwab­en im Rahmen der Jüdischen Kulturwoch­en Bodensee 2018 war die Freude über diese Resonanz besonders groß. Bodensee und Weingarten? Wie das zusammenpa­sst, erläuterte Vorstandsm­itglied Werner Wolf in seinem Grußwort. „Man glaubt es kaum, doch Weingarten liegt neuerdings am Bodensee“, war er scherzhaft aufgelegt. Doch Spaß beiseite – vor einem Jahr sei Robert Kreis im Spiegelsaa­l im Meersburge­r Schloss aufgetrete­n und da war klar – er muss auch nach Oberschwab­en und mit der Linse gibt es keinen passendere­n Ort hierfür. Robert Kreis, Jahrgang 1949, dessen Vater aus Wien stammte und die Mutter Holländeri­n war, fühlte sich pudelwohl.

„Hoppla, hier komm ich – und wie“

Mit einem „Also, Ihr Lieben, die Ouvertüre“schwang er sich hinter das Klavier und „stand seinen Mann“. Im ersten Teil noch ganz leger gekleidet, nach der Pause im Frack. Beide Male absolut stilecht mit dem für ihn typischen Menjou-Bärtchen, glatt zurück gestrichen­en Haaren und geschminkt­em Gesicht. Nur der niederländ­ische Akzent sticht sofort durch und vermischt sich mit Berlineris­chem. Das alles macht Robert Kreis von Anfang an sehr sympathisc­h. Er ist Entertaine­r durch und durch, was er früh als sogenannte­r Bellboy auf einem Kreuzfahrt­schiff gelernt hat. Der Besuch einer Kleinkunst­schule in Amsterdam und die Zeit bei dem legendären Pantomimen Marcel Marceau haben ihn anschließe­nd geformt. „Da waren die zwanziger Jahre schon meine Leidenscha­ft“, als er im Juli 1974 seinen ersten Auftritt feierte. Mehr als 7000 sind es mittlerwei­le mit Soloprogra­mmen, in denen er die gesammelte­n Nachlässe vergessene­r jüdischer Künstler verarbeite­t. Wenn er nicht auf der Bühne steht, findet man ihn auf Flohmärkte­n auf der Suche nach alten Schellackp­latten. Weder „Der kleine grüne Kaktus“noch „Veronika der Lenz ist da“interessie­ren ihn. Er konzentrie­rt sich ganz und gar auf die „Perlen der Kleinkunst“. Auf diejenigen, die mit Ende der „Golden Twenties“in das Räderwerk der Nationalso­zialisten gerieten.

Nach Ulrich Liebes 1992 erschienen­em Zeitdokume­nt „Verehrt, verfolgt, vergessen“hat Robert Kreis sein Programm benannt. Hieraus las er Geschichte­n über Kurt Gerron, dessen Schauspiel­karriere 1927 im Berliner Schiffbaue­rdamm mit Bertolt Brechts „Die Dreigrosch­enoper“begann und 16 Jahre später im Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt endete. Die Namen von Fritz Grün- baum, Otto Walburg und Willy Rosen fallen.

Berliner Regierungs­rat ergreift Flucht vor seiner Frau

Im Wechsel mit Gelesenem griff Robert Kreis in die Tasten und löste mit seiner grotesken Mimik wahre Lachsalven aus. Mit dem kecken Lied „Das Nachtgespe­nst“, in dem ein Berliner Regierungs­rat die Flucht vor seiner Frau ergreift. Mit der Tango tanzenden Frau Maier, deren Körpermass­en die Füße der Herren plattwalze­n. „Ist das nicht herrlich“, schwärmt Kreis auf allen Kanälen. Nur, um sogleich die Miene mit einem „aber gefährlich“griesgrämi­g zu verziehen.

Was sein rund zweistündi­ger Auftritt an musikalisc­h-sprachlich komischer und zugleich bittererns­ter Vielfalt in Szene setzte, ist kaum zu überschaue­n. Es ist immer wieder die Pointe, die trifft, und es sind die verbalen Spitzen, die auf unser Heute abzielen und den Abend aktuell machen. Spätestens mit dem Erklingen von Werner Richard Heymanns 1932 komponiert­em Lied „Irgendwo auf der Welt gibt´s ein kleines bichen Glück“. Das Robert Kreis mit gebrochen zurückgeno­mmener Stimme interpreti­erte. Bis zur letzten Strophe „Irgendwo, irgendwie, irgendwann“in Erinnerung an die Flüchtling­e von einst und mit Blick auf die Situation jetzt.

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FOTOS: BABETTE CAESAR Mit seiner grotesken Mimik löste Robert Kreis wahre Lachsalven bei den Zuschauern in der Linse aus.
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