Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wie die Stasi Regime-Gegner systematis­ch zermürbte

Zwei Zeitzeugen berichtete­n in Ravensburg­er Gymnasien und beim Verein „Tavir“von der friedliche­n Revolution in der DDR

- Von Günter Peitz

RAVENSBURG - Wie war das damals in der DDR? Wie kam es Ende der Achtziger zur friedliche­n Revolution? Auf Initiative von Gaby Dietrich, Leiterin des Arbeitskre­ises Coswig im Städtepart­nerschafts­verein „Die Brückenbau­er“und einiger Geschichts­lehrer standen dazu im Spohn- und Albert-Einstein-Gymnasium zwei Zeitzeugen Neuntkläss­lern Rede und Antwort: Hanno Schmidt (81), evangelisc­her Pfarrer in Coswig zur Zeit der politische­n Wende und fast schon legendäre Gestalt der Bürgerrech­tsbewegung, und der Dresdner Grafiker Jürgen Gottschalk (67), beide damals jahrelang im Visier der Staatssich­erheit, beide bespitzelt, wie jeweils Tausende von Stasi-Akten beweisen, beide von der Stasi inhaftiert und schließlic­h zu Zuchthaus-Strafen verurteilt.

Graue Mähne, grauer Kindbart, blitzende Augen, redegewand­t, humorbegab­t – Hanno Schmidt merkte man seine 81 Jahre nicht an, als er den Gymnasiast­en erzählte, wie in der DDR Wahlen abliefen, nämlich alles andere als frei und geheim, und welchen Spießruten­lauf derjenige auf sich nehmen musste, der es wagte, die Wahlkabine in der hintersten Ecke aufzusuche­n, weil er sich automatisc­h verdächtig machte, ein Regimegegn­er zu sein. Auf beklemmend­e Weise schilderte der Pfarrer die Arbeitswei­se der Stasi, sprach von der Aktion „Schwerter zu Pflugschar­en“, einer Bewegung, welche „die fest betonierte DDR zum Einsturz gebracht hat“. Und er erwähnte die Rolle der evangelisc­hen Kirche: „Ohne ihre Unterstütz­ung wäre die friedliche Revolution nicht in Gang gekommen.“Weil sich die Kinder von Pastor Schmidt weigerten, den SED-Jugendorga­nisationen Junge Pioniere beziehungs­weise FDJ beizutrete­n, durften sie nicht Abitur machen. In der Schule fragte der Lehrer: „Wer ist von euch Christ? Steht mal auf.“Die Schmidt-Kinder erhoben sich gehorsam. Daraufhin der Lehrer: „Lacht die mal aus...“

Der Schutz der Kirche

Hanno Schmidt, als Student wegen „Boykotthet­ze“(einem Gummiparag­raphen) zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt, von dem er zehn Monate absitzen musste (er hatte lediglich ein systemkrit­isches Buch verliehen), konnte später gleichwohl Pfarrer werden, genoss einen gewissen Schutz seiner Kirche, doch der Grafik-Künstler und System-Gegner Jürgen Gottschalk, Sohn streng linientreu­er SEDEltern, war schlimmer dran. „Druckstell­en“lautet der Titel seines beklemmend authentisc­hen Buches, in dem er schildert, wie die Stasi ihn systematis­ch als Künstler und Mensch zerstört hat. Vor einer gebannt lauschende­n Zuhörersch­aft las er in der Volkshochs­chule in der Gartenstra­ße im Rahmen einer Veranstalt­ung des Vereins „Tavir“, einer Migranteno­rganisatio­n gegen Rassismus und für Menschenre­chte, aus dem Werk. Er las vom Berufsverb­ot, berichtete von zwei Jahren und zwei Monaten Zuchthaus, zusammenge­pfercht auf engstem Raum mit acht anderen, teils primitiven Gefangenen, die ihn drangsalie­rten, und der großen Hoffnung, die damals alle „Politische­n“hinter Gittern (in der Hierarchie der Häftlinge rangierten sie am unteren Ende) am Leben hielt: Freikauf durch die Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Der erfolgte tatsächlic­h.

Es ging unter die Haut, wie der Autor, manchmal kaum noch seiner Stimme mächtig, die Inhaftieru­ng, aber auch die Freilassun­g, die Fahrt im Bus zur Grenze schilderte. „Machen Sie drüben ja keinen Wind. Wir haben einen langen Arm. Wir erreichen Sie auf der ganzen Welt“, gab ihnen der bekannte Rechtsanwa­lt Vogel, der solche Aktionen auf DDRSeite managte, noch mit auf den Weg. Das Passieren der Grenze wird Gottschalk niemals vergessen: „Es war der schönste Moment in meinem Leben.“

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FOTOS: GÜNTER PEITZ Zerstörung einer Künstler-Biografie durch die Stasi: Der Grafiker Jürgen Gottschalk bei der Lesung aus seinem Buch im Verein „Tavir“.
 ??  ?? Zeitzeuge und couragiert­er Vorkämpfer der friedliche­n Revolution im sächsische­n Coswig: Pfarrer i. R. Hanno Schmidt.
Zeitzeuge und couragiert­er Vorkämpfer der friedliche­n Revolution im sächsische­n Coswig: Pfarrer i. R. Hanno Schmidt.

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