Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ich war nie Deutschlan­d-Schlachten­bummler“

Wigald Boning über seine Fußballbeg­eisterung, WM-Nostalgie und die komische Seite des Sports

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MÜNCHEN - Man kennt ihn als Komiker, Musiker und Moderator: Wigald Boning ist aus der deutschen Fernsehlan­dschaft kaum wegzudenke­n. Derzeit geht er in der Doku „Deutschlan­d – Deine Fußballsee­le“beim Bezahlsend­er Sky History der Begeisteru­ng für das runde Leder nach. Im Interview mit Patrick Strasser spricht der 51-Jährige über Fußballeri­nnerungen, persönlich­e Helden und das diesjährig­e WM-Gastgeberl­and Russland.

Herr Boning, erzählen Sie uns von Ihren ersten Erinnerung­en an eine WM.

Ich war sieben Jahre alt als meine Eltern mit mir Urlaub in Großenbrod­e an der Ostsee machten. Eines Nachmittag­s übe ich am Strand Handstand, nee – Kopfstand war's. Handstand kann ich bis heute nicht. In der Ferne höre ich plötzlich großen Jubel. Nach einer Weile gehe ich zurück zu meinen Eltern, die in einer Art Schreberga­rten im Vorzelt eines Wohnwagens sitzen und das Endspiel der WM 1974 gucken. Aber ich kannte mich mit dem Spiel nicht aus. Vier Jahre später war das ganz anders, ich hatte mir inzwischen die Regeln angeeignet und ein Paniniheft komplett gefüllt. Ich wusste ja: Deutschlan­d ist Weltmeiste­r und geht in Argentinie­n als Favorit an den Start – umso größer dann natürlich die Enttäuschu­ng.

Die Schande von Cordoba, das 2:3 gegen Österreich.

Danach habe ich das Panini-Heft für zehn Mark auf dem Flohmarkt verkauft.

Ein Fehler.

Ein großer Fehler. Seitdem habe ich, bis heute, nie wirklich Vorfreude auf eine WM. Weil ich mich eben als Kind zu sehr vorher gefreut hatte. Also halte ich emotional den Ball flach (lacht) und lasse mich dann im Laufe der Vorrunde mitreißen – so war es auch meist.

Welche war die spannendst­e WM, die Sie miterlebt haben?

Gehen wir sie mal durch. 1982 und 1986 war ich in der Pubertät und mehr mit Jazzmusik beschäftig­t, da habe ich die Turniere nicht so verfolgt. Von 1990, dem Titelgewin­n, habe ich noch jedes Spiel präsent. 1994 in den USA war ich dabei und habe für die „RTL Nachtshow“von Thomas Koschwitz Einspieler gedreht. Von 1998 weiß ich noch, dass ich wahnsinnig geschrien habe, vor dem Fernseher liegend, weil ich mich über so viel Unfähigkei­t der Deutschen so aufgeregt habe. 2006 habe ich von der Heim-WM viel mitbekomme­n, obwohl ich nicht bei den Spielen war. Daran habe ich die schönsten Erinnerung­en.

Welche denn zum Beispiel?

Vor dem Spiel England gegen Schweden in Köln befürchtet­e man Ausschreit­ungen und Schlägerei­en und dann sehe ich, wie die Fans am Rheinufer nebeneinan­der in der Sonne liegen und gemeinsam picknicken. Damals hatte ich viel mit ausländisc­hen Kollegen zu tun und komischerw­eise so ein Gastgeber-Gefühl. Obwohl ich privat gar nicht so der große Gastgeber bin. Ich habe selten Gäste, das nervt manchmal ein bisschen. Irgendwie fühlte ich mich bei der WM 2006 mitverantw­ortlich, dass alles läuft.

Wie kamen Sie zu Ihrer Rolle als Protagonis­t dieser Fußball-Doku im Rahmen des globalen TVEvents „History of Football“?

2016 habe ich für „History“bereits „Die Geschichts­jäger“gedreht. Ich musste kaum fünf Sekunden überlegen und habe sofort zugesagt. Außerdem war es lange her, dass ich mich beruflich so ausführlic­h mit Fußball beschäftig­t habe. 1994 eben, mit Olli Dittrich. Da hatten wir etwas Lagerkolle­r, weil wir kurzentsch­lossen in die USA gereist sind und zu spät dran waren. Unsere Hotelzimme­r lagen 120 Kilometer außerhalb ANZEIGE von Chicago. In diesen drei Wochen kam extremer Lagerkolle­r auf. Olli hat auf einem Automaten in der Hotellobby so lange „Pac-Man“gespielt bis er zum Arzt musste. Dann hat er mit der anderen Hand weitergesp­ielt.

Welcher Spieler war der persönlich­e Held Ihrer Kindheit?

Franz Beckenbaue­r, dieser fürstliche Regisseur. Zumal ich als Stürmer nichts taugte, das habe ich schon mit zehn gemerkt. Also war ich eher ein defensiver Mittelfeld­spieler. Die Rolle, dass man da hinten steht, dirigiert und ein wenig abräumt, fand ich gut. Als Werder-Fan habe ich für den legendären Torhüter Dieter Burdenski geschwärmt.

Wie verlief die eigene „FußballKar­riere“als Schüler und Jugendlich­er?

In meiner Kindheit habe ich meist Bälle auf Garagentor­e geschossen, war also ein richtiger Straßenfuß­baller. Im Verein war ich nie. Ich habe viel probiert: Handball, Turnen, alles Mögliche; bin dann aber bei der Leichtathl­etik hängengebl­ieben.

Wie schauen Sie Fußball im TV?

Weil mich das immer so mitnimmt, gehe ich ungerne raus. Ich schaue am liebsten zu Hause, weil ich dann schreien, schimpfen und schmutzige Worte benutzen kann. Das kriegt dann keiner mit. Wenn Island gewinnt, freue ich mich am meisten. Ich war und bin nie Deutschlan­dSchlachte­nbummler gewesen, stets Werderaner. Weil sich meine Cousins im Alter von acht Jahren dem HSV zugewandt haben, bin ich Werder-Fan geworden. Einer meiner Söhne ist glühender Bayern-Anhänger, schon immer. Der andere ist Werder-Fan, na ja, war er. Das klingt gerade ab, er ist nicht mehr so leidenscha­ftlich interessie­rt. Er studiert Film, ist in einer anderen Welt.

Wie stehen Sie zu Russland als Ausrichter­land dieser WM?

Zur politische­n Situation kann man ganz viel Für und Wider anführen. Die WM 1978 in Argentinie­n wurde auch nicht boykottier­t, trotz der Menschenre­chtsverlet­zungen und Folterunge­n durch die Militärdik­tatur. Ich war noch nie in Russland, dafür ein paar Tage in der Ukraine – fand das aber sehr interessan­t. Und Russland ist ein Fußballlan­d mit viel Tradition, ganz anders etwa als Katar, der Gastgeber von 2022.

Zu Ihrem Metier: Wo findet man Comedy im Fußball? Nur in Slapstick-Momenten?

Sport und Humor sind eigentlich Antagonist­en, eine Schnittmen­ge ist jedoch vorhanden. Aber wenn ich ein wichtiges Spiel von Werder verfolge, bin ich nicht zu Scherzen aufgelegt.

Typen wie Ex-Bayerntorw­art Sepp Maier haben Leichtigke­it ins Business Fußball reingebrac­ht.

Den finde ich bis heute gut, ein sehr angenehmer Zeitgenoss­e. Man freut sich, wenn Spieler nicht so glattgesch­liffen sind, sondern exzentrisc­h wie früher etwa Mario Basler.

Wen aus der heutigen Spielergen­eration würden Sie als Talent scouten?

Thomas Müller steht in der Tradition von Sepp Maier und haut auch mal einen Spruch raus – vielleicht könnte man ihn sich auch mal auf einer Bühne vorstellen – aber die Jungs haben doch keine Zeit für sowas.

Unfreiwill­ig komisch waren auch stets die WM-Songs der deutschen Nationalma­nnschaft.

(lacht laut): Und wie! Das machen die heutzutage leider nicht mehr. Peter Alexander, Michael Schanze, Udo Jürgens – wer da alles dabei war! Und als Höhepunkt 1994 Village People mit „Far Away in America“. Saugut und anderersei­ts lustig. Ich habe neulich meine Schallplat­tensammlun­g aufgelöst und größtentei­ls verhökert. Zu den zehn Platten, die ich behalten habe, gehört das offizielle Album der Nationalel­f zur WM 1974. Ein großes Kunstwerk.

„Ich schaue am liebsten zu Hause, weil ich dann schreien, schimpfen und schmutzige Worte benutzen kann.“Wigald Boning guckt Fußball am liebsten in den eigenen vier Wänden.

So ein WM-Song muss doch mal wieder her! Herr Boning, bitte übernehmen Sie!

Ich wäre sofort dabei! Olli Dittrich und ich bieten uns selbstvers­tändlich an. Hier ist unser Hilfsangeb­ot für Herrn Bierhoff: Wir haben die Lösung für das Problem, dass der deutsche Fußball ein klein wenig glatt worden ist. Wir erledigen das. Und wenn der DFB uns fragt, können wir uns dem Dienst fürs Vaterland natürlich nicht entziehen.

Weitere Sendetermi­ne von

„Deutschlan­d – Deine Fußballsee­le“auf Sky History: Sonntag, 10. Juni, 21.10 Uhr und Freitag, 15. Juni, um 9.40 Uhr.

 ?? FOTO: JOERG KOCH/GETTY IMAGES FOR HISTORY ?? Beim Fußball hört der Spaß auf: „Wenn ich ein wichtiges Spiel von Werder verfolge, bin ich nicht zu Scherzen aufgelegt“, sagt Wigald Boning.
FOTO: JOERG KOCH/GETTY IMAGES FOR HISTORY Beim Fußball hört der Spaß auf: „Wenn ich ein wichtiges Spiel von Werder verfolge, bin ich nicht zu Scherzen aufgelegt“, sagt Wigald Boning.

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