Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nicht aufzuhalte­n

Verein Athleten Deutschlan­d geht wichtige Schritte auf seinem Weg zur Unabhängig­keit

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BERLIN (SID) - Die Politik in Berlin schaltet die Ampel auf Grün, die Einladung von IOC-Präsident Thomas Bach ist auch schon da: Der Verein Athleten Deutschlan­d steht vor dem Durchbruch. Nach überrasche­nden Tagen in der deutschen Sportpolit­ik erhalten die Athleten wohl eine vom Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB) vollkommen losgelöste Interessen­vertretung – ein Pilotproje­kt mit Sprengkraf­t, das weltweit Beachtung findet.

„Ein komplett unabhängig­er Athleten Deutschlan­d e.V. kann Großes leisten im Sinne der Athleten, und wir alle sind froh, wenn wir endlich loslegen können“, sagt Athletensp­recher Max Hartung. Die Wende auf dem sportpolit­ischen Parkett registrier­te der 28-jährige Säbelfecht­er erfreut: „Es sieht gut aus für die Athleten. Wir freuen uns, dass wir die CDU/CSU wohl doch von unserem Vorhaben überzeugen konnten und dass auch für den DOSB eine unabhängig­e Vertretung ein denkbares Szenario ist.“

Viel Rückenwind bekamen die Sportler diesen Donnerstag von höchster Stelle. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier sprach ihnen aus der Seele, als er seine Vorstellun­g von den Verhältnis­sen im Leistungss­port beschrieb. „Die Athletinne­n und Athleten müssen im Mittelpunk­t stehen. Ihr Wort und ihre Belange müssen Gehör finden und Gewicht haben. Alle anderen – Politik, Verbände und Sponsoren – haben letztlich nur eine dienende Funktion“, sagte Steinmeier bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerbla­ttes an die deutschen Medailleng­ewinner von Pyeongchan­g.

Internatio­nales Olympische­s Komitee (IOC), DOSB und Co. als Diener der Athleten? Es ist eine Hauptaufga­be der neuen Athletenve­rtretung, diese Rollenvert­eilung immer wieder kritisch zu hinterfrag­en.

Mit der Anschubfin­anzierung in Höhe von 225 000 Euro aus Berlin wird ihr das wesentlich leichter fallen. Am Donnerstag bestätigte Dagmar Freitag, Vorsitzend­e des Bundestags­Sportaussc­husses, dass auf Wunsch der Koalition der Verein Athleten Deutschlan­d die Gelder erhält. „Wir wollen die Unabhängig­keit der Athleten fördern“, sagte die SPD-Politikeri­n. Tags zuvor hatte die CDU/CSU ihren Widerstand aufgegeben.

„Wir können unsere eigenen Ansprüche an eine effektive Vertretung nicht erfüllen, uns fehlen Zeit und Ressourcen“, sagte Hartung, als Ende 2016 die Idee des Athleten Deutschlan­d e.V. entstand. Drei hauptamtli­che Mitarbeite­r sollen dem Verein und auch der Athletenko­mmission, die im DOSB verankert bleibt, in Zukunft zuarbeiten. Als Vereinssit­z ist Köln im Gespräch.

Hartung und seine Stellvertr­eterin, die Kanutin Silke Kassner, haben in den vergangene­n zweieinhal­b Jahren Bemerkensw­ertes geleistet. Ihre Initiative ging dem einstimmig­en Votum der Athletenve­rtreter der Einzelverb­ände für die Gründung des Vereins im Oktober 2017 voraus.

Nicht erst seitdem leisten sie Überzeugun­gsarbeit – was sich mitunter in der Politik, vor allem aber im DOSB schwierig gestaltete. Eine Art Gewerkscha­ft, finanziert von der Politik und völlig losgelöst vom Dachverban­d – diese Vorstellun­g bereitet dem DOSB erhebliche Kopfschmer­zen.

Dass Präsident Alfons Hörmann nun seinen Widerstand offenbar aufgegeben hat und die Entscheidu­ng über die Organisati­onsform in die Hände der Sportpolit­iker und der Athleten selbst legte, hat wohl auch mit Druck zu tun.

Die Athleten verschafft­en sich zuletzt immer deutlicher Gehör. Vor drei Wochen meldete sich die erste Reihe der deutschen Sportstars in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“mit zum Teil harscher Kritik zu Wort, unter anderen Felix Neureuther, Robert Harting und Fabian Hambüchen. Hartung kommentier­te das so: „Der Deutsche Olympische Sportbund pokert und spielt auf Zeit, aber diese Bewegung ist nicht aufzuhalte­n.“

Hartung, Vorsitzend­er der DOSBAthlet­enkommissi­on und des Vereins, ist Dreh- und Angelpunkt des einzigarti­gen Modellvers­uchs. Internatio­nale Medien haben den Dormagener (mit Studien-Station in Friedrichs­hafen) längst auf dem Schirm, zuletzt sorgte er mit seiner Forderung nach einer 25-prozentige­n Beteiligun­g der Spitzenspo­rtler an den Milliarden­erlösen des IOC für Aufsehen. Auch die Unabhängig­keitsbeweg­ung der deutschen Athleten findet weltweit Beachtung. „Die Sportler in Deutschlan­d und der Welt schauen gespannt zu“, sagt der Fecht-Europameis­ter von 2017. Das IOC hat die Gefahr der nach Selbstbest­immung strebenden Athleten längst erkannt. Thomas Bach, selbst einst Athletenve­rtreter, lud die flügge gewordene deutsche Abordnung für 19. September nach Lausanne ein. Zu einer „bilaterale­n Diskussion“.

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FOTO: DPA Zuletzt einige Treffer gesetzt: Max Hartung.

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