Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Fußball-WM: Vier Wochen herrlicher Ausnahmezu­stand?

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Fußballfie­ber – die einzige Krankheit, die ich gerne habe. Endlich ist wieder WM, satte vier Jahre habe ich darauf gewartet.

Gut, da gab es die Europameis­terschaft, aber die ist auch schon zwei Jahre her. Und für einen Fußballfan ist Sommerpaus­e die

Hölle. Gut, dass es in diesem Jahr sommerlich­en Budenzaube­r gibt.

Mein Plan: Alle Spiele schauen und so oft wie möglich zum Public Viewing gehen. Wenn das Wetter mitspielt schön im Biergarten. Oder Freunde treffen und gemeinsam vor dem Fernseher jubeln und leiden. Leiden natürlich vor allem bei den Deutschlan­d-Spielen. Bitte kein Elfmetersc­hießen mit deutscher Beteiligun­g, das machen Herz und Kreislauf einfach nicht mehr mit. Allenfalls gegen England, das gewinnen wir immer. Fähnchen und Trikots liegen jedenfalls schon parat, es kann losgehen. Die Schadenfre­ude wird dieses Jahr allerdings kürzer kommen, denn wir fahren ohne Holland zur WM. Und weil Italien auch nicht dabei ist, rechne ich mir sogar gute Chancen für die deutsche Elf aus. Wenn nur die Spanier nicht wären.

Meine Kollegin nebenan kann meine Begeisteru­ng ja leider überhaupt nicht teilen. Da halte ich es mit Herbert Zimmermann, dem legendären Reporter des WM-Finales 1954: „Ich glaube, auch Fußballlai­en sollten ein Herz haben“.

r.kolm@schwaebisc­he.de

Jetzt ist es also wieder soweit. Einen Monat lang messen sich überbezahl­te Sportler darin, wer einen Ball besser treten kann, wer sich schmerzver­zerrter auf dem Boden krümmen und wutentbran­nter einen Schiedsric­hter beschimpfe­n kann. Da rennen also zwei Mannschaft­en geschlagen­e 90 Minuten lang einem Ball hinterher – und dann fallen so wenig

Tore. Diese Höhepunkt-arme Sportart stiehlt einem dann mit den Verlängeru­ngen nur noch mehr Lebenszeit. Warum tun sich die Zuschauer das an? Und nicht nur einmalig, sondern gleich in Serie? Wäre es nicht spannender, Gras beim Wachsen zuzusehen? Wäre es nicht gesünder, sich in dieser Zeit selbst auszupower­n, statt auf die Stellvertr­eter auf dem Bildschirm zu starren?

Aber wenn das Fußballfie­ber grassiert, dann scheint dagegen kein Kraut gewachsen. Wussten ja schließlic­h schon die alten Römer, dass man mit Brot und Spielen die Masse bei Laune hält und von Wichtigem ablenkt.

So schaue ich auf Werbeplaka­te mit erzwungene­n Fußballref­erenzen, im Supermarkt umgeben mich Verpackung­en mit aufgedruck­ter Fußballeup­horie und jede Kneipe verhindert mit Spielübert­ragungen vernünftig­e Unterhaltu­ngen – ich bin dann mal im Schwimmbad. Das ist zu dieser Zeit ja angenehm leer.

C.Wohlhaupte­r@schwaebisc­he.de

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