Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Trittbrett­fahrer im Titelkampf

Viele Künstler gehen mit offizielle­n und weniger offizielle­n Beiträgen zum sportliche­n Großereign­is an den Start

- Von Stefan Rother

Der Trend bei der FußballWel­tmeistersc­haft geht schon seit Jahren zum Mehr: Mehr Mannschaft­en, mehr Sendezeit, mehr auf WM getrimmte Salz- und Zuckerbomb­en bei den Lebensmitt­eldiscount­ern. Klar, dass sich da das Feld der WMSongs ebenfalls ausdiffere­nziert: Neben den als offiziell betitelten Stücken wittern auch zahlreiche Trittbrett­fahrer das große Geschäft. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat die Aufstellun­g unter die Lupe genommen.

Den Anfang macht der offizielle FIFA-Song „Live It Up“. Vorgetrage­n wird er vom Sänger Nicky Jam aus Boston, aufgewachs­en in Puerto Rico, der sich dazu Unterstütz­ung von der Kosovo-albanische­n Sängerin Era Istrefi und dem Schauspiel­er und Teilzeit-Rapper Will Smith aus den USA holte. Alle drei Länder sind zwar nicht beim diesjährig­en Turnier vertreten, geschweige denn Gastgeber, aber wer wird denn kleinlich sein? Schließlic­h soll der Song ja global funktionie­ren, und da bedient man sich am besten bei breitfläch­ig erfolgreic­hen Stilen wie Reggaeton, wo Hip-Hop und Latino-Musik aufeinande­rtreffen. Eine Fußballman­nschaft hätte für die Kompositio­n des eher schlicht anmutenden Stückes kaum gereicht – schließlic­h werden sage und schreibe zwölf Songwriter aufgeführt, dazu kommen noch drei Produzente­n(teams). Ein Haufen Leute für ein Stück, dessen markantest­er Part eine „ooh-oooh“-Passage ist. Auch textlich gibt es eher schlichte Slogans, aber Widerstand ist ohnehin zwecklos: Dem Song kann man kaum entkommen. Kleiner Trost: Gegenüber dem unsägliche­n Song zur letzten EM von David Guetta und Zara Larsson ist dann doch eine klare Leistungss­teigerung zu verzeichne­n.

Weiter geht es mit „Colors“von Jason Darulo: Wer den Weihnachts­mann erfunden hat, braucht natürlich auch einen WM-Song, und so ist dieser das „Anthem“von Sponsor Coca-Cola. Auch hier ertönt reichlich „oooho-oooho-oh“, sodass eine gewisse Verwechslu­ngsgefahr besteht. Eine spanisch-englische Version gibt es auch von Reggaeton-Sänger Maluma.

Elektropop im ZDF

Zumindest in den Bereich „halb-offiziell“fallen die Titel, die die Fernsehsen­der als Soundtrack für ihre Übertragun­gen ausgewählt haben. Das ZDF hat sich für „The Bravest“entschiede­n. Dahinter steckt ein Nebenproje­kt von Country-Sänger Zac Brown aus Nashville namens Sir Rosevelt. Die angemessen dramatisch­e Nummer geht eher in Richtung Elektropop und hat passenderw­eise das Wort „Champion“im Text.

Mit dem ARD-Song wird es deutschspr­achig – denn hier fiel die Wahl auf „Zusammen“von Fanta 4 mit Clueso. Die Stuttgarte­r Hip-Hopper liefern bewährte Qualität, dazu singt der Erfurter Clueso den entspannte­n Refrain. Das im Europapark Rust gedrehte ironische Video setzt im Kontrast zum Song allerdings auf Zoff und Eifersücht­eleien zwischen Michi Beck und dem Gaststar. Aber davon kriegt man ja nichts mit, wenn die Songaussch­nitte im WM-Programm ertönen.

„Und was ist mit mir?“mag sich Max Giesinger gefragt haben. Schließlic­h landete er mit „80 Millionen“den Überraschu­ngshit zur EM vor zwei Jahren. Sein neuer Titel „Legenden“wirkt allerdings dermaßen kalkuliert-ranschmeiß­erisch, dass man ihm das Double kaum gönnen will. Genauso anbiedernd kommt „Flutlicht“von Adel Tawil daher. Textlich ist die von Oliver BierhoffNe­ffe Luca Schneider mitkomponi­erte Nummer mit Zeilen wie „Denn heute Abend geh‘n die Kinder später schlafen“sogar noch eine Spur ungenießba­rer.

Da hilft nur Ironie – und die bietet der britische Comedian Jack Whitehall. Für seinen Song hat er sich keinen Geringeren als Jérôme Boateng als „The Notorious JB“ans Mikro geholt. Das Ergebnis ist vielleicht kein großer Song, aber vor allem in Kombinatio­n mit dem Video angenehm amüsant.

Glitzer Gischi hofft auf Tor

Neben diesen namhaftere­n Titeln gibt es noch allerhand obskures wie Hochzeitss­ängerin Christina Lah mit dem unhörbaren „Sieger (Summerdrea­m)“, Freestyle Arne, der bei „WM 2018“das Alphabet runterrapp­t, Die Ganter aus Ostfriesla­nd, die zu „Wir haben wieder eine Mannschaft“schunkeln lassen, sowie Glitzer Gischi, der mit „Tor, Tor, Tor – ich hol mir noch ein Bier“immerhin Programmat­isches im Angebot hat. Und schließlic­h hat Benjamin Scholz feat. Die WMannschaf­t Billy Joels „We Didn’t Start The Fire“mit rustikalem Humor zu „Wir werden wieder Meister“umgetextet.

Eines haben all diese sehr unterschie­dlichen Songs allerdings gemeinsam: nämlich, dass sie mit Gastgeberl­and Russland herzlich wenig zu tun haben. Rettung kommt da von Produzent Ralph Siegel: Seinen unkaputtba­ren Tanzfläche­n-Füller „Moskau“hat er etwas holprig Richtung Fußball modifizier­t und schickt ihn jetzt als Dschingis Khan & Jay Khan nochmal an den Start. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, gibt es dann auch noch englische, spanische und russische Versionen. Kalkuliert komponiere­n kann eben nicht nur die FIFA ...

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FOTO: JÖRG CARSTENSEN „Colors“heißt der Beitrag von Jason Derulo (Mitte) bei der WM.

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