Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Trittbrettfahrer im Titelkampf
Viele Künstler gehen mit offiziellen und weniger offiziellen Beiträgen zum sportlichen Großereignis an den Start
Der Trend bei der FußballWeltmeisterschaft geht schon seit Jahren zum Mehr: Mehr Mannschaften, mehr Sendezeit, mehr auf WM getrimmte Salz- und Zuckerbomben bei den Lebensmitteldiscountern. Klar, dass sich da das Feld der WMSongs ebenfalls ausdifferenziert: Neben den als offiziell betitelten Stücken wittern auch zahlreiche Trittbrettfahrer das große Geschäft. Die „Schwäbische Zeitung“hat die Aufstellung unter die Lupe genommen.
Den Anfang macht der offizielle FIFA-Song „Live It Up“. Vorgetragen wird er vom Sänger Nicky Jam aus Boston, aufgewachsen in Puerto Rico, der sich dazu Unterstützung von der Kosovo-albanischen Sängerin Era Istrefi und dem Schauspieler und Teilzeit-Rapper Will Smith aus den USA holte. Alle drei Länder sind zwar nicht beim diesjährigen Turnier vertreten, geschweige denn Gastgeber, aber wer wird denn kleinlich sein? Schließlich soll der Song ja global funktionieren, und da bedient man sich am besten bei breitflächig erfolgreichen Stilen wie Reggaeton, wo Hip-Hop und Latino-Musik aufeinandertreffen. Eine Fußballmannschaft hätte für die Komposition des eher schlicht anmutenden Stückes kaum gereicht – schließlich werden sage und schreibe zwölf Songwriter aufgeführt, dazu kommen noch drei Produzenten(teams). Ein Haufen Leute für ein Stück, dessen markantester Part eine „ooh-oooh“-Passage ist. Auch textlich gibt es eher schlichte Slogans, aber Widerstand ist ohnehin zwecklos: Dem Song kann man kaum entkommen. Kleiner Trost: Gegenüber dem unsäglichen Song zur letzten EM von David Guetta und Zara Larsson ist dann doch eine klare Leistungssteigerung zu verzeichnen.
Weiter geht es mit „Colors“von Jason Darulo: Wer den Weihnachtsmann erfunden hat, braucht natürlich auch einen WM-Song, und so ist dieser das „Anthem“von Sponsor Coca-Cola. Auch hier ertönt reichlich „oooho-oooho-oh“, sodass eine gewisse Verwechslungsgefahr besteht. Eine spanisch-englische Version gibt es auch von Reggaeton-Sänger Maluma.
Elektropop im ZDF
Zumindest in den Bereich „halb-offiziell“fallen die Titel, die die Fernsehsender als Soundtrack für ihre Übertragungen ausgewählt haben. Das ZDF hat sich für „The Bravest“entschieden. Dahinter steckt ein Nebenprojekt von Country-Sänger Zac Brown aus Nashville namens Sir Rosevelt. Die angemessen dramatische Nummer geht eher in Richtung Elektropop und hat passenderweise das Wort „Champion“im Text.
Mit dem ARD-Song wird es deutschsprachig – denn hier fiel die Wahl auf „Zusammen“von Fanta 4 mit Clueso. Die Stuttgarter Hip-Hopper liefern bewährte Qualität, dazu singt der Erfurter Clueso den entspannten Refrain. Das im Europapark Rust gedrehte ironische Video setzt im Kontrast zum Song allerdings auf Zoff und Eifersüchteleien zwischen Michi Beck und dem Gaststar. Aber davon kriegt man ja nichts mit, wenn die Songausschnitte im WM-Programm ertönen.
„Und was ist mit mir?“mag sich Max Giesinger gefragt haben. Schließlich landete er mit „80 Millionen“den Überraschungshit zur EM vor zwei Jahren. Sein neuer Titel „Legenden“wirkt allerdings dermaßen kalkuliert-ranschmeißerisch, dass man ihm das Double kaum gönnen will. Genauso anbiedernd kommt „Flutlicht“von Adel Tawil daher. Textlich ist die von Oliver BierhoffNeffe Luca Schneider mitkomponierte Nummer mit Zeilen wie „Denn heute Abend geh‘n die Kinder später schlafen“sogar noch eine Spur ungenießbarer.
Da hilft nur Ironie – und die bietet der britische Comedian Jack Whitehall. Für seinen Song hat er sich keinen Geringeren als Jérôme Boateng als „The Notorious JB“ans Mikro geholt. Das Ergebnis ist vielleicht kein großer Song, aber vor allem in Kombination mit dem Video angenehm amüsant.
Glitzer Gischi hofft auf Tor
Neben diesen namhafteren Titeln gibt es noch allerhand obskures wie Hochzeitssängerin Christina Lah mit dem unhörbaren „Sieger (Summerdream)“, Freestyle Arne, der bei „WM 2018“das Alphabet runterrappt, Die Ganter aus Ostfriesland, die zu „Wir haben wieder eine Mannschaft“schunkeln lassen, sowie Glitzer Gischi, der mit „Tor, Tor, Tor – ich hol mir noch ein Bier“immerhin Programmatisches im Angebot hat. Und schließlich hat Benjamin Scholz feat. Die WMannschaft Billy Joels „We Didn’t Start The Fire“mit rustikalem Humor zu „Wir werden wieder Meister“umgetextet.
Eines haben all diese sehr unterschiedlichen Songs allerdings gemeinsam: nämlich, dass sie mit Gastgeberland Russland herzlich wenig zu tun haben. Rettung kommt da von Produzent Ralph Siegel: Seinen unkaputtbaren Tanzflächen-Füller „Moskau“hat er etwas holprig Richtung Fußball modifiziert und schickt ihn jetzt als Dschingis Khan & Jay Khan nochmal an den Start. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, gibt es dann auch noch englische, spanische und russische Versionen. Kalkuliert komponieren kann eben nicht nur die FIFA ...