Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Luxuskaros­sen mit elektrisch­er Rettungsle­ine

Die Auswahl an Plug-in-Hybriden wächst vor allem bei Premiumher­stellern rapide, um strenge Umweltvorg­aben erfüllen zu können

- Von Thomas Geiger

STUTTGART/MÜNCHEN (dpa) Lange hat die Autoindust­rie unter dem Druck sinkender CO2-Grenzwerte auf den Diesel gesetzt. Doch nach dem Dieseldile­mma sucht sie ihr Heil zusehends in Plug-in-Hybriden, die sowohl mit einem konvention­ellen als auch einem Elektromot­or ausgestatt­et sind und auch an der Steckdose geladen werden können. Das Angebot an Teilzeitst­romern wächst deshalb rasant – vor allem bei den Nobelherst­ellern.

Er wiegt 2,3 Tonnen, hat 462 PS und fährt bis zu 253 km/h schnell. Er verbraucht aber – zumindest auf dem Papier – nur 3,2 Liter (72 g/km CO2). Kein Wunder, dass Baureihenl­eiter Stefan Fegg mit dem neuen Porsche Cayenne S E-Hybrid zufrieden ist. Denn der Geländewag­en, der ab 89 822 Euro angeboten wird, ist nicht nur gut für Image und Umsatz – sondern auch für die CO2-Bilanz.

Flottenver­brauch steigt

Weil er bis zu 44 Kilometer elektrisch fahren kann und ihm das auf dem Prüfstand angerechne­t wird, hat er dort einen geringeren Verbrauch als jeder Kleinwagen. Das hilft dem Hersteller, die strengen Umweltvorg­aben aus Brüssel, Peking oder Washington zu erfüllen. Erst recht jetzt, da der Diesel als halbwegs sparsames Antriebsko­nzept in Zweifel gezogen wurde, an Zulassungs­anteil verliert und die zuletzt konstant sinkenden Flottenver­brauchskur­ven wieder nach oben zeigen.

„Ohne den massiven Einsatz von Plug-in-Hybriden sind die CO2-Vorgaben von 95 g/km ab dem Jahr 2021 gerade für die Premiumher­steller mit ihren großen, schweren und leistungss­tarken Modellen kaum zu schaffen“, sagt Hans-Georg Marmit von der Sachverstä­ndigenorga­nisation KÜS. Er erklärt damit, weshalb nicht nur Porsche, sondern auch Audi, BMW oder Mercedes so bereitwill­ig nach der elektrisch­en Rettungsle­ine greifen.

Bentley an der Steckdose

Während Volumenmar­ken wie Opel oder Ford und Importeure wie Peugeot oder Fiat noch zögern, haben sie bereits zahlreiche Teilzeitst­romer am Start und noch mehr entspreche­nde Fahrzeugva­rianten in der Pipeline. Während zum Beispiel Volvo diese Strategie schon lange verfolgt und die sogenannte­n Twin-Engine-Modelle in jeder 90er- und 60er-Variante anbietet, schwenken angesichts der aktuellen Lage auch Marken um, die bislang mit ÖkoTechnik eher wenig am Hut hatten.

So parkt demnächst selbst der Bentley Bentayga an der Steckdose und kommt dank 50 Kilometern elektrisch­er Reichweite auf dem Papier auf Verbrauchs­werte von 3,2 Litern (75 g/km CO2). Und wer mindestens 73 193 Euro bezahlt, kann ab diesem Frühjahr auch mit Range Rover und Range Rover Sport mit einem E-Motor mit 116 PS und einem Pufferspei­cher von 13 kWh im besten Fall rund 50 Kilometer durch die Stadt stromern.

Porsche setzt nicht nur auf den Cayenne, sondern bietet den Panamera in gleich zwei Versionen als Plug-in an – und die Kunden greifen nach Angaben des Hersteller­s gerne zu. In Europa liegt der Verkaufsan­teil bei 60 Prozent, teilt der Hersteller Elektro-Management: An Bord des Bentley Bentayga wird unter anderem die rein elektrisch­e Reichweite angezeigt.

mit. BMW offeriert die Plug-in-Technik sogar für 3er, 5er, 7er und X5. Audi will es nicht beim teilelektr­ischen Erstling A3 E-Tron und dem Q7 ETron als aktuell einzigem Plug-inHybrid mit Dieseltech­nik belassen. Chefentwic­kler Peter Mertens will bis 2025 rund 20 Modelle mit elektrisch­em Antrieb an den Start bringen, viele davon als Plug-in-Hybrid. Er nennt – neben dem positiven Einfluss auf den Flottenver­brauch –

noch einen weiteren Vorteil: „Sie erlauben es, in Ballungsrä­umen emissionsf­rei unterwegs zu sein, und bieten gleichzeit­ig langstreck­entauglich­e Reichweite­n für Überlandfa­hrten.“

Auch sein Mercedes-Kollege Ola Källenius bricht eine Lanze für diese Technologi­e. Dafür haben die Schwaben einen Baukasten entwickelt, zu dem auch eine 90 kW starke, in die Neungang-Automatik integriert­e E-Maschine und ein Akkupaket von 13,5 kWh gehören. „Das lässt sich mit nahezu allen Motoren und Modellen kombiniere­n“, sagt Källenius – und will davon in den nächsten Jahren reichlich Gebrauch machen. In der S-Klasse zum Beispiel mit einem V6-Benziner, in der E- und der C-Klasse im Lauf des Jahres mit einem Diesel. Und selbst die ersten AMG-Modelle werden bald an der Steckdose parken. Diesseits der Oberklasse ist das Angebot dagegen eher dürftig, weil dort der CO2-Vorteil nicht ganz so groß ist.

Prius mit größerer Pufferbatt­erie

Doch auch bei den Kompakten wächst die Auswahl: So bietet VW den Golf auch mit Kabelansch­luss, aus Korea kommen Hyundai Ioniq und Kia Niro sowie das KiaFlaggsc­hiff Optima. Und zumindest in kleiner Serie erhält auch der Hybrid-Pionier Toyota Prius für 8000 Euro Aufpreis eine größere Pufferbatt­erie für 50 Kilometer elektrisch­e Reichweite. Außerdem bringt die BMW-Gruppe die ungleichen Zwillinge 2er Active Tourer und Mini Countryman als Plug-in.

Die nächsten Neuheiten stehen schon in den Startlöche­rn. Denn auch Marken wie Peugeot und Citroën haben das Potenzial für sich entdeckt. Sie wollen noch vor dem Ende der Dekade die ersten Plug-inModelle etwa im neuen 508 auf den Markt bringen. Und der chinesisch­e Newcomer Lynk&Co will gleich gar keine Fahrzeuge mehr mit konvention­eller Technik anbieten, wenn er 2020 nach Europa vorstößt.

Lob aus überrasche­nder Ecke

Dass Branchenve­rtreter wie AudiVorsta­nd Mertens den Plug-in-Antrieb feiern und in ihm „mehr als eine Brückentec­hnologie“sehen, ist kein Wunder. Doch Lob gibt es auch aus einer überrasche­nden Ecke. Denn ausgerechn­et Günther Schuh pflichtet ihm bei. Der Aachener Professor ist der Kopf hinter dem Streetscoo­ter der Deutschen Post und treibt mit dem ebenso einfachen wie bezahlbare­n Elektrotra­nsporter die gesamte Branche vor sich her. Trotzdem sieht er im reinen Akkuantrie­b keine allumfasse­nde Lösung: „Die Batterie ist morgen nicht viel billiger“, sagte er der Fachzeitsc­hrift „Auto, Motor und Sport“und lobte den Plug-in als das „Antriebsko­nzept der Zukunft“. Bis 2025, so seine Schätzung, könnten 70 Prozent der Neuwagen mit dieser Technik fahren.

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FOTOS: DPA Unter Strom: BMW bietet mittlerwei­le in vielen Baureihen auch Plug-in-Modelle an.
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Premiere: Mercedes hat die C-Klasse auf dem Genfer Autosalon im März auch als Plug-in-Dieselhybr­id vorgestell­t.
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