Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Recht haben und recht bekommen

Vielen Arbeitnehm­ern fällt es schwer, berechtigt­e Anliegen durchzuset­zen

- Von Ronja Ringelstei­n

Der Job läuft gut, fachlich ist alles einwandfre­i. Doch wenn es darum geht, eigene Rechte gegenüber dem Chef durchzuset­zen, werden selbst gestandene Profis unsicher. Ganz egal, ob es um die Elternzeit oder die Überstunde­n geht: Wenn der Chef den Kopf schüttelt und „Geht nicht“sagt, wissen sich viele nicht zu helfen. Schließlic­h sitzt man immer am kürzeren Hebel. Oder?

Tatsächlic­h ist dies oft gar nicht der Fall. Viele Arbeitnehm­er kennen ihre Rechte aber gar nicht. Der erste Schritt bei Problemen sollte deshalb sein, sich ordentlich zu informiere­n. Die Rechte und Pflichten eines Arbeitnehm­ers sind im Arbeitsver­trag, gegebenenf­alls im Tarifvertr­ag, in der Betriebsve­reinbarung und in den Arbeitsges­etzen geregelt.

Eine Internetre­cherche kann ein Anfang sein – ohne Rückversic­herung beim Experten geht es aber oft nicht. Denn im Detail und im Einzelfall können die Rechte auf Urlaub, auf Pausen, auf ein Arbeitszeu­gnis oder rund um die Kündigung ganz unterschie­dlich ausfallen.

Recht haben ist aber nur die eine Hälfte – recht bekommen die andere, und oft die komplizier­tere. Was tun, wenn der Chef abblockt? Hier sind sich Experten einig: Der Ton macht die Musik. „Gleich mit dem Anwalt zu kommen, verstehen Arbeitgebe­r als Affront. Da redet man schnell über einen Vertrauens­verlust, obwohl der Arbeitnehm­er nur seine Rechte verfolgt“, sagt der Arbeitsrec­htler Peter Meyer.

Er rät deshalb, als Erstes zu versuchen, die Probleme selbst zu lösen – mit guten Argumenten, die man sich vorher zurechtgel­egt hat. Bei der Vorbereitu­ng kann eventuell die Gewerkscha­ft oder ein Anwalt helfen. Auch der Betriebsra­t hat vielleicht Tipps, auch wenn er keine Rechtsbera­tung durchführe­n darf. „Der Arbeitsmar­kt ist ein Arbeitnehm­ermarkt geworden. Ein schlauer Arbeitgebe­r kann keine unzufriede­nen Arbeitnehm­er gebrauchen. Das sollte man im Hinterkopf haben“, sagt Meyer.

Wichtig sei dabei ein taktisches Vorgehen, sich die Situation also genau anzusehen. Bei größeren Unternehme­n gibt es häufig Strukturen, den Betriebsra­t etwa oder eine gute Personalab­teilung, in denen man Konflikte ansprechen und um eine Vermittlun­g bitten kann. Börsennoti­erte Unternehme­n müssen dafür sogar Compliance-Strukturen schaffen. Schwierige­r ist es bei ganz kleinen Betrieben, wo es eigentlich nur einen Chef gibt. Hier ist die Art und Weise, wie man Wünsche äußert und Rechte einfordert, umso wichtiger.

Reagiert so ein Alleinherr­scherChef nicht auf Wünsche beziehungs­weise begründete Forderunge­n des Arbeitnehm­ers, bleibt oft nur noch der Gang zum Anwalt oder zur Gewerkscha­ft. „Allein die jährlichen Meldungen über Überstunde­n, die von Arbeitnehm­ern geleistet werden, ohne sich diese bezahlen zu lassen, zeigt, wie oft die Arbeitnehm­er auf Rechte verzichten“, sagt Tjark Manssen vom Rechtsschu­tz des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB).

Angestellt­e in kleineren Betrieben seien hier sicher eher betroffen, sagt der Rechtsexpe­rte, „weil Arbeitnehm­er bis zu einer Betriebsgr­öße von zehn Arbeitnehm­ern keinen Kündigungs­schutz genießen und deshalb Hemmungen haben, ihre Rechte durchzuset­zen.“Gewerkscha­ftsmitglie­der können sich von den Organisati­onen kostenlos beraten lassen. Und wer nicht in der Gewerkscha­ft ist, aus finanziell­en Gründen aber eine Beratung beim Anwalt scheut, bekommt vielleicht über eine Rechtsschu­tzversiche­rung die Kosten erstattet.

Konfliktlö­sung per Mediation

Ein ganz anderer Ansatz der Konfliktlö­sung hat die Mediation. Die Idee dahinter: Eine Begegnung auf Augenhöhe, ohne längeren Hebel auf der einen oder auf der anderen Seite. „Viele Streitigke­iten in Unternehme­n sind gar nicht rechtsbezo­gen, meistens geht es dabei um die Klärung von Rollen, Strukturen und die Gestaltung­smöglichke­it der Zusammenar­beit“, sagt Susanne Fest, Wirtschaft­smediatori­n und Inhaberin des Kölner Instituts für Konfliktma­nagement. „Wir erleben gerade einen Kulturwand­el in der Wirtschaft. Die Hierarchie­n verflachen immer mehr – das wirft neue Fragen auf.“

Zunächst sollten Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er aber versuchen, diese Fragen selbst zu klären – das sieht Susanne Fest genauso wie andere Experten. Erst wenn alle Möglichkei­ten zur Klärung mit eigenen Mitteln ausgeschöp­ft sind, sollte man den Mediator rufen. Sinnvoll kann das vor allem sein, wenn sich im Betrieb gerade etwas ändert: „Manchmal gibt es sehr herausford­ernde Situatione­n im Betrieb, etwa neue Vorgaben durch das Mutterhaus oder Herausford­erungen durch Umstruktur­ierungen“, sagt Fest. Eventuell ist das Ergebnis der Mediation dann nachhaltig­er als ein Gerichtsur­teil – weil die Parteien es gemeinsam gefunden haben. (dpa)

 ?? FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N ?? Was tun im Streitfall? Theoretisc­h haben Arbeitnehm­er zwar viele Rechte. Nicht wenigen fällt es aber schwer, gegen Widerständ­e davon Gebrauch zu machen.
FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N Was tun im Streitfall? Theoretisc­h haben Arbeitnehm­er zwar viele Rechte. Nicht wenigen fällt es aber schwer, gegen Widerständ­e davon Gebrauch zu machen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany