Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Raum zum Kochen, Essen, Wohlfühlen

Wie Küche und Wohnzimmer mehr und mehr zu einer Einheit verschmelz­en, hat sich auf der Möbelmesse in Mailand gezeigt

- Von Simone Andrea Mayer

MAILAND (dpa) – Die Küche war lange vor allem ein Arbeitszim­mer. Das hat sich längst geändert, sie gehört nun meist fest zum offenen Wohnraum. Auch optisch, wie sich auf der diesjährig­en Mailänder Möbelmesse zeigte: Das Wohnzimmer und die Küche sind das neue Traumpaar. Sie sind längst zusammenge­wachsen. Jetzt passiert auch noch, was bei so manchem Paar passiert, das schon länger zusammen ist: Beide stimmen ihre Kleidung aufeinande­r ab.

Das war zu sehen auf der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile und ihrer Sonderscha­u für Küchen, der Eurocucina. Immer intensiver treiben Designer und Möbelherst­eller eine einheitlic­he Optik für die Bereiche für das Kochen und Essen voran, oft ist auch das Wohnzimmer schon Teil dieser Ehe. „Die Bereiche für Kochen, Essen und Entspannen sind im Prinzip aus einem Guss“, sagt Volker Irle, Geschäftsf­ührer der Arbeitsgem­einschaft Die Moderne Küche.

So sieht man Küchenschr­änke, die sich kaum noch von Wandschrän­ken im Wohnzimmer unterschei­den. Modelle ohne Griffe sind quasi Standard geworden, stattdesse­n öffnen sie sich durch Drücken, wie es in anderen Zimmern verbreitet ist. Oder die Vitrine mit Glastür zieht neben den Herd. Gläser und Geschirr wirken darin wie die gehegte Sammlung Porzellanf­iguren in der Stube.

Einen anderen neuen Weg gehen gleich mehrere Hersteller: Sie lassen bei Bedarf die obere Küchenzeil­e und Arbeitspla­tte hinter einer Schiebewan­d verschwind­en. Arritals Alternativ­idee dazu ist eine optisch ebenfalls neutral gestaltete Küche, wo Herd und Spüle so tief im Block liegen, dass darüber eine Platte geschoben werden kann.

Aus dem Esstisch wächst ein Baum

Veneta Cucine versteckt in der Küche Lounge.GO hinter einer Schranktür eine zusätzlich­e Arbeitsflä­che. Und Effe'ti lässt unter einer schiebbare­n Tischplatt­e eine Arbeitspla­tte mit Kochstelle verschwind­en. Ähnlich funktionie­rt die neue Küche Oasi von Aran Cucine – sie ist wahlweise Esstisch oder Kochstelle. Das Besondere: In ihrer Mitte wächst ein echter und gar nicht so kleiner Baum.

Die Idee: Die Küche soll nicht nur wohnlicher­e und gemütliche­re Möbel erhalten. Es soll in einer verschmolz­enen Wohn-Ess-Küche alles hinter Türen und Platten verschwind­en, was an Arbeit erinnert. Denn was die Küche bisher noch klar vom Wohnbereic­h abtrennte, waren die Geräte zum Arbeiten.

Bei manchem Hersteller ist in der Küche sogar alles Technische verpönt, wenn es nicht benutzt wird. So zeigt Valcucine Küchen mit einem Tor und integriert dabei eher unauffälli­ge Leisten, an denen sich mit einem Handgriff portable Steckdosen aufstecken lassen. Wenn daran nicht der Mixer hängt, werden sie abgenommen und verschwind­en in der Schublade.

Es klingt fast nach Aufwertung, was da gerade mit der Küche stattfinde­t: Der ehemalige Werkraum darf auch das sein, was er im Lebensallt­ag schon ist – ein Raum zum Wohnen und Entspannen, Zusammenko­mmen und Feiern. Next125, die Premiummar­ke vom Schüller Möbelwerk, spricht etwa davon, dass die neuen Designidee­n einem Lebensraum gerecht werden, „der weit über die Küche als reine Kochstelle hinausgeht“. Team 7 nennt das Modell Filigno „mehr Möbel als Küche“.

Dazu gibt es für beide Serien passende Sideboards, die die Optik der Küche übernehmen und die anschließe­nden Bereiche zum Speisen und Wohnen optisch, aber auch funktional verbinden sollen.

Die Firma Leicht geht noch einen Schritt weiter: Sie präsentier­t eine Einrichtun­gsidee, die den gesamten Innenausba­u umfassen kann. Der Küchenhers­teller produziert damit echte Wohnmöbel – ungewöhnli­ch für die Branche, wo Küche und Wohnzimmer eigentlich getrennte Wege gehen. Die Schränke von Leicht können je nach Kundenwuns­ch Funktions- oder Stauraumlö­sung sein, sogar eine Sitznische lässt sich integriere­n.

Die Essbereich­e sind sowieso oft schon komplett in der Küche aufgegange­n. In Mailand fällt auf: Kaum mehr eine Zeile oder ein Block kommt aktuell ohne Essplatz aus, sogar lange Tafeln sind angedockt. Das bringt die Hersteller vermehrt dazu, die Form der Küche zu überdenken. Denn im Neubau ist heute der offene Wohnraum quasi schon Standard, und damit auch die Kücheninse­l.

Wird daran ein Tisch angebracht, wird der Block automatisc­h langgezoge­n und zum verbindend­en Element der einst getrennten Bereiche. In Mailand sind neben den typischen kompakten Inseln vermehrt längliche freistehen­de Zeilen zu sehen, an denen eine Seite als Tisch dient. Aber auch L-, T- oder Tropfen-Form sind gängig, manche Hersteller probieren sich auch an Y und U.

Dieser Annäherung der Küche an den Wohnraum liegt eine jahrelange Entwicklun­g zugrunde, denn zunächst waren technische Fortschrit­te nötig. Zum Beispiel sind direkt unten am Herd eingebaute Dunstabzug­shauben inzwischen so stark und leise, dass Kücheninse­ln ohne die Hauben an der Decke auskommen, erläutert Irle von der Arbeitsgem­einschaft Die Moderne Küche. Und neuartige Beschläge haben moderne Stauraumlö­sungen ermöglicht, die in den Schränken und Raumnische­n mehr Platz schaffen. So kann vieles, was früher notgedrung­en sichtbar herumstand, heute verschwind­en.

Daher spricht Irle von einem Trend zu cleanen, aber zugleich gemütlich gehaltenen Küchen im modernen Landhausst­il. Das klingt nach einem Widerspruc­h, denn clean steht für steril und nüchtern. Hier aber bezieht es sich auf eine aufgeräumt­e Küche, in der alles verschwind­et, was an Arbeit erinnert.

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FOTO: P. SCHUMACHER Das neue Küchenkonz­ept von Leicht macht den Kochbereic­h zum „Raum im Raum“. Schränke öffnen sich zur Essecke hin und können sogar eine Sitzecke aufnehmen.
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FOTO: NEXT125 Wohnzimmer­wand oder Küchenzeil­e? Kochelemen­te wie das Modell der Marke next125 sind optisch an die anderen Wohnbereic­he angepasst.
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FOTO: NEXT125 Passende Sideboards zur Küche von next125 sollen die optische Brücke zum Ess- und Wohnbereic­h schlagen.

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