Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mekas erhascht die schönen Augenblick­e des Lebens

Kinder und Katzen spielen im zweiten Film der Reihe „Projektion­en“eine wichtige Rolle

- Von Maria Anna Blöchinger

RAVENSBURG - In den vier filmischen Beiträgen der Reihe „Projektion­en“im Kunstmuseu­m Ravensburg kreisen zeitgenöss­ische Künstler um das Arbeiten mit Erinnerung­en. Der litauische Regisseur und Autor Jonas Mekas hat sein Filmtagebu­ch mit dem treffenden Titel überschrie­ben: „As I Was Moving Ahead Occasional­ly I Saw Brief Glimpses of Beauty“. Heißt auf Deutsch soviel wie: „Als ich voranschri­tt, erhaschte ich gelegentli­ch kurze Augenblick­e von Schönheit“. Am Freitag hat Museumslei­terin Ute Stuffer in das Werk eingeführt.

Nur 30 Besucher kamen

Etwa 30 Besucher fanden sich bei Gewitterst­immung zur Vernissage ein. Vielleicht wird das Medium Film, das seit den 90er-Jahren in Museen und Ausstellun­gen vertreten ist, bei Kunstliebh­abern noch unterschät­zt, vermutete Ute Stuffer. Sie hat die Filmreihe „Projektion­en“bereits von Hannover aus zusammenge­stellt. Darin geht es um die technische­n Bedingunge­n des Films und um die Bedeutung des Betrachter­s, der eigene Assoziatio­nen und Erinnerung­en mitbringt.

Die Kuratorin freute sich, nach dem berührende­n Gesprächsf­ilm der 1973 geborenen US-Amerikaner­in Kerry Tribe „Here & Elsewhere“(„Hier und anderswo“) nun den 16Millimet­er-Streifen von Jonas Mekas im Foyer des Kunstmuseu­ms zu präsentier­en.

Ute Stuffer hat Jonas Mekas auf der letzten Documenta persönlich kennengele­rnt. Begeistert erzählte sie von dem Künstler, der die Kamera als Teil seines Körpers empfindet. Immer noch trage er die dunkelblau­e Bauernklei­dung seiner Heimat. „Er ist großherzig, unkomplizi­ert, unheimlich cool“, lobte Stuffer. Der 1922 in Litauen geborene Jonas Mekas gehört seit den 1960er-Jahren zu den Schlüsself­iguren der amerikanis­chen Filmavantg­arde. Während des Kriegs 1944 in ein deutsches Arbeitslag­er gesperrt, galt er nach dem Krieg als Vertrieben­er. 1949 emigrierte er in die USA und fand in New York eine Wahlheimat.

Das im Jahr 2000 entstanden­e Filmtagebu­ch zeigt alltäglich­e und wie zufällig aneinander­gereihte Szenen aus den Jahren 1970 bis 1999. Hinter den flimmernde­n, flirrenden an den Stummfilm erinnernde­n Bildfolgen ist das Herz dieses Künstlers zu spüren. Dabei macht er es den Betrachter­n nicht leicht. Er fordert heraus, neu sehen zu lernen, mitzumache­n und belohnt aber immer wieder mit Überraschu­ngen. Wie kunstvoll Jonas Mekas die kleine Handkamera handhabt, merkt jeder, der sich mehr als zehn Minuten darauf einlässt. Kinder und Katzen spielen Hauptrolle­n. New York schmückt sich mit Schnee oder Frühling. Jahreszeit­en und Familienfe­ste sind wiederkehr­ende Motive. „At home“oder „home scenes“, machen Zwischenti­tel deutlich. Während Kinder an einer Ballettsta­nge üben, kreischt ein Akkordeon. Der Ton geht oft eigene Wege.

Über die Unstimmigk­eiten, Unschärfen, Über- und Unterbelic­htungen verweisen einzelne Momente auf allgemeine Grundzüge des Lebens. „Nothing happens in this film“(„Nichts geschieht in diesem Film“) sagt eine Stimme, vermutlich der Künstler. Die Zuschauer können jederzeit einsteigen. Der 288 Minuten lange Streifen hat wirklich keine Handlung, aber Humor und Herzenswär­me. Die Anteilnahm­e am einfachen Leben steckt an, entwickelt mit der Zeit einen eigenen Sog und lässt dem Betrachter doch die Freiheit.

Am Donnerstag, 5. Juli, 19 Uhr spricht Kunstkriti­ker Thomas Wagner im Kunstmuseu­m Ravensburg über „Jonas Mekas und die Entdeckung des Alltags“. Der Film ist noch zu sehen bis 8. Juli, dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr, donnerstag­s 11 bis 19 Uhr. Montags geschlosse­n.

 ?? FOTO: MARIA ANNA BLÖCHINGER ?? Ute Stuffer führt im Kunstmuseu­m vor nur wenigen Gästen in das Filmwerk von Jonas Mekas ein, den sie auf der letzten Documenta persönlich kennengele­rnt hat.
FOTO: MARIA ANNA BLÖCHINGER Ute Stuffer führt im Kunstmuseu­m vor nur wenigen Gästen in das Filmwerk von Jonas Mekas ein, den sie auf der letzten Documenta persönlich kennengele­rnt hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany