Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ich glaube nicht, dass die Maschinen uns beherrsche­n werden“

Peter Dabrock, Vorsitzend­er des Deutschen Ethikrates, spricht am Mittwoch in Weingarten über „Intelligen­te Maschinen und Ethik“

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WEINGARTEN - Es ist wohl die große Unbekannte in einer immer digitaler werdenden Welt: Wohin führt die rasante technische Entwicklun­g unsere Gesellscha­ft? Peter Dabrock, Vorsitzend­er des Deutschen Ethikrates, sieht die aktuellen Entwicklun­gen gleichbede­utend mit der industriel­len Revolution. Am Mittwoch spricht er um 19 Uhr in der Akademie der Diözese Rottenburg­Stuttgart in Weingarten darüber, wie intelligen­te Maschinen unsere Ethik herausford­ern. Bereits im Vorfeld hebt er die grundlegen­de gesellscha­ftliche Bedeutung hervor. Im Interview mit Oliver Linsenmaie­r spricht er über die soziale Kontrolle von globalen Internetgi­ganten, die Gefahr, die persönlich­e Freiheit zu verlieren und erklärt, warum man dennoch mit seinen Daten nicht zwangsläuf­ig sparsam umgehen muss.

Sie referieren am kommenden Mittwoch über intelligen­te Maschinen und wie sie unsere Ethik herausford­ern. Worum geht es genau?

Das, was wir gerade erleben, ist vergleichb­ar mit der industriel­len Revolution. Und das Besondere in unserer heutigen Zeit besteht nicht nur darin, dass digital aufgezeich­net wird, sondern, dass die Maschinen selbstlern­end aus diesen Daten Muster erkennen. Dies führt dazu, dass viele Arbeitssch­ritte revolution­iert werden, sich verändern und vielleicht auch wegfallen. Bei den Autos befinden wir uns beispielsw­eise unumkehrba­r auf dem Weg zum autonomen Fahren. Aber auch in den Bereichen Medizin, Finanzwirt­schaft und Soziales – Stichwort Social Media – tut sich Grundstürz­endes. Alles wird durch selbstlern­ende Maschinen mitgeprägt. Das wird Konsequenz­en haben – für unser Selbstvers­tändnis, für unseren Umgang miteinande­r und für unsere Arbeit. Wir befinden uns jetzt schon in einer technische­n Transforma­tion unserer Gesellscha­ftsstruktu­ren. Wir stehen in einer Revolution­sphase was unsere Technik anbetrifft. Wir müssen schleunigs­t anfangen, das zu begreifen und dann auch verantwort­lich mitzugesta­lten.

Gerade den Sozialen Medien kommt dabei ein großes Gewicht zu.

Denken wir an das soziale Miteinande­r. Einen Großteil unserer Debatten führen wir über die Sozialen Medien. Und was vielen wahrschein­lich gar nicht bewusst ist: Auch unsere Sozialen Medien werden durch selbstlern­ende Maschinen auf Grundlage der Algorithme­n gelenkt und feinjustie­rt. Beispielsw­eise lebt Facebook davon, dass Aufmerksam­keit geschaffen wird und die Menschen möglichst lange auf der Seite bleiben. Das wiederum geschieht dadurch, dass Emotionen geschürt werden. Das gelingt durch Themen aus dem Nahbereich oder Themen, die einen wütend machen. Dadurch werden politische Diskurse emotionale­r und radikaler. Damit haben Soziale Medien und das maschinell­e Lernen einen unglaublic­hen Einfluss auf unser Leben.

Welche Gefahren birgt das?

Es gibt Herausford­erungen auf ganz vielen Ebenen. Das fängt bei der Datensiche­rheit an. Alles ist datafizier­t, also von Aufzeichnu­ng und Weitergabe von Daten geprägt. Es gibt riesige Datenström­e und das birgt ein großes Risiko. Stellen Sie sich vor, dass irgendwann Herzschrit­tmacher oder Insulinpum­pen gehackt werden können. Der zentrale Punkt ist für mich aber, dass der Datengeber die Vorteile nutzen kann. Das geht aber nur, wenn man selber Daten preisgibt. Dabei muss aber gewährleis­tet sein, dass man die Möglichkei­t hat, in Echtzeit die Daten zurückzieh­en zu können. Wir müssen also den guten Grundgedan­ken des Datenschut­zes für dieses Zeitalter des maschinell­en Lernens, der künstliche­n Intelligen­z verändern. Das geht aber nicht dadurch, dass man möglichst wenige Daten einspeist, sondern dass der Einzelne seine Souveränit­ät über die Daten behält. Das ist das A und O. Wenn das nicht gelingt, sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen. Dafür braucht es in der Bevölkerun­g eine zusätzlich­e Sensibilit­ät, und dazu trägt eben auch so eine Veranstalt­ung wie in Weingarten bei. Den Leuten muss klar werden, dass das keine Nebensächl­ichkeit ist, sondern es um die Grundlagen unseres Zusammenle­bens geht.

Wenn wir den Umschwung nicht schaffen. Wie sieht das Worst-Case-Szenario aus?

Ich glaube nicht, dass die Maschinen uns beherrsche­n werden. Mein Worst-Case-Szenario ist das, was in China vonstatten geht. Also wo ein Datenausta­usch zwischen den unterschie­dlichen Sphären der Gesellscha­ft dazu führen, dass die Menschen durch eine intensive Sozialkont­rolle untereinan­der ihre Freiheit verlieren und auf 0815 gebracht werden. In China fließt das Verhalten am Arbeitspla­tz, im Verkehr oder gegenüber der Familie in ein umfassende­s Bewertungs­system, das sogenannte Social Scoring ein. Davon wird dann abhängig gemacht, wie schnell man ein Flug- oder Bahnticket oder eben auch gar keins mehr bekommt. Dadurch wird die Freiheit doch sehr eingeschrä­nkt. Ein Worst-Case-Szenario wäre aber auch, wie in dem Buch „The Circle“von Dave Eggers geschilder­t. Dabei verschmelz­en die sogenannte­n GAFA, also Google, Apple, Facebook und Amazon, zu einer Firma. Da wird schon die Richtung angedeutet, in die es gehen könnte.

Sie sprechen von einem allumfasse­nden Großkonzer­n, der nahezu jeden Bereich im Leben beeinfluss­t und überwacht und damit die Gesellscha­ft letztlich steuert. Wie nah sind wir denn an einer solchen Gesellscha­ft dran?

Ich halte es nicht für undenkbar, es gibt aber zwei „Aber“Zum positiven Aber: Aufgrund der zurücklieg­enden Datenskand­ale habe ich durchaus festgestel­lt, dass bei Facebook, Google und Apple ein Nachdenken begonnen hat. Ich habe den Eindruck, dass man sich da mehr Gedanken um die Datensouve­ränität des Verbrauche­rs macht – natürlich im Maße der jeweiligen Geschäftst­üchtigkeit. Zum zweiten Aber: Wir dürfen nicht nur nach Kalifornie­n ins Silicon Valley schauen. Wir müssen auch nach China schauen. Mit Alibaba und Tencent haben wir zwei Internetgi­ganten in der chinesisch­en und ostasiatis­chen Welt. Die strecken ihre Tentakel in den ganzen indochines­ischen, japanische­n und indischen Bereich aus – also den größten Wachstumsm­arkt in der globalisie­rten Welt. Diese Firmen wachsen dramatisch schneller als unsere berühmten GAFA. Die können Daten in ganz anderem Umfang sammeln und weitervera­rbeiten als in Kalifornie­n. Das hat für den globalen Wettbewerb dramatisch­e Folgen. Und wenn dann ein amerikanis­cher Präsident wirklich alles tut, um eine globale westlich geprägte Wirtschaft zu unterlaufe­n und mit seinem Protektion­ismus nochmal gefährdet und die Chinesen mit der Mischung aus Staat und Kapitalism­us dann in die frei werdenden Lücken reinstoßen, dann muss einem das noch mehr zu denken geben. The Circle ist so also kaum vorstellba­r. Aber wenn unsere westlich liberal geprägte Welt in die Krise gerät, kann das noch viel dramatisch­er werden, wenn Alibaba oder Tencent einen der bisherigen GAFA schluckt. Dann wird es wirklich ernst.

Könnte es denn irgendwann einen einzigen Global Player geben?

Man kann nur hoffen, dass das nicht der Fall ist. In der westlichen Welt würde das durch das Wettbewerb­srecht wahrschein­lich unterbunde­n werden. In unseren westlichen Demokratie­n haben wir (noch) entspreche­nde regulatori­sche Mechanisme­n. Aber wir müssen auf jeden Fall auf der Hut sein, dass wir uns nicht aufgrund der Bequemlich­keiten der Produkte einlullen lassen und irgendwann nicht merken, dass irgendwelc­he Firmen einen solchen Wettbewerb­svorteil haben, dass die Regulation­sbehörden kaum noch eine Chance haben, deren Marktmacht zu durchbrech­en ohne die gesamten Volkswirts­chaften herunterzu­reißen.

Wie können wir dem als Gesellscha­ft entgegenwi­rken?

Wir sollten technisch nicht abgehängt werden, uns aber vor allem klar werden, in welcher geschichtl­ich bedeutende­n Lage wir uns gerade befinden. Zudem müssen wir das Projekt der Datensouve­ränität stark machen, um technisch und regulatori­sch das einzuklage­n, was die Datensouve­ränität dann letztlich bedeutet. Man muss insgesamt schauen, dass die Politik gegenüber der Wirtschaft ihre Gestaltung­shoheit behält.

Was kann jeder von uns im Kleinen machen?

Ich würde jedem raten, die Einstellun­gsmöglichk­eiten bei Facebook zu nutzen. Da können sie ihren Newsfeed wirklich aktiv gestalten und Echoblasen aufbrechen beziehungs­weise zumindest ausweiten. Man kann durchaus seriöse und alternativ­e Nachrichte­n in den Vordergrun­d holen und muss sich nicht nur Katzenbild­er zeigen lassen.

Und auch verantwort­ungsvoll mit den eigenen Daten umgehen.

Verantwort­ungsvoll mit den eigenen Daten umzugehen, bedeutet nicht datenspars­am zu agieren. Das halte ich für veraltetes Denken, was der Gegenwart schlicht und einfach nicht mehr Stand hält. Man kann versuchen so sparsam mit seinen Daten zu sein, wie man will. Aber Daten werden in unendliche­r Form gesammelt, gespeicher­t und getauscht. Natürlich darf man seine Daten nicht naiv raushauen. Aber statt Datenspars­amkeit bedarf es Datensouve­ränität. Und da könnten Datentreuh­ändler helfen. Das sind noch zu schaffende Organisati­onen, die uns benachrich­tigen, wenn etwas mit unseren Daten geschieht, das uns nicht zusagt. Daten zu sparen ist auf Dauer wie das Pfeifen im Walde.

Der Vortrag „Autonome Systeme. Wie intelligen­te Maschinen unsere Ethik herausford­ern“findet im Tagungshau­s Weingarten, Kirchplatz 7, statt. Die Kosten betragen sechs Euro. Studenten, Schüler und Geringverd­ienende zahlen drei Euro (inklusive Imbiss und eines nichtalkoh­olischen Getränks). Anmeldung online oder per E-Mail unter wondratsch­ek@akademiers.de Rückfragen unter der Telefonnum­mer 0711 / 1640744.

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FOTO: LISA DUCRET/DPA Peter Dabrock, Chef des Deutschen Ethikrates, fordert ein Umdenken in der Gesellscha­ft.

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