Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Starker Tobak trifft auf wilde Poesie
Die Kornhausgalerie eröffnet die Ausstellung „Unusual Flowers“von Tanja Selzer
WEINGARTEN – Was geschieht, wenn eine Künstlerin nicht rechtzeitig zu ihrer Ausstellungseröffnung erscheint, das haben die Besucher am Freitagabend in der Kornhausgalerie miterleben dürfen. Wider Erwarten bot sich ihnen eine Performance, die alles andere war als eingefahren. Konkret geht es um die Vernissage der „Unusual Flowers“von Tanja Selzer, Malerin aus Berlin. Ihre Anreise verzögerte sich um gut zwei Stunden, so dass Kurator Martin Oswald in die Bresche sprang.
Wenn einer eine Reise tut, kann es passieren, dass nicht alles planmäßig verläuft. Besonders an Freitagen auf der Strecke Berlin in Richtung Süden ist bei der Deutschen Bahn damit zu rechnen. So geschehen ist das Tanja Selzer, die statt um 19 Uhr erst gegen 21 Uhr in Weingarten eintraf. Ärgerlich ist das vor allem für die Künstlerin, auch wenn die meisten der Besucher ausharrten, um sie persönlich zu erleben. An Kurator Martin Oswald war es, die Zeit zu überbrücken und das ist ihm mit viel Humor und findigen Ideen gelungen. Kurzentschlossen startete er eine „geänderte Dramaturgie“mit einem kleinen Ratespiel, wer unter den Gästen die Künstlerin sein könnte und einem Abgesang auf die „Bahnhöfe“der Bundesbahn. Denn warum nur verstecke sie den Stuttgarter Bahnhof ganz tief unter der Erde? Antwort: Die Bahn schäme sich. Das alles änderte nichts an der Verzögerung, lockerte den Abend aber stark auf.
Frauen als Akte
„Unusual Flowers“– „ungewöhnliche Blumen“nennt die 1970 in IdarOberstein geborene Tanja Selzer ihre Werkschau. Diese besteht aus sieben großformatigen Ölgemälden und drei kleineren Zeichnungen. Imposant – farblich wie gestalterisch – ist ein erster Eindruck. Lust- und liebevoll ein zweiter. Nicht zu verwechseln mit effekthascherisch. Sie zeigen Frauen als Akte mit Ausnahme von „Red Flower“in üppig wuchernden Landschaften. Dass sie hierfür Ölfarben verwendet, ist nicht sofort erkennbar. Eher meint man es mit stark verdünntem Acryl oder gar Aquarell zu tun zu haben. Aufgrund der hohen Transparenz und der vertikalen Farbverläufe. Alles scheint auf den Leinwandoberflächen sommerlich zu leuchten. Tritt man dicht an sie heran, offenbart sich der ganze Kosmos ihrer stark gestischen Malerei. Verbunden mit Graphitkonturen, die ein erstes Setzen der Motive vermuten ließen. Dominant ist das Verwobensein von Körperlichem und Naturhaftem. Dieses unaufhaltsame Wechselspiel bannt die Blicke. Zugleich schafft es die nötige Distanz zum blanken Voyeurismus. Woher nimmt Tanja Selzer, die in den 1990er Jahren im Fachbereich Gestaltung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg studiert hat, ihre Motive?
Martin Oswald verwies auf den 1977 verlegten Bestseller „Das Delta der Venus“von Anaïs Nin. Aus diesem „sehr tabulosen“und als „Ikone befreiter Weiblichkeit“geltenden Band (aus dem Oswald zwecks Zeitüberbrückung auch Passagen las) stammt der Ausstellungstitel. „Unusual Flowers“erzählt die Geschichte von „Mathilde“und ihren sexuellen Exzessen, deren Ursprünge zu Teilen in einer romantischen ebenso wie käuflichen Liebe liegen. Selzers Interesse gelte voyeuristischen Bildern einer Gesellschaft, die sich selten offen dazu bekenne. Das heißt, sie bedient sich im Internet zugänglichen Videoclips mit eindeutigen Posen anonymer Darsteller, um sie anschließend in ihren Bildern zu wandeln. Vom Pornografischen hin zur Poesie. Nach dorthin, wo die Protagonisten ein Stück Persönlichkeit zurück erhalten. Als wunderschöne junge Frau, die sich liebevoll einer roten Mohnblume zuwendet. Als Kahnfahrerin, lediglich mit Strümpfen und Schuhen bekleidet, vor einer hochenergetischen grün leuchtenden Wasserspiegelung, oder als Rückenakte, deren schwarzen Haare mit den dunklen Schatten der Landschaft verschmelzen. Ihre Figuren tauchen auf und wieder ab mittels unscharfer Konturen und flüssiger Übergänge der Formen. „Wie ein Blick durch eine verregnete Glasscheibe“, fasste Oswald zusammen. Und dann kam sie doch noch – etwas erschöpft, aber sofort bereit einem interessierten Publikum Rede und Antwort zu stehen. Über sich und ihr Werk, das zum internationalen Erfolg der neuen Figuration beitrage. Das nachzuverfolgen, dazu bietet Weingarten eine gute Gelegenheit.
Die Ausstellung „Unusual Flowers“von Tanja Selzer in der Kornhausgalerie, Karlstraße 28, dauert bis 22. Juli 2018. Sie ist mittwochs von 10 bis 13 Uhr, freitags, samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. An der Kunst- und Museumsnacht am Samstag, 30. Juni, von 18 bis 23 Uhr.