Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Pressschlag
Erinnern Sie sich noch an großartige Fernsehserien wie Catweazle, Daktari, Das Haus am Eaton Place, Die Waltons oder Kung fu? Dann sind Sie höchstwahrscheinlich ein Kind der Siebziger. Und als solches hatten Sie beziehungsweise Ihre Eltern die Wahl zwischen genau drei Fernsehprogrammen: ARD, ZDF und dem „Dritten“(je nach Bundesland verschieden). Sollte Ihr Vater ähnlich fußballbegeistert wie meiner gewesen sein, werden Sie aber eher selten in den Genuss dieser Serien gekommen sein (oder allenfalls die Wiederholungen angeschaut haben), denn sie liefen zunächst samstags und sonntags im ZDF – parallel zur Sportschau in der ARD. Tränen und frühkindliche Schreikrämpfe nutzten nicht viel: Fußball war wichtiger als der Familienfrieden, und meine früh erblühte Liebe zu Büchern könnte daraus resultieren, dass im Fernsehen immer irgendwelche hirnlosen Bubis einem Stück Leder hinterherhechelten. Solange ich denken kann.
Vier Jahrzehnte später darf ich mein Fernsehprogramm selbst bestimmen, und seit es Streaming gibt, macht es auch nichts mehr, dass parallel zu EMs oder WMs nur Wiederholungen auf den anderen Kanälen laufen. Mein Vater ist hingegen der Alte geblieben. Er stellte von Kabel- auf Satellitenempfang um, weil da Tore sieben Sekunden früher übertragen werden (kein Witz, ich schwör!) und es noch mehr Sky-Sport-Programme zu empfangen gibt. Telefonanrufe werden nur in Halbzeitpausen oder nach Abpfiffen entgegengenommen, und das Kennenlerntreffen mit den Eltern meines Verlobten muss fußballbedingt verschoben werden. „Am 15. Juli ABENDS? Ja bist du denn des Wahnsinns fette Beute? Da ist doch das ENDSPIEL!“Naja, höchstwahrscheinlich ohne Deutschland, weil die in der Vorrunde rausfliegen, möchte ich hämisch antworten, fürchte jedoch, enterbt zu werden. Und suche einen anderen Termin. Manches Kindheitstrauma endet eben nie. Gute Nacht, John-Boy.