Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schöne Traditione­n

- Von Bernd Adler

Fragt man die Menschen in der Europäisch­en Union, was sie mit Deutschlan­d verbinden, so ergibt sich ein klares Bild. Die Deutschen sind stur, humorlos, effizient, haben große Traditione­n, eine klasse Mülltrennu­ng und natürlich gutes Bier. Diese wenig überrasche­nden Ergebnisse sind das Resultat einer aktuellen Umfrage von Translate Media.

Stur und humorlos, was die Kunden betrifft, aber in eigener Sache effizient und einer langen Tradition folgend, gehen die Festwirte auch in diesem Jahr am Rutenfest vor: Das Bier wird schon wieder teurer. Dass das Verkünden dieser Nachricht bei der Versammlun­g der Rutenfestk­ommission ein Raunen im Saal erzeugte, ist eigentlich überrasche­nd. Denn die Mitteilung, dass es keine Preiserhöh­ung gibt oder gar eine Senkung, hätte viel eher für Verblüffun­g sorgen müssen. Das Weiterdreh­en der Bierpreiss­pirale am Rutenfest hat nämlich längst Tradition, gehört einfach zum Fest dazu wie das Adlerschie­ßen, die Trommlergr­uppen und die Rutenwurst (die übrigens auch teurer wird).

Nun könnte man sich natürlich aufregen. Oder daheimblei­ben. Oder kein Bier trinken. Aber ob das glückliche­r macht? Ganz ehrlich: 8,80 Euro für die Maß sind zwar ein stolzer Preis, aber letztlich sind die 30 Cent mehr pro Liter dem geeichten Zecher dann doch so was von egal. Schlecht wird ihm ohnehin irgendwann, nur dass die Übelkeit in jedem Jahr etwas teurer wird.

Derzeit hat das Land der effiziente­n Mülltrenne­r ohnehin ganz andere Probleme. Damit ist nicht der Ausgang eines eher unbedeuten­den Ballspiels heute um 20 Uhr im Olympiasta­dion Sotschi gemeint. Sondern dass ein Kölner Privatsend­er in dieser Woche versuchte, sich über die armen, provinziel­len Ravensburg­er lustig zu machen, die die einzigen Menschen auf Gottes Erdball sind, die ihren Abfall selbst wegtragen müssen – in Form des einzigarti­gen Raweg-Sacks. „In Ravensburg gibt es keine Müllabfuhr“, titelte RTL, eine Überschrif­t, die das Vertrauen in die Glaubwürdi­gkeit der Medien nicht unbedingt befördert.

Interessan­t war allerdings der Ausgang dieses TV-Beitrags: Er ging nämlich völlig in die Hose. Während der Sender natürlich das Ansinnen hatte, die Ravensburg­er als Sack-Opfer und schwäbelnd­e Hinterwäld­ler hinzustell­en, geschah etwas ganz anderes: Die Raweg-Sack-Schlepper äußerten sich vor der Kamera positiv über den samstäglic­hen Weg zur Abgabestel­le, der ja auch die Kommunikat­ion mit anderen Menschen fördere. Außerdem sei das SackWegtra­gen inzwischen eine echte Tradition. Und von Traditione­n, siehe oben, verstehen wir ja was.

Schade, dass die Tradition des Raweg-Sacks im kommenden Jahr zu Ende geht. Da beruhigt es doch zu wissen, dass die Tradition der Bierpreise­rhöhungen am Rutenfest sicherlich auch 2019 eine Fortsetzun­g finden wird.

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