Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schöne Traditionen
Fragt man die Menschen in der Europäischen Union, was sie mit Deutschland verbinden, so ergibt sich ein klares Bild. Die Deutschen sind stur, humorlos, effizient, haben große Traditionen, eine klasse Mülltrennung und natürlich gutes Bier. Diese wenig überraschenden Ergebnisse sind das Resultat einer aktuellen Umfrage von Translate Media.
Stur und humorlos, was die Kunden betrifft, aber in eigener Sache effizient und einer langen Tradition folgend, gehen die Festwirte auch in diesem Jahr am Rutenfest vor: Das Bier wird schon wieder teurer. Dass das Verkünden dieser Nachricht bei der Versammlung der Rutenfestkommission ein Raunen im Saal erzeugte, ist eigentlich überraschend. Denn die Mitteilung, dass es keine Preiserhöhung gibt oder gar eine Senkung, hätte viel eher für Verblüffung sorgen müssen. Das Weiterdrehen der Bierpreisspirale am Rutenfest hat nämlich längst Tradition, gehört einfach zum Fest dazu wie das Adlerschießen, die Trommlergruppen und die Rutenwurst (die übrigens auch teurer wird).
Nun könnte man sich natürlich aufregen. Oder daheimbleiben. Oder kein Bier trinken. Aber ob das glücklicher macht? Ganz ehrlich: 8,80 Euro für die Maß sind zwar ein stolzer Preis, aber letztlich sind die 30 Cent mehr pro Liter dem geeichten Zecher dann doch so was von egal. Schlecht wird ihm ohnehin irgendwann, nur dass die Übelkeit in jedem Jahr etwas teurer wird.
Derzeit hat das Land der effizienten Mülltrenner ohnehin ganz andere Probleme. Damit ist nicht der Ausgang eines eher unbedeutenden Ballspiels heute um 20 Uhr im Olympiastadion Sotschi gemeint. Sondern dass ein Kölner Privatsender in dieser Woche versuchte, sich über die armen, provinziellen Ravensburger lustig zu machen, die die einzigen Menschen auf Gottes Erdball sind, die ihren Abfall selbst wegtragen müssen – in Form des einzigartigen Raweg-Sacks. „In Ravensburg gibt es keine Müllabfuhr“, titelte RTL, eine Überschrift, die das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Medien nicht unbedingt befördert.
Interessant war allerdings der Ausgang dieses TV-Beitrags: Er ging nämlich völlig in die Hose. Während der Sender natürlich das Ansinnen hatte, die Ravensburger als Sack-Opfer und schwäbelnde Hinterwäldler hinzustellen, geschah etwas ganz anderes: Die Raweg-Sack-Schlepper äußerten sich vor der Kamera positiv über den samstäglichen Weg zur Abgabestelle, der ja auch die Kommunikation mit anderen Menschen fördere. Außerdem sei das SackWegtragen inzwischen eine echte Tradition. Und von Traditionen, siehe oben, verstehen wir ja was.
Schade, dass die Tradition des Raweg-Sacks im kommenden Jahr zu Ende geht. Da beruhigt es doch zu wissen, dass die Tradition der Bierpreiserhöhungen am Rutenfest sicherlich auch 2019 eine Fortsetzung finden wird.