Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Charmante Irre mit dunklen Geheimniss­en

Premiere von „37 Ansichtska­rten“im Theater Ravensburg überzeugt als schwarze Komödie

- Von Jasmin Amend

RAVENSBURG - Ein sympathisc­hes Irrenhaus, das dunkle Geheimniss­e in sich birgt: So könnte man die Szenerie im Stück „37 Ansichtska­rten“beschreibe­n, das am Donnerstag im Theater Ravensburg Premiere gefeiert hat. Die schwarze Komödie über eine durchgekna­llte Familie, die ihre eigene Art der Realitätsb­ewältigung gefunden hat, amüsiert und berührt gleichsam.

Regisseur Karsten Engelhardt inszeniert­e das Stück von Michael McKeever gekonnt, und auch das Open-Air-Konzept geht auf: Die beschwingt­e Stimmung im Publikum wird dadurch verstärkt, dass die Veranstalt­ung unter freiem Himmel stattfinde­t. Mit einem spritzigen Getränk und bei milden Temperatur­en lässt es sich zudem leichter nach Luft schnappen. Denn während der Himmel über Ravensburg immer dunkler wird, nimmt der Wahnsinn seinen Lauf.

Die Mutter ist eine gebrochene Frau mit makelloser Fassade

Avery Sutton (unschuldig-naiv gespielt von Tobias Bernhardt), Sohn einer reichen amerikanis­chen Familie, kehrt nach acht langen Jahren der Abwesenhei­t nach Hause zurück, im Schlepptau seine Verlobte Gillian Moore (hochnäsig-dünnhäutig gespielt von Kathrin Horodynski). Die Familie, die Avery als „etwas exzentrisc­h“beschriebe­n hat, ist völlig von der Rolle: Da taucht die tot geglaubte Großmutter wieder auf (bitterböse und wunderbar komisch: Alex Niess).

Mutter Evelyn (überzeugen­d als gebrochene Frau mit makelloser Fassade: Jördis Johannson) verwechsel­t Gillian ständig mit dem Hausmädche­n – das bereits vor zwei Wochen gekündigt hat. Vater Stanford (charmant: Marco Ricciardo) spielt Golf am liebsten nachts. Tante Ester (ein Herz aus Gold und eine feurige Zunge: Ana Schlaegel) betreibt eine Sex-Hotline, Skippy, der ausgehunge­rte Rottweiler, zerfleisch­t offenbar im Garten Nachbarski­nder.

Und bei alledem bleiben sie alle beinahe unnatürlic­h fröhlich und übertriebe­n höflich. Ihre Fassade ist so glatt, dass erste Versuche, die Charaktere dahinter zu ergründen, abgleiten. Doch die Fassade bröckelt, und der Zuschauer bleibt stets in gespannter Erwartung – die auch befriedigt wird.

Schiefes Haus als Sinnbild für verdrehte Realitätsw­ahrnehmung

Noch bevor das Stück beginnt, ist beim Blick auf die Theaterkul­isse klar: Irgendetwa­s stimmt an diesem Haus nicht – es steht schief. Das Haus steht als Sinnbild für die verdrehte Avery Sutton macht im Garten die Begegnung mit einem „Monster“.

Realitätsw­ahrnehmung ihrer Bewohner – denn die scheinen vom Absinken des Hauses gar nichts mitzubekom­men. Für das ausgefalle­ne Bühnenbild verantwort­lich zeichnet sich Werner Klaus. Die Besucher des Hauses beweisen eine Engelsgedu­ld, als immer weitere schockiere­nde Details ans Licht kommen, bis es schließlic­h zur Katastroph­e kommt. Der Zuschauer kommt aber auch zu der Einsicht: Verrücktse­in ist nicht unbedingt schlimm – auf die Perspektiv­e kommt es an. Oder auch: Keine Familie ist perfekt. Man sollte sie einfach so nehmen, wie sie ist.

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 ?? FOTOS: CAROLIN HITZIGRATH ?? Eine griesgrämi­ge Großmutter, ein Elternpaar, das die Realität nicht wahrhaben will, und ein Sohn, der nichts mehr kapiert: Das Stück „37 Ansichtska­rten“ist spannend und amüsant.
FOTOS: CAROLIN HITZIGRATH Eine griesgrämi­ge Großmutter, ein Elternpaar, das die Realität nicht wahrhaben will, und ein Sohn, der nichts mehr kapiert: Das Stück „37 Ansichtska­rten“ist spannend und amüsant.
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