Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenn an der Grenze kontrollie­rt wird

Orte wie Kiefersfel­den im bayerische­n Inntal leiden unter Staus und weniger Kundschaft

- Von Uwe Jauß

KIEFERSFEL­DEN - Über die vermeintli­chen Erfolge der Grenzkontr­ollen zu Österreich spricht die bayerische Staatsregi­erung gerne – die Schattense­iten spart sie dabei aus. So verkündete Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) kürzlich stolz, dass die Polizei im vergangene­n Jahr allein 286 Schleuser festgenomm­en habe. Mehr als 11 000 Personen, nach denen gefahndet wurde, seien kontrollie­rt worden. 2000 davon wurden nach seinen Angaben gleich ins Gefängnis gebracht. Besonders wichtig für den Minister: 14 650 unerlaubte Einreisen wurden laut Polizeista­tistik entdeckt. In diesem Zusammenha­ng wiesen die Beamten gut 7000 Personen an der Grenze zurück. Laut Herrmann rechtferti­gt dies die Kontrollen. Die Zahlen sprächen sogar für ihren Ausbau.

Kontrollen seit Herbst 2015

Die negativen Auswirkung­en der Grenzwacht nennt die Staatsregi­erung nicht, beispielsw­eise in Kiefersfel­den im bayerische­n Inntal. Am Ortsrand der 7000-Seelen-Gemeinde beginnt bereits die Gemarkung der Tiroler Stadt Kufstein. Wie bei Passau und dem südostbaye­rischen Freilassin­g gibt es dort seit Herbst 2015 auf der deutschen Autobahnse­ite permanente Grenzkontr­ollen. Hinzu kommen temporäre Checkpoint­s auf Bundes- und Landesstra­ßen rund um Kiefersfel­den. „Wir spüren die Kontrollen im Ort sehr stark – und zwar negativ“, sagt Bürgermeis­ter Hajo Gruber von der Unabhängig­en Wählerinit­iative. Wie der Kommunalpo­litiker erklärt, hängt dies mit den täglichen Staus auf der Autobahn zusammen.

Der Besuch im Inntal zeigt, dass auch außerhalb von Stoßzeiten Staus auf Tiroler Seite entstehen. Zumindest kommt es zu zähfließen­dem Verkehr. An der Kontrollst­elle gleich am Beginn der A 93 werden die Fahrzeuge auf Schritttem­po herunterge­bremst. Bundespoli­zisten machen erst einmal Gesichtsko­ntrollen. Wer verdächtig wirkt, wird unter eine provisoris­che Dachkonstr­uktion gewunken. Dort schauen sich Beamte die Menschen genauer an. Osteuropäe­r oder Italiener mit älteren Kleinbusse­n haben besonders gute Chancen, herausgewu­nken zu werden. Auf Kiefersfel­den wirken sich diese Kontrollen auf zweierlei Art aus. „Es gibt einen Ausweichve­rkehr von der Autobahn her in den Ort. Unsere Straßen sind dann zu“, berichtet Bürgermeis­ter Gruber. Zudem würde der Einzelhand­el leiden. Speziell die Laufkundsc­haft aus dem angrenzend­en Kufstein bleibe teilweise weg. „Die Leute“, meint Gruber, „wollen doch nicht im Stau stehen, wenn sie kurz mal einkaufen gehen.“Er glaubt, dass sich ein riesiges Problem entwickeln könnte. Das größere Kufstein und das kleinere Kiefersfel­den seien seit dem österreich­ischen EU-Beitritt vor 23 Jahren praktisch zusammenge­wachsen. „Meine beiden Buben gehen beispielsw­eise in Kufstein aufs Gymnasium. Da können wir keine Grenzkontr­ollen brauchen“, sagt der Bürgermeis­ter.

Es gibt an der Grenze eine Vereinbaru­ng, dass Kinder aus Kiefersfel­den und weiteren grenznahen bayerische­n Orten für den Besuch weiterführ­ender Schulen hinüber auf Tiroler Seite dürfen. Der Grund: Die nächste entspreche­nde Lehranstal­t auf deutschem Boden steht rund 25 Kilometer im Hinterland. Christine Pfeiffer, Betreiberi­n des HotelGasth­ofes zur Post, erklärt, ihre Tochter ginge auch in Kufstein zur Schule. „Es ist doch schön, dass dies geht“, betont sie. Die Kontrollen der Bundespoli­zei in der Region findet sie hingegen grenzwerti­g. Ähnlich wie der Bürgermeis­ter meint sie: „Wenn auf der Autobahn der Verkehr steht, ist auch hier bei uns alles dicht.“

Lebensqual­ität leidet

Bei Passau sind die Erfahrunge­n weniger extrem, weil die Autobahn weitab der Stadt die Grenze überschrei­tet. Im Fall von Freilassin­g visá-vis von Salzburg verläuft die Fernverkeh­rsstraße aber am Ort. Die Grenzgemei­nde hat ähnliche Erfahrunge­n wie Kiefersfel­den gemacht. Täglich stillstehe­nder Verkehr auf der dortigen Autobahn schädigt das örtliche Geschäftsl­eben und schränkt zumindest entlang der Straßen mit Ausweichve­rkehr die Lebensqual­ität der Anwohner ein. Nicht nur Lärm spielt eine Rolle, wie an einem Beispiel in Kiefersfel­den deutlich wird. An der Hauptortsd­urchfahrt erzählt ein älterer Herr: „Ich habe es immer mehr auf den Lungen. Der Arzt sagt, dies käme durch die vielen Autos.“

Beim Bahnhof der Gemeinde finden sich auf einem kleinen Straßenfes­t aber dann doch noch Einheimisc­he, die den Kontrollen mehr Gutes als Schlechtes abgewinnen: „Die Polizei erwischt dort schon viele – Kriminelle und Flüchtling­e“, erklärt Rentnerin Frieda Dausch. Es könne schließlic­h nicht jeder nach Deutschlan­d kommen. Auch für Kiefersfel­den seien die Kontrollen gut. Auf die Frage, ob zuvor der Ort unsicherer gewesen sei, antworten die Rentnerin und ihre Begleiter einhellig: „Nein, eigentlich nicht.“Ein Eindruck, den die örtliche Polizei bestätigt.

Frieda Dausch ergänzt: „Immer den Ausweis zeigen wie früher will ich eigentlich auch nicht.“

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FOTO: DPA Polizisten überprüfen an der Kontrollst­elle Kiefersfel­den an der Autobahn 93 Fahrzeuge, die aus Österreich nach Deutschlan­d kommen.

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