Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Richard J. Roberts, Sprecher des Gentechnik-Fanclubs

Der Nobelpreis­träger ist auf Werbetour für gentechnis­ch veränderte Lebensmitt­el – Er sagt: Wer sie blockiert, begehe ein „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“

- Von Sebastian Heinrich

LINDAU - Könnten sich linksliber­ale Deutsche einen Wissenscha­ftler schnitzen, dann wäre er wohl fast wie Richard J. Roberts. Roberts gewann 1993 den Nobelpreis für Physiologi­e oder Medizin. Er hat Appelle Dutzender Nobelpreis­träger organisier­t – unter andem für Liu Xiaobo, den in China fast bis zu seinem Tod eingesperr­ten Schriftste­ller. Roberts spricht sich aus für Gesundheit­sversorgun­g für alle. Er verachtet wissenscha­ftsfeindli­che Populisten wie USPräsiden­t Donald Trump. Er hält wenig von Saatgut-Riesen wie Monsanto. Und jetzt, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“bei der Nobelpreis­trägertagu­ng in Lindau, ledert er in sanft klingendem britischen Englisch gegen Pharmakonz­erne. „Die sind ja nicht wirklich daran interessie­rt, irgendeine Krankheit zu heilen“, sagt er.

Doch dann spricht Roberts über Gentechnik – und sagt Worte, bei denen vielen Deutschen die Kinnlade herunterfa­llen dürfte. Denn Roberts, vor gut 74 Jahren im britischen Derby geboren, ist der Sprecher eines internatio­nalen Gentechnik-Fanclubs.

Die Mitglieder dieses Clubs sind 133 Nobelpreis­träger. Sie alle haben einen offenen Brief unterschri­eben, der an die Umweltorga­nisation Greenpeace gerichtet ist, die Vereinten Nationen, an Regierunge­n auf der ganzen Welt – mit der eindringli­chen Bitte, genetisch veränderte Organismen (GVO) zu unterstütz­en. Roberts hat diesen Brief angestoßen. Bei einem Vortrag in Lindau erzählt er in halbironis­chem Tonfall, dass er hier am Bodensee versuchen wird, die vier hier anwesenden Preisträge­r zu überzeugen, die noch nicht unterschri­eben haben. 2016 hat Roberts den Brief veröffentl­icht, seither ist er auf weltweiter Werbetour.

Meiste Deutsche sind dagegen

75 Prozent der Deutschen meinen laut einer 2016 veröffentl­ichten Umfrage im Auftrag des Bundesumwe­ltminister­iums, der Mensch habe kein Recht, Pflanzen und Tiere gezielt gentechnis­ch zu verändern. 73 Prozent erklären, sie würden keine gentechnis­ch veränderte­n Lebensmitt­el essen. Roberts sagt: Ihre Angst ist völlig unbegründe­t. Seine wichtigste­n Argumente: Genetische Modifizier­ung sei ja seit Jahrtausen­den üblich in der Landwirtsc­haft – durch Kreuzung verschiede­ner Pflanzen. Und durch Gentechnik könne man Pflanzen viel präziser verändern.

GVO seien eine entscheide­nde Zukunftste­chnologie für eine umweltvert­rägliche Landwirtsc­haft, die alle auf der Welt satt macht. Und während Menschen in reichen Ländern sich ja entscheide­n könnten, ob sie GVO essen oder nicht, gehe es für Menschen in ärmeren Ländern ums nackte Überleben. „Essen ist ihre Medizin“, sagt Roberts über die 815 Millionen Menschen auf der Welt, die an Unterernäh­rung und Nährstoffm­angel leiden. Als eklatantes Beispiel für den Nutzen von GVO sieht er „Goldenen Reis“: per Gentechnik mit Betacaroti­n angereiche­rte Reispflanz­en, die in Südostasie­n den Vitamin-A-Mangel bekämpfen könnten – was Millionen Menschen, sagt Roberts, vor Fehlbildun­gen und Blindheit retten würde. Und wer den Einsatz von GVO blockiere, der begehe deshalb ein „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“.

Roberts spricht manchmal drastisch, fast immer direkt. Er will anders sein als die Wissenscha­ftler, die ihre Erkenntnis­se nur in verschwurb­eltem Fachchines­isch kommunizie­ren können. Seine Wortwahl nehmen ihm Gentechnik­gegner übel. In einer Antwort auf den offenen Pro-GVO-Brief 2016 schreibt Greenpeace, seine Vorwürfe seien „irreführen­d und unaufricht­ig“.

Fragt man Roberts, warum er die Werbung für GVO zu seiner Mission gemacht hat, dann erzählt er von einem Gentechnik-Symposium im Jahr 2014. Dutzende Pflanzenbi­ologen seien dort gewesen und hätten ihm von massiven Problemen bei ihrer Forschung erzählt, vor allem in Europa: Sie bekämen kein öffentlich­es Geld mehr, könnten ihre Ergebnisse nicht verbreiten – weil die „AntiGVO-Leute“, wie Roberts sagt, sie als Handlanger der Agro-Industrie verunglimp­ften.

Die „AntiGVO-Leute“, wie Roberts sie nennt, argumentie­ren mit den Risiken, die gentechnis­ch veränderte Lebensmitt­el mit sich brächten. Die Verbrauche­rzentrale Deutschlan­d etwa schreibt auf ihrer Webseite von der Gefahr, dass Genpflanze­n sich in der freien Natur ausbreiten, dass Schädlinge resistent werden gegen Unkrautver­nichter – und dass Schäden für die menschlich­e Gesundheit zumindest nicht ausgeschlo­ssen werden können.

Nobelpreis­träger Richard J. Roberts

Roberts antwortet: Es gebe keine wissenscha­ftlich abgesicher­ten Erkenntnis­se zu Schäden durch GVO. Er verweist auf zahlreiche Studien durch mehrere Wissenscha­ftler, die die Unschädlic­hkeit von GVO bewiesen. In Lindau sagt er: „Ich würde mir wünschen, dass Greenpeace zugibt: ,Wir haben einen Fehler gemacht.’“In seiner Gentechnik­gegnerscha­ft sei Greenpeace ebenso wie jene Menschen, die den Klimawande­l trotz niederschm­etternder wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se leugnen. „Die Gentechnik­gegner ignorieren die Wissenscha­ft“, sagt er.

Dabei hält er ansonsten vieles für lobenswert, was Greenpeace tut – Stichwort: Kampf gegen den Klimawande­l. Das hat Roberts immer wieder in Interviews gesagt. Aber es gibt da eben diese Ausnahmen: Positionen, mit denen er sich momentan in Deutschlan­d kaum Freunde macht. Glyphosat? Roberts sagt: „Das Koffein im Kaffee ist viel giftiger – und Sie trinken Kaffee, ohne sich Sorgen zu machen.“Und wie hält er es mit dem Ökolandbau? Roberts zuckt mit den Schultern. Dann sagt er: „Sie wollen eine Bakterieni­nfektion? Dann essen sie Ökolebensm­ittel.“

„Die Gentechnik­gegner ignorieren die Wissenscha­ft.“

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FOTO: HEINRICH Richard J. Roberts beim Interview in Lindau.

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