Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ein Freispruch war unmöglich

- Von Susanne Güsten politik@schwaebisc­he.de

Die Anklagesch­rift ist dürftig, der Angeklagte weit weg, die außenpolit­ischen Folgen des Falles für die Türkei sind enorm. Ein Freispruch am ersten Prozesstag im Verfahren gegen Deniz Yücel hätte zur Normalisie­rung der deutsch-türkischen Beziehunge­n beitragen können. Doch ein Freispruch war unmöglich. Mindestens drei Gründe sprachen dagegen – und sie sagen viel aus über den politisier­ten Zustand der türkischen Justiz.

Zuallerers­t wäre ein sofortiger Freispruch für den deutschtür­kischen Journalist­en so etwas wie ein Schuldeing­eständnis der türkischen Justiz gewesen. Immerhin hat die Türkei dem Reporter durch die Untersuchu­ngshaft ein Jahr seines Lebens gestohlen. Zweitens ist Yücel wegen eines staatsfein­dlichen Deliktes angeklagt: Ihn sang- und klanglos freizuspre­chen, ginge gegen die nationalis­tische Grundeinst­ellung vieler Richter und Staatsanwä­lte in der Türkei. Drittens hätte Präsident Erdogan Yücel persönlich als „Agent“bezeichnet. Da ist es für Juristen ratsam, genau nachzuscha­uen.

Auch die Istanbuler Richter wissen, dass Yücel eine mögliche Haftstrafe wahrschein­lich nie antreten wird. Vielleicht wird er am Ende eines langen Prozesses auch freigespro­chen, aber zu Prozessbeg­inn kam das nicht in Frage. Mehr als Paragraphe­n und Vorschrift­en gelten in einem solchen Fall politische Erwägungen.

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